Schredder-Affäre: ÖVP gerät zunehmend unter Druck
Seit mehreren Tagen beschäftigt die österreichische Politik und Öffentlichkeit die Vernichtung gleich mehrerer Datenträger mit potenziell sensiblen Daten aus dem Bundeskanzleramt.
Wien. – Die Affäre nahm gegen Ende der Vorwoche ihren Lauf: ursprünglich war dabei die Rede von einer einzigen Festplatte. Dabei hätte es sich um einen „völlig üblichen Standardvorgang“ beim Auszug aus einem Ressort gehandelt – Die Tagesstimme berichtete. Am Dienstag kristallisierte sich dann allerdings immer mehr heraus, dass dies möglicherweise nur ein Teil der Geschichte ist.
Falter-Recherche: Fünf Datenträger – nicht nur einer – betroffen
Denn die linksgerichtete Wiener Stadtzeitung Falter veröffentlichte brisante Eigenrecherchen. Demnach hätte der Mitarbeiter aus dem Bundeskanzleramt nicht eine, sondern gleich fünf Datenträger zur Vernichtung beim Wiener Aktenentsorgungsbetrieb Reisswolf gebracht. Dabei sei der junge Mann insbesondere durch seine Nervosität aufgefallen.
Auch Äußerungen von Reisswolf-Geschäftsführer Siegfried Schnedler legten der Presse zufolge nahe, dass es sich um einen Vorgang handle. Zum ersten Mal in einem Vierteljahrhundert Firmengeschichte habe sich jemand „unter falschem Namen und mit solchem Aufwand“ um die Vernichtung von Festplatten bemüht.
Misstrauen quer durch politische Landschaft
Auch der Umstand, dass der Vorgang offenbar nicht erst nach dem Auszug von Altkanzler Kurz und Medienminister Blümel aus dem Bundeskanzleramt stattfand, sorgt für Stirnrunzeln beim politischen Gegner. Denn zur Vernichtung der Datenträger kam es in den Tagen zwischen dem Bekanntwerden der Ibiza-Affäre und dem letztlich erfolgreichen Misstrauensvotum gegen das Kabinett Kurz.
Dementsprechend vermuten die Mitbewerber nun, dass möglicherweise auch sensibles Material verschwand. SPÖ-Wahlkampfmanager Christian Deutsch etwa sieht „viele mysteriöse Umstände“ rund um die Rolle der Volkspartei. Werner Kogler, Spitzenkandidat der um den Wiedereinzug ins Parlament bemühten Grünen will nach der Wahl in einem Untersuchungausschuss für Aufklärung sorgen und auch möglichen Zusammenhänge mit dem Bekanntwerden des „Ibiza-Videos“ prüfen.
FPÖ will Sondersitzung im Nationalrat
Aber auch der ehemalige Koalitionspartner wittert, dass es sich bei der Datenvernichtung um „keinen üblichen Vorgang“ handelt. Sowohl beim Zeitpunkt als auch durch die Vernichtung bei einer externen Firma sieht der FPÖ-Sicherheitssprecher Hans-Jörg Jenewein die ÖVP in Erklärungsnot. Die Freiheitlichen wünschen sich deshalb eine zeitnahe Sondersitzung des Nationalrats.
Für besonders verwunderlich hält Jenewein unterdessen, dass die Datenträger auch „im eigenen Haus“ hätten vernichtet werden können. Er wünscht sich Aufklärung über den Auftraggeber – und fordert von der ÖVP eine eidesstattliche Erklärung, nicht bereits vor dessen Bekanntwerden vom Ibiza-Video gewusst zu haben.
ÖVP-Nehammer: Löschung „nicht verakteter Daten“ legitim
Die Darstellung, wonach sich auf den Datenträgern belastendes oder anderweitig sensibles Material befunden haben könnte, bestreitet die ÖVP allerdings weiterhin. In einem ZiB2-Interview erklärte Generalsekretär Karl Nehammer die rasche Vernichtung mit Sorgen um Datenleaks. Gerade im Wahlkampf für den vergangenen Urnengang habe man nämlich – Stichwort Silberstein-Affäre – schlecht Erfahrungen mit „Dirty Campaining“ erfahren.
Zwar sei die Vorgangsweise des Mitarbeiters – er agierte unter falschem Namen und bezahlte offenbar nicht – „falsch und unkorrekt“. Gleichzeitig sei die Löschung „nicht verakteter Daten“ legitim, so Nehammer. Dies habe man auch deshalb bereits vor dem Misstrauensantrag durchgeführt, da man bereits damit gerechnet habe, diesen nicht zu überstehen.
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