Wahlanalyse: „Grüne müssen sich neu positionieren“
Der vergangene Wahlsonntag brachte für die Grünen zwei höchst unterschiedliche Ergebnisse – einen klaren Sieg in Innsbruck und eine beinahe historische Schlappe in Salzburg. Die Ursachen sind sinnbildlich für die Richtungssuche der Partei.
Kommentar von Julian Schernthaner
Himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt. So in etwa könnte man die Feierlaune der grünen Fraktion in Innsbruck der Katerstimmung ihrer Gesinnungsfreunde im Bundesland Salzburg gegenüberstellen. In Salzburg wurden die Grünen nach dem Rekordergebnis beim vorherigen Urnengang regelrecht dezimiert (minus 11,1 Prozent) und verlieren einen weiteren Bundesrat. Die angestrebte Fortsetzung der Koalition mit der ÖVP ist rechnerisch außer Reichweite. In der Tiroler Landeshauptstadt holte man den ersten Platz, brachte seinen Bürgermeisterkandidaten souverän in die Stichwahl und trotzt seit über einem Jahr erstmals dem bundesweiten Trend.
Vieles richtig gemacht in Innsbruck…
Die Väter des überzeugenden Wahlsiegs des für grüne Verhältnisse als bürgerlich geltenden und über die Parteigrenzen beliebten Willi sind schnell erklärt. Er vermochte es, die Grünen als urbane Partei der Angebote zu vermarkten. Mit einem Container am zentralen Marktplatz gab man sich betont bürgernah, Stadtpolitik zum Angreifen. Die den Tirolern so wichtigen Themen Nachhaltigkeit und Transparenz vermittelte man durch plastikfreie Plakate und eine Offenlegung der Wahlkampfkosten noch vor dem Wahltag. Zur Werbung setzte man mit dem #Innstream erstmals großspurig auf die Möglichkeiten sozialer Medien und schaffte es, sich in der stark von Studenten geprägten Stadt als jugendlich darzustellen. Man traf den Zahn der Zeit – und konnte durch die gebotene Themenbreite auch die Stammwählerschaft bei Laune halten. Sein „grüner Weg der Mitte“ landete punktgenau in der Mitte der Gesellschaft.
Auch die Frustration vieler Innsbrucker über etliche Baustellen für das Regionalbahn-Projekt umschiffte er elegant. Mit dem langjährigen Obmann der Arbeitsgemeinschaft Innsbrucker Nahverkehr (AIN), Manni Schneiderbauer, erarbeitete er ein umfassendes Mobilitätskonzept. Der verstandene Tenor: hier entsteht etwas, was die Stadt voranbringt. Mit dem Thema leistbares Wohnen setzte er auf eines der Grundthemen der teuersten Stadt Österreichs. Für einen vermeintlich populistischen Sager in diesem Zusammenhang erntete er einen prominenten Parteiaustritt – Die Tagesstimme berichtete – und Pluspunkte bei den Wählern. Die logische Konsequenz: abgestraft für eine stellenweise bescheidene Bilanz wurden die übrigen drei Parteien der Stadtkoalition. Die SPÖ, bei der Nationalratswahl im Herbst noch stärkste Fraktion in Innsbruck, kam sogar nur auf den fünften Platz, weil das „linke Wählerpotential“ nun durch die Bank grün wählte.
…und beinahe alles falsch in Salzburg
Ganz anders in Salzburg. Erfolglos versuchte man mit Sujets zur Stärkung des ländlichen Raums im Innergebirg Fuß zu fassen. Gleichzeitig traf die große Unzufriedenheit über „Tempo 80“ im angestammten städtischen Milieu die bisherige Vizelandeschefin Astrid Rössler mit voller Breitseite. Und zwar, obwohl – oder gerade, weil – sie sich im Wahlkampf als „keine Politikerin“ darstellte. Was für Bürgernähe und Handschlagqualität stehen sollte, wirkte belehrend, abgehoben und disqualifizierend. Zu guter Letzt warb man wenig glaubwürdig mit dem Heimatbegriff. Was noch vor anderthalb Jahren als frischer Impuls schlechthin für den Präsidentschaftswahlkampf wahrgenommen wurde, wirkte im Frühjahr 2018 wie eine abgedroschene Alibiaktion in der Not.
Insgesamt versuchten sie es mit alten Mitteln und wurden je nach Themenkomplex von den Wahlgewinnern zerrieben. Den Ruf als unangenehme, urbane Partei konnten die NEOS für sich beanspruchen. Der bäuerlich-ländliche Raum jenseits des Pass Lueg wurde zum Grundstein für den Erdrutschsieg der Volkspartei. Selbst der schärfste Ausritt gegenüber den Freiheitlichen blieb diesmal einem pinken Politiker vorbehalten. In sozialen Medien versuchte man sich indes als Gegenpol darzustellen und bewarb kulturelles Programm. Dies wirkte aber altbacken, elitär und wenig authentisch. Wer sich im digitalen Zeitalter als jung, dynamisch und unangenehm positionieren möchte, muss sich auch dementsprechend präsentieren.
Grüne müssen sich neu positionieren
Wie Patrick Lenart bereits angesichts der Kärnten-Wahl im März in einem Gastbeitrag bilanzierte: die Grünen haben eigentlich den Anspruch „anders“ zu sein. Erarbeitet haben sie sich in den vergangenen Jahren aber den Ruf einer Vernaderer- und Verbotspartei. Das Klientel ist anspruchsvoll – und entsprechend müssen sie sich ins Zeug legen. Wenn sie sich als authentische und dynamische Aufklärungs- und Umweltpartei präsentieren, die um Transparenz, Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit bemüht ist, werden sie auch Wahlerfolge feiern.
In Innsbruck ist dies gelungen – es könnte durchaus ein Impuls zur Wiederbelebung der Grünen sein. Selbst im Vergleich zur Landtagswahl vor weniger als zwei Monaten lernte die Partei dort dazu und konnte den Staub des „umgefallenen Juniorpartners“ in der Zentralstadt des Landes schlagartig ablegen. Wenn sich die Grünen an den Zeichen dieses Wahlerfolgs orientieren, werden sie auch weiterhin eine wichtige Rolle in der Innenpolitik des Landes spielen und vermutlich auch bei der nächsten Nationalratswahl ins Hohe Haus einziehen. Entscheidend ist beim grünen Brainstorming („Zukunft gestalten“) am 5. Mai in Linz also auch, welche Lehren die Parteibasis aus den jüngsten Ergebnissen zieht.
Menschen mögen keine Verbote und „Heimathasser“
Dort, wo sie abgehoben und mit Verboten agieren, werden sie nämlich auch weiterhin an Beliebtheit einbüßen. Wenn sie weiterhin versuchen, anderen Menschen ein authentisches Heimatverständnis abzusprechen, werden sich die Wähler auch in den verwandten Themenfeldern Umwelt und Natur anderen Angeboten zuwenden. Die Werbung mit dem Heimatthema nehmen die Wähler ohnehin nur den bürgerlichen Ausläufern des Spektrums ab. Den Schmäh mit der Ausgrenzung haben die Menschen tausendmal gehört – er zieht nicht mehr. Egal ob er in Ansätzen berechtigt erscheinen mag.
Das Thema funktioniert bei dem aus einem naturnahen Bergtal stammenden van der Bellen. Es funktioniert auch beim „netten Grünen aus dem Kirchenchor“, wie der Standard Willi einst bezeichnete. Bei der kurzhaarigen Städterin Rössler wirkt es hingegen wenig authentisch und sorgt bestenfalls für ein müdes Schmunzeln. Auch weiterhin pflegen einige Grünfunktionäre ein schwieriges Verhältnis zur eigenen Heimat, und das ist dem Wähler nicht entgangen. Wer darauf setzt, muss sich seiner Sache gewiss sein – halbe Sachen sind in der Politik nicht glaubwürdig. Der neue Bundessprecher Werner Kogler sollte sich dieser Weisheit bewusst sein. Er hat die (un-)dankbare Aufgabe, die Partei auf ihre Kernkompetenzen zu verweisen, welche ihr einst zum Höhenflug verhalfen.