Kolumne: „Bei Bewertung von Protestkultur wird mit zweierlei Maß gemessen“

Derzeit findet in Graz ein Prozess gegen 17 Aktivisten der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ) statt. Ein Vergleich mit jüngsten Aktionen aus der übrigen Zivilgesellschaft zeigt: Bei der Bewertung der Protestkultur wird mit zweierlei Maß gemessen. Während Gewerkschaften und manche NGOs quasi Narrenfreiheit genießen, sieht sich die patriotische Gruppe erheblicher rechtlicher Verfolgung ausgesetzt. 
Julian Schernthaner
Kommentar von
7.7.2018
/
5 Minuten Lesezeit
Kolumne: „Bei Bewertung von Protestkultur wird mit zweierlei Maß gemessen“

Auch die Aktion an der türkischen Botschaft in Wien ist Teil der Anklage gegen die Identitäre Bewegung Österreich (IBÖ). Bild: Identitäre Bewegung Österreich [frei für red. Gebrauch]

Derzeit findet in Graz ein Prozess gegen 17 Aktivisten der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ) statt. Ein Vergleich mit jüngsten Aktionen aus der übrigen Zivilgesellschaft zeigt: Bei der Bewertung der Protestkultur wird mit zweierlei Maß gemessen. Während Gewerkschaften und manche NGOs quasi Narrenfreiheit genießen, sieht sich die patriotische Gruppe erheblicher rechtlicher Verfolgung ausgesetzt. 

Kommentar von Julian Schernthaner 

Was haben ein Pflasterstein vor der Tür einiger Abgeordneter, ein mit 3000 Liter gelber Farbe zur Rutschpartie geratener Kreisverkehr und ein Transparent an der türkischen Botschaft gemeinsam? Bei allen handelt es sich um einigermaßen umstrittene Aktionen außerparlamentarischer Gruppen, um kreativ auf eine tiefgehende Problematik aufmerksam zu machen. Während die ersten beiden Gruppen sich jedoch trotz einiger Kritik des Rufes wichtiger zivilgesellschaftlicher Akteure erfreuen dürfen, wird der dritten Gruppe gerade der Prozess gemacht.

Graz: Anklage wegen Meinungsäußerung

Der vergangene Mittwoch bildete den Auftakt zu einer vielbeachteten Strafverhandlung gegen 17 IBÖ-Aktivisten. Mit spektakulären, gewiss auch streitbaren – aber stets gewaltfrei ausgerichteten – Aktionen verschaffte sich die patriotische Gruppe in den vergangenen Jahren einen Namen. Mal subtiler, mal klotziger – sie hielten dem Establishment stets schonungslos den Spiegel vor. Und ganz egal, ob man ihre Kritik einer umstrittenen und durchaus naiven Migrationspolitik teilte oder nicht: Kalt ließen die Aktionen niemanden im (meta-)politischen Spektrum.

Nun sitzen sie den ganzen Juli in einem Grazer Strafgericht. Sie müssen sich wegen des Vorwurfs der Bildung einer kriminellen Vereinigung (§278 StGB) verantworten. Zentraler Bestandteil der Anklage sind zwei Spruchbänder („Islamisierung tötet“ und „Erdogan, hol deine Türken ham“), welche die Staatsanwaltschaft als „verhetzend“ wertet. Obwohl die pointierten Aussagen in ähnlichem Wortlaut bereits von Politikern zu beiden Seiten der Mitte geäußert wurden. Beanstandet wird zudem etwa auch eine mutmaßliche Sachbeschädigung mittels abwaschbarer Sprühkreide in Maria Lankowitz.

Der Identitären-Greenpeace-Vergleich

Letzterer Vorwurf ist besonders deshalb interessant, weil Kritiker des Prozesses darauf hinweisen, der Aktionismus unterscheide sich nicht maßgeblich etwa von Greenpeace. Tatsächlich sorgte die Umweltschutz-NGO vor einiger Zeit für einiges Kopfschütteln, weil sie gelbe Farbe in einen vielbefahrenen Kreisverkehr leerten – Die Tagesstimme berichtete.

Die Reinigungskosten sollen 15.000 Euro betragen – also das Fünfzigfache der offenbar ‚mafiösen‘ Kreideslogans in der Weststeiermark. Für die Besteigung und Verhüllung eines Wiener Denkmals durch Greenpeace-Aktivisten gab es ein mildes Urteil, weil der Aktionismus aus „achtbaren Motiven“ geschah. Auch die Identitären verhüllten einst dasselbe Denkmal. Eine Praktik, die man ihnen in der Anklageschrift – an anderen Orten – als Hetze gegenüber einer religiösen Gemeinschaft auslegt.

Justiz-Generalsekretär verteidigte Anklage

Trotz beinahe deckungsgleicher Aktionsformen, welche im Fall der IBÖ dem Eindruck nach sogar schonender abliefen, verteidigte der Generalsekretär des Justizministeriums, Christian Pilnacek, jüngst die Anklage. Er ist der Ansicht, man können die beiden Gruppen nicht vergleichen, immerhin handle es sich bei den Identitären um „keine so wirklich harmlose Bewegung“. Den erst gerichtlich zu prüfenden Vorwurf der Verhetzung wirft er dabei fraglos in den Raum – für den neutralen Beobachter scheint er damit quasi vorab als erwiesen.

Freilich, verständlicherweise wird sich der Mann nicht gegen eine Anklage richten, deren Freigabe unter seiner Beteiligung stattfand. Ebenso naheliegend ist, dass er im öffentlich-rechtlichen Rundfunk keine Kritik an ausgerechnet jenem Landesstrafgericht üben wird, über welches seine Ehefrau präsidiert. Problematisch bleibt allerdings zweifellos, dass vor dem Recht eigentlich alle Menschen gleich sein sollten – unabhängig wie achtbar oder verwerflich deren An- und Absichten auch sein mögen. Zumal sich Pilnacek erst vor wenigen Monaten dafür aussprach, das Strafrecht möge nur „schwerwiegende Rechtsbrüche aus der Gesellschaft“ bringen.

Pflastersteine vor Abgeordnetenwohnungen

Auch im Vergleich mit einer möglicherweise gewerkschaftlich initiierten Protestaktion gegen den 12-Stunden-Tag schließt sich ein Kreis. Am Vorabend des Parlamentsbeschlusses zur Arbeitszeitflexibilisierung legten Unbekannte Pflastersteine, Grablichter und Botschaften vor den Häusern und Büros von Regierungsvertretern ab. Tatsächlich verstanden die Betroffenen teilweise eine Drohabsicht und sprachen von einer „beispiellosen Grenzüberschreitung“. In sozialen Medien machte anschließend unter Anderem FPÖ-Salzburg-Chefin Marlene Svazek ihrem Unmut über die fragwürdige Aktion Luft:

Gleichzeitig wäre ein neutraler Beobachter geneigt, von einer harmloseren Deutung auszugehen. Die Symbolik des Pflastersteins als Arbeitsmittel eines Schwerarbeiters nahm seinen Ausgang vor einigen Wochen in einer Rede auf einem Gewerkschaftskongress. In den Augen des unbedarften Bürger handelt es sich vermutlich um eine grenzwertige – weil anders interpretierbare – aber zulässige Geste des Protests. Dabei ist es eine allemal offensivere Geste als etwa die „ästhetische Intervention“ der Identitären im Audimax, für welche es mittlerweile rechtskräftige Freisprüche gibt.

Nachteilige Auslegung von Äußerungen

Stellen wir uns aber einen Staatsanwalt vor, welcher wegen der Pflasterstein-Aktion Ermittlungen etwa wegen gefährlicher Drohung oder Nötigung anstellte. Gerade weil Betroffene die Vorgänge als ebensolche empfanden, gäbe es zweifelsohne Anhaltspunkte. Angesichts der viel wahrscheinlicheren milderen Absicht sähe sich dieser Jurist aber schnell dem Spott seiner Kollegen ausgeliefert. Dass es jemals zu einer Anklage käme, wäre höchst unwahrscheinlich.

Im Falle der Identitären hingegen geht man bei den beanstandeten Aktionen bereits im Vorhinein von deren nachteiligsten Auslegung aus. Die Kritik an einer kolportierten „Islamisierung“ beträfe dementsprechend nicht ausschließlich den politischen Islam, sondern alle Muslime. Die Aufforderung an Erdogan, „seine“ Türken heimzuholen, richte sich sogar gegen sämtliche türkischstämmigen Mitbürger. Abziehbilder gegen Islamismus in der Nähe eines türkischen Imbisses wolle diese einschüchtern oder bedrohen.

Traditionell breite Auslegung der Meinungsfreiheit

Hier erweckt die Anklage also den Eindruck, sie geschähe nicht vordergründig aus der Überzeugung, tatsächlich Recht schaffen zu wollen. Immerhin legen Gerichte im deutschen Sprachraum die Meinungsfreiheit traditionell permissiv aus. Sogar non-verbale Bekundungen wie unaufdringliches Betteln genießen einen Verfassungsschutz. Mitunter reicht sogar ein Wahrheitssubstrat aus, um eine Äußerung als freie Meinungsäußerung, nicht als Beleidigung oder gar Verhetzung anzusehen. Deshalb darf man blaue Abgeordnete als „Kellernazi“, Asyl-NGOs als „Schlepper“ bezeichnen.

Verlierer: Rechtsstaat und Demokratie

Egal ob der Identitären-Prozess in mehrjährigen Haftstrafen für die Beteiligten oder in Freisprüchen endet – der Verlierer ist das Ansehen des Rechtsstaats. Verurteilt er den gewaltfreien Protest junger Aktivisten als quasi-mafiöse Betätigung, darf er sich den Vorwurf des „Gesinnungsstrafrechts“ gefallen lassen. Spricht er sie frei, steht trotzdem im Raum, dass er aus der Farce des VGT-Prozesses gegen zehn Tierschützer nichts gelernt hat.

Dass erneut freigesprochene Menschen aufgrund einer äußerst dünnen Anklage vor dem gesellschaftlichen und finanziellen Ruin stehen könnten, hätte einen äußerst fahlen Beigeschmack. Und zwar den, dass es in Österreich generell nicht erwünscht sei, mittels unangenehmen Protests allfällige Fehlentwicklungen aufzuzeigen. Verlierer wäre in dem Fall nicht nur der Rechtsstaat – sondern insgesamt die Demokratie.


Rechtliches: „Die Tagesstimme“ stellt klar, dass die bildliche Verwendung des im gegenwärtigen Prozess beanstandeten Transparents ausschließlich zum Zweck einer kritischen journalistischen Auseinandersetzung mit der Thematik geschieht. Wir weisen ausdrücklich daraufhin, dass dies nicht im Sinne einer „rechtfertigenden oder gutheißenden“ Weise nach §283 (4) geschieht. Darüber hinaus verpflichten wir uns ungezwungen, im Falle eines Schuldspruchs der Angeklagten, das Bilddokument umgehend zu ersetzen. 

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
Über den Autor
Julian Schernthaner

Julian Schernthaner

Der studierte Sprachwissenschafter wurde 1988 in Innsbruck geboren und lebte sieben Jahre in Großbritannien. Vor kurzem verlegte er seinen Lebensmittelpunkt ins malerische Innviertel, dessen Hügel, Wiesen und Wälder er gerne bewandert.

Kann FREILICH auf Ihre Unterstützung zählen?

FREILICH steht für mutigen, konservativ-freiheitlichen Journalismus, der in einer zunehmend gleichgeschalteten Medienlandschaft unverzichtbar ist. Wir berichten mutig über Themen, die oft zu kurz kommen, und geben einer konservativen Öffentlichkeit eine starke Stimme. Schon mit einer Spende ab 4 Euro helfen Sie uns, weiterhin kritisch und unabhängig zu arbeiten.

Helfen auch Sie mit, konservativen Journalismus zu stärken. Jeder Beitrag zählt!