Kolumne: „Schick-Blockierwelle ist Sinnbild für Zustand der öffentlichen Debatte“
In einem Versuch, ihr Twitter-Umfeld von vermeintlich ‚rechten Trollen‘ zu säubern, schoss die taz-Autorin Sibel Schick weit über das Ziel hinaus. Ein bezeichnendes Sinnbild für den Zustand der öffentlichen Debatte.
Kommentar von Julian Schernthaner
Es war eine Aktion, welche am Wochenende gleichermaßen Aufsehen, wie auch Belustigung und Unverständnis erregte. Die Journalistin der linken Tageszeitung taz ist der Öffentlichkeit vor allem durch ihre polarisierenden Meinungsstücke zum Thema Feminismus und Migration bekannt. Kürzlich erbat sie sich Blocklisten und Vorschläge bezüglich Andersdenkenden – und blockierte dem Empfinden nach „halb Twitter“. Dabei sollte sie sich eigentlich erinnern: Meinungen, Entwicklungen und Strömungen, die einem widerstreben, verschwinden nicht, indem man sie aus dem eigenen Umfeld ausblendet.
Twitter als niederschwellige Informationsquelle
Freilich, ein klein wenig Mitleid muss man mit Frau Schick haben. Für Journalisten ist Twitter als Plattform Segen und Fluch zugleich. Durch seine offene Struktur ist es möglich, niederschwellig mit Menschen aus allen Gesellschaftsschichten und Denkrichtungen in Kontakt zu treten. Auch Prominente und Politiker nützen deshalb diese Gelegenheit. Dadurch dient es gleichermaßen als Stimmungsprobe zu umstrittenen Themen wie als Informationsquelle zu Recherchezwecken.
Gleichzeitig ist es der Ort, wo man – gerade durch die eigene Öffentlichkeit – besonders leicht Gegenwind erfährt. Das brauchst freilich, wenn dich am Abend entspannen willst, salopp gesagt, wie Fußpilz. Die Male, dass ich mich selbst von einer emotionalen Twitter-Diskussion ablenken ließ, anstatt einen gemütlichen Fernsehabend zu genießen, habe ich mittlerweile aufgehört zu zählen. Du hattest einen harten Tag, willst den Wahnsinn der Welt einfach kurz abschalten. Aber der nur einen Fingerdruck entfernte Teufel obsiegt und fördert die hitzköpfige Spätabenddiskussion um des Kaisers Bart.
Blockierwelle ohne Maß und Ziel
Als Betroffener ihrer Blockierwelle ohne Maß und Ziel fragt man sich, aufgrund welcher Überlegungen man eigentlich zum Handkuss kam. Manch einer – mich eingeschlossen – kann sich dabei nicht erinnern, jemals mit der Dame interagiert zu haben. Freilich, hätte ich mit ihr interagiert, hätte ich vielen ihrer dargebotenen Ansichten vehement widersprochen. Gleichzeitig hätte ich bis zum letzten Tropfen Blut ihr Recht verteidigt, ihre Argumente in einem freien Medium wiederzugeben. Umgekehrt finde ich unser Medium und meine Wenigkeit blockiert – offenbar auf Zuruf von Unbekannten. Niemand in unserer Redaktion kritisierte übrigens jemals ihre Person, Artikel oder direkten Positionen.
Anfeindungen zwischen Journalistin und Linkspolitikerin
Allzu viel einbilden darf ich mir allerdings auf die zweifelhafte Ehre des „schicken“ Blocks nicht. Denn kurioserweise kam es nämlich, wie es kommen musste. Sogar einige ausgewiesen linksgerichtete Personen wie die Hamburger Jungpolitikerin Sarah Rambatz (linksjugend [’solid]) fanden sich nach Schicks „political cleansing“ außerhalb deren Filterblase wieder. Auf den Fehler aufmerksam gemacht, ruderte Schick allerdings nicht zurück, sondern reagierte äußerst empfindlich. Es ergab sich eine veritable Schlammschlacht, an deren Höhepunkt sie der Linken-Politikerin sogar unterstellte, den Rechtsstatus einer Migrantin – Schick hat türkische Wurzeln – gefährden zu wollen.
Nun gehöre ich nach Rambatz‘ wiederholten, mitunter umstrittenen Äußerungen zur eigenen Identität vermutlich nicht zu ihren allergrößten Fans. Allerdings muss ich der Dame diesmal recht geben: Sich auf den Zuruf Dritter zu verlassen, um zu entscheiden, welche Meinungen oder Personen man hören will, ist selten unüberlegt. Entweder zeugt es von einem naiven Weltbild – oder man möchte gezielt keine anderen Meinungen zulassen, Kollateralschäden nebensächlich. Beides entspricht nicht dem Berufsbild eines Journalisten.
Demokratie profitiert von Gedankenaustausch
Denn selbst wenn man das Wissen weglässt, dass häufig blockierte oder gemeldete User oftmals zu Leidtragenden der internen Twitter-Algorithmen, etwa durch sogenannte „Shadowbans“ oder Qualitätsfilterdiskriminierung werden, stellt dies ein Zeichen einer demokratisch problematischen Entwicklung dar, welche ‚gute‘ und ’schlechte‘ Sichtweisen allein anhand der politischen Ausrichtung anstatt ihrer inhaltlichen Wertigkeit einzuteilen sucht. Dabei profitiert die Demokratie gerade vom hitzigen Austausch, auch weil erst die Realprobe die Tauglichkeit eines Gedankenzuges oder einer Begehrlichkeit herausstellt.
Die wenigsten bahnbrechenden Entwicklungen der Gesellschaft entstanden nämlich durch starres Beharren auf einen Standpunkt. Oftmals erlaubten erst die Einwände, die Bedeutung einer Debatte hervorzuheben, eine Herangehensweise nachzubessern. Auch viele von linker Seite zurecht gefeierte Errungenschaften wie die westlichen Frauenrechte oder die Verbesserung von Arbeitsbedingungen wären heute undenkbar, wenn die Inhaber der damaligen Hegemonie den Dialog verweigert hätten. Auch Frau Schick als Feministin und Migrantin profitiert heute von einem Dialog, den sie selbst künftig zu unterbinden sucht.
Gegenwind vertragen lernen
Natürlich bleibt es das Recht eines jeden Menschen, frei zu entscheiden, mit welchen Menschen und Themen er sich umgibt. Aus symbolischer Sicht ist ihr Rundumschlag aber ein vom drohenden Verlust der eigenen Deutungshoheit getriebener Verzweiflungsakt. Völlig legitim ist, dass man auch als Journalist seine eigene Meinung hat. Deshalb räumt jedes ernsthafte Blatt neben tunlichst neutraler Berichterstattung seinen Kolumnisten auch die Möglichkeit ein, Meinungsartikel zu verfassen. Dieses darf und soll sogar polarisieren – solange es sachlich bleibt und die persönliche Würde eines allfällig Kritisierten achtet. Aber: man muss halt auf Gegenwind gefasst sein – und lernen, damit umzugehen.
Journalisten sollten Blockierknopf meiden
Wer dennoch keinen Gegenwind verträgt, sollte insgesamt soziale Medien meiden, anstatt nur mehr dem Chor predigen zu wollen, soziale Medien sind kein Alltagszwang, manche Menschen kommen gänzlich ohne sie aus. Wer den Gegenwind obendrein als Journalist nicht verträgt, sollte möglicherweise seine Berufswahl überdenken. Denn gleichermaßen wie wir die öffentliche Meinung darstellen und mitunter auch mitprägen, müssen wir bereit sein, auch Gegenmeinungen zuzulassen. Denn wir sollten uns niemals der Meinungsmache bedienen – weder als Urheber, noch als Spielball.
Und dazu gehört auch, nicht diejenigen Meinungen aus unserer jeweiligen Filterblase zu verbannen, die wir als Privatpersonen vielleicht als unsinnig oder falsch betrachten. Journalisten sollten den Blockierknopf sehr spärlich verwenden, um nicht zu sagen, meiden wie die Pest. Denn umfassende Blockieraktionen führen in einem Beruf, in welchem die eigene Erfahrung der Welt stets auf dem Prüfstand steht, dazu, ebendiese zu verschmälern. Wir würden nicht mehr die Wirklichkeit darstellen – sondern bestenfalls eine verzerrte Eigensicht derselben. Das schadet dann dem Handwerk und Ruf der gesamten Branche – vielen herzlichen Dank für den Bärendienst!