Religionsstifter Mani, die „Ambivalenzintoleranz“ und der 8. Mai

Nein, ich schreibe nicht über den 8. Mai, über den Tag heute vor 75 Jahren, an dem die deutsche Wehrmacht kapitulierte. Das tun heute alle, völlig zu Recht natürlich, denn der 8. Mai wird immer ein einschneidendes Datum der europäischen Geschichte bleiben. Die Aufgabe dieser Kolumne ist es aber, aus dem Alltag, aus der politischen und geistigen Gegenwart des großen Nachbarn zu berichten.
Kommentar von
8.5.2020
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Religionsstifter Mani, die „Ambivalenzintoleranz“ und der 8. Mai

Bild (Gauland 2014): blu-news.org via Wikimedia Commons [CC BY-SA 2.0] (Bild zugeschnitten)

Nein, ich schreibe nicht über den 8. Mai, über den Tag heute vor 75 Jahren, an dem die deutsche Wehrmacht kapitulierte. Das tun heute alle, völlig zu Recht natürlich, denn der 8. Mai wird immer ein einschneidendes Datum der europäischen Geschichte bleiben. Die Aufgabe dieser Kolumne ist es aber, aus dem Alltag, aus der politischen und geistigen Gegenwart des großen Nachbarn zu berichten.

Kolumne von Bettina Gruber

Und die lässt sich, was ihre dominierende Variante betrifft, vielleicht am besten als „manichäisch“ kennzeichnen. Der Manichäismus wurde im dritten nachchristlichen Jahrhundert in Persien von einem gewissen Mani gestiftet und überlebte in verschiedenen sektenhaften Varianten bis ins 14. Jahrhundert. Neben einer Lehre von den drei Zeiten (Reinheit, sündhafte Gegenwart, Erlösung), die sich auch in anderen Religionen findet, ist der Manichäismus durch einen radikalen Dualismus von Gut und Böse gekennzeichnet. Die als „Hörende“ bezeichneten Gläubigen werden von sogenannten „Erwählten“ geführt. Die Parallelen zum Christentum sind offenkundig, aber der Manichäismus identifizierte das Gute mit dem Geist und das Böse mit der Materie und ließ keinerlei Vermittlungen gelten.

Der 8. Mai und die „Ambivalenzintoleranz“

Man könnte auch sagen, die manichäische Weltsicht ist durch radikale „Ambivalenzintoleranz“ gekennzeichnet: Grautöne, moralische Unsicherheiten, „sowohl als auch“ können nicht ausgehalten werden. Das trifft auf die Ideologie politischer Korrektheit, die in Deutschland weit mehr als in Österreich den politischen Mainstream beherrscht, eins zu eins zu. Die aktuelle Debatte über den 8. Mai als möglichen Feiertag und die Äußerungen von AfD-Mitgründer Alexander Gauland belegt genau das, ist allerdings nur eines von zahllosen Beispielen. Gauland hatte gesagt: „Der 8. Mai hat nicht das Potential zu einem Feiertag, weil er ein ambivalenter Tag ist. Für die KZ-Insassen ist er ein Tag der Befreiung gewesen. Aber es war auch ein Tag der absoluten Niederlage, ein Tag des Verlustes von großen Teilen Deutschlands und des Verlusts von Gestaltungsmöglichkeiten.“ Es handle sich nicht um „einen Glückstag für Deutschland“.

Nun kann man gegen Gauland durchaus der Ansicht sein, dass das Datum sich zu einem Feiertag in Form eines würdigen Gedenkens an alle Opfer eignet, denn immerhin markiert es für alle Beteiligten das Ende eines grauenhaften Krieges. Allerdings eben auch ein Ende, das neben der Befreiung auch Massenvergewaltigungen, Massenselbstmorde (Demmin) und die Rheinwiesenlager mit sich brachte und schließlich in die jahrzehntewährende Teilung des Landes mündete, die wiederum neue Opfer forderte. Gaulands Bemerkung bedeutet, unvoreingenommen gelesen, also einfach: Die Befreiung von der Naziherrschaft war ein Segen. Trotzdem kann dieser Tag nicht einfach als „Glückstag“ für Deutschland markiert werden, weil er eine Vielzahl unschuldiger Opfer im Gefolge hatte.

Politisch korrekte Identitätspolitik

Das ist eine der vielen Ambivalenzen, die ein realitätsgerechtes Geschichtsbild aushalten muss und auch aushalten kann, und zwar ganz ohne den Nationalsozialismus zu verharmlosen. Alles andere läuft auf die wohlbekannte Behauptung einer Kollektivschuld hinaus, eine der extremen modernen Spielarten des Manichäismus: Für die Nazis waren die Träger dieses Bösen die Juden, für die Kommunisten die Kapitalisten, für die amerikanische PC-Politik sind es die Weißen, und für das bundesdeutsche Establishment hat es exklusiv im eigenen Volk sein Lager aufgeschlagen. In der politisch korrekten Identitätspolitik, die keine Einzelmenschen kennt, sondern nur mehr Täter- und Opferkollektive, geht jede Unterscheidungsfähigkeit verloren, mehr noch: Sie birgt die Rechtfertigung für einen künftigen Totalitarismus.


Über die Autorin:

Bettina Gruber hält in ihrer alle zwei Wochen erscheinenden Tagesstimme-Kolumne „Über den Zaun” ihre Eindrücke aus dem deutschen Nachbarland fest. Die Wienerin und Wahlsächsin hat lange Jahre sowohl im Westen als auch im Osten Deutschlands gelebt und dabei immer wieder festgestellt, wie verschieden die Mentalitäten doch sein können. Unter Klarnamen und wechselnden Pseudonymen Beiträge für TUMULT, Sezession und andere. Auf dem TUMULT-Blog bespielt sie in wechselnden Abständen die genderkritische Kolumne „Männerhass und schlechte Laune.“ Der letzte Artikel für die Printfassung, „Die Wissenschaft und ihr Double.“ TUMULT. Vierteljahresschrift für Konsensstörung Heft 1 / 2020 Frühjahr 2020, widmet sich der grundsätzlichen Schwierigkeit, wissenschaftliche Ergebnisse in der Mediengesellschaft zur Geltung zu bringen und ist damit thematisch hochaktuell.

Vergangene „Über den Zaun”-Beiträge: 

Nr. 1: „Schadenfreude auf Deutsch und Englisch. Nationalmasochismus geht immer“ (10.4.2020)

Nr. 2: „Über den Zaun: Es ist der Dieter in uns allen!“ (24.4.2020)

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
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