Daniel Ottos „Tolkiens Mittelerde: Wirklichkeit in der Fiktion“ – Ein Buch für Tolkienkenner
Gibt es christliche Inhalte im Herrn der Ringe und inwieweit ist es notwendig, diese zu erkennen, um die Geschichte richtig zu verstehen? Dieser Frage geht Daniel Otto nach und liefert mit seinem neuesten Werk ein Buch, das vor allem Tolkienkenner interessieren wird, wie er in seinem Kommentar für FREILICH schreibt.
Unter Tolkien-Anhängern wird viel diskutiert. Vor allem seit es über das Internet die Möglichkeit einer weltweiten Vernetzung gibt. Ein typisches Thema ist dabei die Tolkien Reading Order. Also die Reihenfolge, in der man die Bücher lesen sollte, falls man das beneidenswerte Glück hat, sie zum ersten Male lesen zu können. Ein anderes Thema sind die möglichen Interpretationsansätze des Werkes und was man alles dort herauslesen oder hineinsehen kann. Man kann mit den Augen eines Kindes, eines Philologen, eines Historikers und sowohl durch die griechisch-römische, keltische, germanische oder eben katholische Brille darauf schauen oder zum Beispiel Tolkiens eigens entwickelte Elbenschriften aus paläografischen Gesichtspunkten betrachten.
In der Reading Order herrscht größtenteils Einigkeit: die ersten vier Bücher in der Reihenfolge des Erscheinens. Zunächst den Hobbit, dann den Herrn der Ringe, danach das Silmarillion, dann die Nachrichten aus Mittelerde. Und dann weiter, je nach der bis dahin entwickelten persönlichen Neigung. Irgendwann kommt dann auch der Punkt, an welchem man nicht nur Bücher von, sondern auch Bücher über Tolkien lesen sollte. Wobei als Erstes meistens die von Tolkiens Erben autorisierte Biografie aus der Feder Humphrey Carpenters empfohlen wird.
In welcher Reihenfolge?
Jetzt ist mit Daniel Ottos Wirklichkeit in der Fiktion im Seelenburg-Verlag ein neues Buch über Tolkien herausgekommen, welches ein Thema behandelt, das sehr kontrovers diskutiert wird: Gibt es im Herrn der Ringe christliche Inhalte und inwiefern ist es notwendig, diese zu erkennen, um die Geschichte richtig zu verstehen? Das erste Kapitel geht gleich ins Detail, nicht über Tolkiens Bücher, sondern über die Bücher über Tolkien, inklusive der Kritik an manchen Autoren, die Tolkiens Glauben nicht ausreichend betrachten oder gar kleinzuschreiben versuchen.
Tolkien selbst hat es immer vermieden, in seinem Werk direkte Allegorien zu verwenden. Anders als bei C. S. Lewis, dessen Löwe Aslan in den Narnia-Geschichten ganz eindeutig eine Christusfigur ist, sind im Herrn der Ringe zwar mehrere, aber keine eindeutigen Christusbezüge zu erkennen. Zum Beispiel steht Gandalf in der Tiefe dem Feuerdämon mit Hörnern und Hufen gegenüber, er gibt sich hin, um seine Freunde zu retten, fällt in den Abgrund des Todes und kommt nach einigen Tagen in blendendem Weiß zurück.
Schaut man jedoch mit dem Wissen um die heidnischen Götter Asgards darauf, dann kann man den Feuerriesen Surtur erkennen, wie er über die Regenbogenbrücke Bifröst stürmt, um Walhalla in Brand zu setzen und damit Ragnarök, den Weltuntergang, einzuläuten. Heimdall, der Wächter der Götter, stellt sich ihm entgegen und im Kampf zerbricht die Brücke. Doch ob man jetzt in Gandalf lieber Zeus, Odin oder Heimdall oder doch eher Teutates erkennen möchte, liegt vor allem daran, ob man nun durch die griechisch-römische, germanische oder lieber durch die keltische Brille schaut.
Mythische Inspirationen
Der Herr der Ringe ist eines der meistgelesenen und meist geliebten Bücher der Welt; totgeschwiegen oder „gecancelt“ werden kann er also so leicht nicht. Wohl aber können Tolkiens Geschichten im Sinne zeitgeistiger Irrlehren umgedeutet und verfälscht werden, wie es besonders prominent in der unsäglichen Amazon-Serie „The Rings of Power“ geschieht. Auch die englische „Tolkien Society“ und ihr bundesdeutsches Pendant, die „Deutsche Tolkien Gesellschaft“, schlagen ganz gern in diese Kerbe: Den Herrn der Ringe nicht durch die christliche, nordische oder keltische, sondern durch die Regenbogenbrille zu betrachten. Da wird dann zum Beispiel thematisiert, dass mit der sich entwickelnden Freundschaft zwischen Legolas und Gimli „rassistische Stereotype“ bekämpft werden sollten und Elb und Zwerg werden am besten gleich als queeres Pärchen dargestellt, ganz so wie Frodo und Sam. Auch lässt sich in Eowyns Rolle als Schildmaid allerlei Genderideologie hinein fabulieren.
Für J.R.R. Tolkien selbst war jedoch eines sonnenklar: „The Lord of the Rings is of course a fundamentally religious and Catholic work; unconsciously so at first, but consciously in the revision“, wie er 1953 an den befreundeten Jesuitenpater Robert Murray schrieb.
Auch der Autor dieser Zeilen hat die Hinweise auf die germanisch-nordische Mythologie beim ersten Lesen des Herrn der Ringe sofort verstanden, aber alles Keltische (wie beispielsweise den Bezug nach Westen und nicht nach Norden) einfach überlesen, weil er das seinerzeit mangels Hintergrundwissens gar nicht erkennen konnte. Dazu bedurfte es erst eines Aufenthaltes in Dublin und des Austausches mit irischen Tolkienisten, die sich wiederum ihrerseits nicht mit dem Nibelungenlied oder der Wölsungensage auskannten und dann auch noch etwas dazulernten. Mit den katholischen Bezügen und dem Aufspüren christlicher Inhalte wird es wahrscheinlich vielen Lesern genauso gehen und hier setzt Daniel Ottos Buch ein.
Welche Lesart ist die richtige?
Wie man den Herrn der Ringe interpretieren kann, ob es so etwas wie eine einzig wahre Interpretation zu Tolkiens Werken gibt, sei einmal dahingestellt. Aber wenn ja, dann ist das im Sinne des Professors sicherlich die christlich-katholische. Für wen ist Tolkiens Mittelerde: Wirklichkeit in der Fiktion jetzt das richtige Buch?
Eher nicht für Menschen, welche Amazons „Die Ringe der Macht“ schätzen, weil Tolkiens Geschichten da so schön „zeitgemäß und fortschrittlich“ umgesetzt werden.
Auch nicht unbedingt für Herr-der-Ringe-Fans, die bisher nur die Filme kennen, sich gern spitze Ohren ankleben und nun etwas mehr über die Hintergründe wissen wollen. Für Einsteiger ist das Buch in seinem Detailreichtum und seiner wissenschaftlichen Akribie, mit seinen vielen Zitaten, Fußnoten und Querverweisen eher so herausfordernd, dass sie es wahrscheinlich noch im ersten Kapitel wieder frustriert ins Regal zurückstellen würden.
Wenn man aber schon viele Regalmeter mit Primär- und Sekundärliteratur zu Mittelerde sein Eigen nennt und jetzt eine sinnvolle Erweiterung sucht, in der es auch für Experten noch viel Neues zu entdecken gibt oder sich immer wieder einmal mit Neuheiden, Wokeisten, Klimagläubigen oder Anhängern anderer Pseudoreligionen über Tolkiens Werke unterhält und gescheite, fundierte Argumente für den Katholizismus im Herrn der Ringe sucht oder zwar (noch) kein Tolkien-Experte ist, sich dafür aber gut in katholischer Theologie auskennt und seine Freude daran hat, dass das beliebteste Buch des 20. Jahrhunderts „fundamentally Catholic“ ist und man näher entdecken möchte, worauf sich das begründet, dann hat Daniel Otto einen wirklich wertvollen Beitrag geleistet.
Wer sich in diesem wiederfindet, dem sei das Buch mit Nachdruck ans Herz gelegt.
Anar kaluva tielyanna
➡️ Jetzt bestellen: Daniel Otto – Tolkiens Mittelerde: Wirklichkeit in der Fiktion*
Zur Person:
Heiko Hofmann wurde in der Nähe von Würzburg geboren und ist bei Frankfurt am Main aufgewachsen. Seit 2001 ist er Mitglied der Deutschen Tolkien Gesellschaft. Hofmann lebt seit einigen Jahren in Wien, wo er bei einem Institut für Führungskräfteweiterbildung arbeitet.
Die mit einem Stern (*) gekennzeichneten Links sind sogenannte Affiliate-Links. Wenn Sie auf einen Affiliate-Link klicken und dann einen Einkauf machen, bekommen wir vom jeweiligen Anbieter eine Provision. Das Gute daran: Für Sie bleibt der Preis völlig gleich und Sie unterstützen gleichzeitig unsere Arbeit.