Kolumne: Black Metal, linker Journalismus und ‚toxische Männlichkeit‘

Ein Journalist des Standard schrieb diese Woche eine Kritik zu einem Film („Lords of Chaos“), welcher die frühe norwegische Black Metal-Szene behandelt. In seinem Artikel stützt er sich nicht nur auf fehlerhafte Informationen, sondern pauschalisiert eine ihm offenbar nicht genehme Subkultur mit gefährlichen Zuschreibungen.
Julian Schernthaner
Kommentar von
22.2.2019
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3 Minuten Lesezeit
Kolumne: Black Metal, linker Journalismus und ‚toxische Männlichkeit‘

Black Metal kann rauh, norwegisch und düster sein – und trotzdem mitunter ohne Skandale auskommen. Symbolbild (Jan-Erik „Nag“ Romøren / Frontmann Tsjuder): Jonas Rogowski via Wikimedia Commons [CC BY-SA 3.0] (Bild zugeschnitten)

Ein Journalist des Standard schrieb diese Woche eine Kritik zu einem Film („Lords of Chaos“), welcher die frühe norwegische Black Metal-Szene behandelt. In seinem Artikel stützt er sich nicht nur auf fehlerhafte Informationen, sondern pauschalisiert eine ihm offenbar nicht genehme Subkultur mit gefährlichen Zuschreibungen.

Kommentar von Julian Schernthaner

Da dachte man, man hätte alles gesehen. Und vielleicht nennen mich aufmerksame Leser meiner Kolumnen auch einen Heuchler, weil ich mich vergangenes Jahr über den Echo-Award für zwei mit brutalen und antisemitischen Texten spielenden Rapper echauffierte. Was Christian Schachinger am Mittwoch für das lachsrosa Blatt über die rauen Klänge und Sitten des Black Metal vom Stapel lässt, passt dafür auf keine Kuhhaut.

Standard-Kolumnist hat „ein Fass aufgemacht“

Bereits beim Einstieg versucht der Standard-Schreiberling etwas unbeholfen, eine Verbindung zu aktuellen Debatten herzustellen. Er schwafelt etwas von „fehlgeleiteter männlicher Energie“ und kommt über den Bogen von Selbstmordanschlägen – aus welchem Beweggrund auch immer – auf den vermutlich bekanntesten norwegischen Export der jüngeren Vergangenheit.

Er macht keinen Hehl daraus, dass er dieser Stilrichtung absolut nichts abgewinnen kann und schreibt von einer Mischung aus „pathologischem Widerstand gegenüber der Zivilisation […] scheißblödem Satanismus, Walhalla-Ballaballa und Nazidreck“. In dieser Schnittmenge hätte man vor einem Vierteljahrhundert im hohen Norden „ein Fass aufgemacht“. Mit „weltverdammendem Gekeife“ sei es die „schlimmste Kunstform aller Zeiten“

Ausrede für fehlende Deutungshoheit im Genre

Wer nun meint, grenzwertige und provokante Kunst passt einfach nicht ins Konzept seiner von Bobobäckern gespickten Welt, der irrt. Denn nur zwei Tage später schreibt er ein ziemlich unkritisches Porträt über einen Rapper, der schon mal gewaltverherrlichende Texte ins Mikro brüllt und von seiner früheren Drogenkarriere erzählt. An den Inhalten oder der unorthodoxen Darbietungsweise liegt es also kaum.

Vielmehr geht es darum, dass es eine linkslastige Kulturszene nicht verwinden kann, in irgendeiner Musiksparte nicht den Ton anzugeben. Auch deshalb überbieten sie sich mit Nazi-Zuschreibungen gegenüber Gabalier. Und auch deshalb gilt derselben Blase, für die Stier aus einem einzelnen Strich einen Geniestreich bildet, gezielt minimalistische Kunst als Kakophonie, welche natürlich vollständig von allem Übel dieser Welt durchsetzt sein muss.

Black Metal: Provokation wider Hegemonien

Natürlich bieten sich die Verirrungen einiger der Vorreiter der frühen norwegischen Szene zum Draufhauen auf ein ganzes Milieu an. Für 99 Prozent der Liebhaber dieser Musik ist es allerdings kein Widerspruch etwa nach einem Arbeitstag im Altersheim einem Lied über Tod, Teufel und Terror zu lauschen. Denn das Allermeiste dient, wie bei jeder gegenkulturellen Kunst der Provokation.

Diese klagt zumeist eine verortete Hegemonie oder einen empfundenen Verlust an. Auch deshalb werden linksradikale, vegane Bands als Sinnbild des Mainstreams im Black Metal gerne belächelt. Weiter lässt sich damit erklären, weshalb neben misanthropisch-antichristlichen und naturverbunden-heidnischen Texten vielen Musikern eben auch chauvinistisch-elitäre, teils nationalistische Stoßrichtungen als legitimer Zugang zur Musik dienen.

Vorlage erforscht Grenzgänge

Niemand wird von der Hand weisen können und wollen, dass wie in vielen Grenzbereichen die Trennlinie zwischen Kunst und Realität, zwischen bewusster Ausreizung des Sagbaren und allfällig problematischer Ideologie unscharf ist. Es liegt immerhin in der Natur von radikalen künstlerischen Subkulturen, sowohl intelligente Lichtgestalten als auch vollkommen jenseitige Spinner anzuziehen.

Genau aus diesem Grund ist die Buchvorlage von Moynihan und Søderlind so fesselnd. Ohne Scheuklappen zeichnet es authentische Charaktere nach, welche wechselweise auf der richtigen oder falschen Seite landen. Der eine Protagonist wird Lehrer, der andere zum Brandstifter und Mörder. Es ist eine einmalige Reise in die Abgründe der menschlichen Natur und Gesellschaft.

Musik und Freiheit der Kunst nicht verstanden

Dass Schachinger in den Beweggründen der Akteure pauschal einen „Wettbewerb, der größte Widerling seit Satans ältester Schwester zu sein“ sieht, zeigt, dass er Musik, Buch und wohl auch Film nicht verstanden hat. Black Metal in seiner reinsten Form befördert keinen Nihilismus – es klagt ihn an. Gut ins Bild passt hier zweifellos, dass der Autor auch leicht recherchierbare Fakten wie das Urteil gegen Vikernes verdreht.

Freilich, man muss nicht jede polarisierende Kunstform mögen. Meine Wenigkeit wird wohl auch kein Fan von Hermann Nitsch mehr. Aber ein ganzes Genre aburteilen und es als Blaupause für gesellschaftliche Fehlentwicklungen zu sehen? Es mit einem Rundumschlag gegen ein ganzes Land zu verbinden? Lernen’s bitte ein bisserl Geschichte – und nehmen’s die Lektion über die Freiheit der Kunst als Beibrot.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
Über den Autor
Julian Schernthaner

Julian Schernthaner

Der studierte Sprachwissenschafter wurde 1988 in Innsbruck geboren und lebte sieben Jahre in Großbritannien. Vor kurzem verlegte er seinen Lebensmittelpunkt ins malerische Innviertel, dessen Hügel, Wiesen und Wälder er gerne bewandert.

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