Martin Lichtmesz: „Die Digitalisierung homogenisiert Subkulturen“

TAGESSTIMME-Kulturredakteur Lorenz Bien traf sich mit Martin Lichtmesz und sprach mit ihm über Gothic, Neofolk und rechte Subkulturen. Im Gespräch erzählt der österreichische Publizist, wie sein Weg in der Jugend zu dieser Musik und Subkultur verlief.
Interview von
19.8.2022
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9 Minuten Lesezeit
Martin Lichtmesz: „Die Digitalisierung homogenisiert Subkulturen“

Bild: Martin Lichtmesz / privat

TAGESSTIMME-Kulturredakteur Lorenz Bien traf sich mit Martin Lichtmesz und sprach mit ihm über Gothic, Neofolk und rechte Subkulturen. Im Gespräch erzählt der österreichische Publizist, wie sein Weg in der Jugend zu dieser Musik und Subkultur verlief.

TAGESSTIMME: Servus Martin! Die meisten Leser werden Dich ja vermutlich als politischen Kommentator und spitzfederigen Sezessions-Autor kennen. Begonnen hattest Du aber, und korrigiere mich wenn ich hier falsch liege, ursprünglich einmal als Musikjournalist. Vermisst Du heute manchmal die Zeit, in der Dich das neuste Neofolk-Album die Finger in die Tasten hat hauen lassen und nicht die Irrungen und Wirrungen des politischen Diskurses?

Martin Lichtmesz: Du liegst hier in der Tat falsch, denn „Musikjournalist“ war ich nie, auch wenn ich früher ab und zu CD-Besprechungen oder Konzertberichte geschrieben habe. Über Musik zu schreiben, ohne in Schaumschlägerei abzudriften, ist ausgesprochen schwierig. Diese Fähigkeit besitze ich nicht. Meine erste Veröffentlichung unter den Namen „Martin Lichtmesz“ fand allerdings im einschlägigen Kontext statt, in einem obskuren und kurzlebigen englischsprachigen Neofolk-Industrial-Fanzine namens „Serpent Times“, für das ich im Jahr 2000 den Berliner Filmemacher Jörg Buttgereit interviewt habe.

Welcher Weg hat Dich schließlich von der Musik in die Politik geführt?

Lichtmesz: Allein von der Musik aus keiner, denke ich. Das ist nun aber eine eher komplizierte und sehr persönliche Geschichte, ohne einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Man kann aber durchaus sagen, dass die Gothic-Szene mit dem „Neofolk“ so etwas wie einen im weitesten Sinne „rechten Flügel“ hatte, dies aber auf eine eher emotionale, ästhetische, atmosphärische, freidenkerische und anarchische Weise. Das war kein „FPÖ-rechts“ und auch keine Musik mit „klaren Botschaften“, wie etwa in der Rechtsrockszene üblich. Sie wurde auch von vielen Leuten gehört, die völlig apolitisch waren oder sich gar explizit als „links“ verstanden. Ich kannte glühende Fans von „Death in June“, die überzeugte Linksparteiwähler waren oder sich sogar für Kommunisten hielten. So eine Mischung traf man nicht selten unter „Ossis“ in Berlin, Leipzig oder Jena. 

Dein Umfeld war ja die Goth-, oder wie man damals noch sagte, Gruftieszene, später dann Explizit der Neofolk. Was hat Dich in diese Szene hineingeführt, was sprach sie in Dir an?  Wie waren die Mentalität und das Lebensgefühl der Zeit? Und gibt es Dinge, die die heutige Szene daraus lernen kann?

Lichtmesz: Das ist nun alles schon sehr lange her, und wahrscheinlich hat jeder, der zur selben Zeit die Szene frequentiert hat wie ich, seinen eigenen, völlig anderen Film erlebt und völlig andere Konsequenzen daraus gezogen. Ich bitte also darum, keines meiner Worte für bare Münze zu nehmen. Ich habe auch keinen blassen Schimmer, wie es um die Szene heute bestellt ist, aber stichprobenartige Besuche in den letzten Jahren haben mir eher den Eindruck einer „Überalterung“ vermittelt. Da kam wenig Neues nach, man sah in erster Linie Veteranen, die beharrlich den Posten hielten.

Gewiss: Schon Mitte der neunziger Jahre, als ich als Greenhorn dazustieß, gab es viele Nostalgiker, die nur wenige Jahre älter waren als ich und die bereits damals den verlorenen Glanzzeiten vergangener Tage nachtrauerten. Dieses „früher war alles besser“ ist wohl eine Konstante in jeder Generation. Zu meiner Zeit war die Wiener Szene sehr lebendig und jung. Ständig gab es Aktivitäten. Alles fand noch „analog“ statt, es gab keine Smartphone-Kommunikation und kein Internet. Man konnte in die Szene abtauchen wie in eine Parallelwelt, und wenn man sich dort niedergelassen hatte, fühlte man sich sehr „anders“ als der Mainstream um einen herum. Man traf sich im Café Zeitstop oder Café Concours, verabredete sich zu nächtlichen Spaziergängen und Picknicks oder zu Foto-Aktionen auf dem Zentralfriedhof oder St. Marxer Friedhof – jeder „Grufti“, der etwas auf sich hielt, musste durch letzteres Ritual hindurch, und da es noch keine Digitalkameras gab, war das Warten auf die Ergebnisse immer ziemlich spannend. Zwischendurch fieberte man den wochenendlichen Partys im Weberknecht, in der Arena, in der Szene Wien, im Manchester-Club oder später im Rock In und noch später im Monastery entgegen.

Auch an die Musik kam man zu „meiner“ Zeit nur auf analogem Weg heran. Man musste sich die Platten und CDs im Why Not oder Rave Up kaufen oder über Mailorder bestellen. Die Musik verbreitete sich nicht über iTunes oder Spotify, sondern über Mundpropaganda, „Ausborgen“ und Mixtapes, oder eben DJ-Bespielung auf den Parties. Mein erster Besuch auf dem „Blue Monday“ im U4 im Jahr 1994 war für mich wie eine Offenbarung. Nie zuvor hatte ich eine solche Musik gehört. Es hat mich schier umgehauen. Etwa „Yü-Gung“ von den Einstürzenden Neubauten, „Saltarello“ von Dead Can Dance oder „Coal Black Smith“ von Current 93. Nur „Life is Live“ von Laibach war mir schon bekannt. Damals war ein besonderer, später ausgestorbener Tanzstil sehr populär: Zwei Schritte vor, zwei Schritte zurück, und dazu konnte man nach Gusto allerlei affektierte und theatralische Gesten machen. All dies, kombiniert mit dem Anblick von kühn und phantasievoll kostümierten Gestalten, machte einen mächtigen Eindruck auf das naive und nach Abwechslung dürstende Provinz-Ei, das ich wohl war.

Der „Dresscode“, der sich unendlich variieren ließ, solange nur die Farbe Schwarz dominierte, war zwar wichtig zur optischen Identifikation, wurde aber nur sehr lose gehandhabt. Es gab Vollzeit- und Wochenendgruftis, Paradiesvögel, „Pseudos“, Originale, die ihren eigenen Stil entwickelten, Fans der Musik, die von „Normalos“ nicht zu unterscheiden waren und Post-Gothics, die mit dem Älterwerden dezentere Kleidung und Haarschnitte bevorzugten. Manche gingen eher in Richtung Punk, andere eher in Richtung Metal, es gab Geschminkte und Ungeschminkte, Rüschenhemden, Samtkleider, Latex- und Fetischklamotten, Uniformen, Silberkreuze, Pentagramme, ägyptische „Anchs“, Runen und andere okkulte, mystische oder sonstwie zweifelhafte Symbole. Was der einzelne unter „Grufti-Ästhetik“ verstand, konnte je nach Geschmack und Bildungsgrad stark variieren. Die Palette reichte von Horrorfilm-Aficionados, Anne Rice- und Neil Gaiman-Fans, Crowley-Jüngern, Fantasy-Rollenspielern bis hin zu Nietzsche-, Baudelaire- und Trakl-Lesern. Unter den Männern war ein androgyner Look – Kajalstift war ein Muss – sehr beliebt, und man spielte auch gerne mit optischem „Genderbending“, aber das war alles damals noch gänzlich unideologisch.

Ich weiß nicht, wie das heute ist, aber in den neunziger Jahren konnte man noch gehörig anecken, wenn man als voll adjustierter Grufti, ob als Einzelexemplar oder im Rudel, in freier Wildbahn unterwegs war, in der Provinz freilich noch mehr als in der Großstadt. Man genoss die Empörung der Spießbürger in den Fußgängerzonen („Was seid’s denn ihr für eine Sekte??“), man liebte es „missverstanden“ und mit „Satanisten“ verwechselt zu werden, und es kam auch vor, dass die Polizei anrollte, wenn man sich durch zielloses Herumlungern auf Friedhöfen verdächtig machte. Das sind natürlich alles klassische (post-)pubertäre Vergnügungen. Es konnte aber auch unangenehm werden. In manchen Vorstadtgegenden oder U-Bahn-Stationen lauerten den Gruftis Skinheads auf, in anderen wiederum Türkenbanden, und beide waren sich einig, dass diese „Schwuchteln“ Kloppe verdient hätten. Ich könnte nun ewig weitererzählen, hast Du noch eine Frage?

Und wie beurteilst Du das Verhältnis von Goth zu Neofolk? Ist Letzteres bloß das Kind des Ersten, oder eine sehr eigenständige Sache?

Lichtmesz: Das hängt wohl davon ab, was man unter „Goth“ versteht. Als optischer Stil ist es recht einfach zu identifizieren. Siouxsie Sioux oder Robert Smith von The Cure wären die bekanntesten Prototypen für den „Look“, aber die Musik ihrer Bands hat sich im Laufe ihrer Karriere doch recht deutlich geändert und ist nicht eindeutig „schubladisierbar“.

Musikalisch gesehen lässt sich kaum festnageln, was „Goth“ nun eigentlich ist. Das unterscheidet ihn vom Metal, der eindeutigeren Regeln folgt. Manche sagen, der „eigentliche“ Goth sei der britische „Batcave“-Sound der frühen Achtziger, aber auch da finden wir keine unumstritten „quintessenzielle“ Band. Ich würde sagen, der Kontext, in dem diese Musik gehört wurde, war das Entscheidende. Was unter diesem breiten Dach lief, war doch immer recht vielfältig und heterogen, und die Ränder fransen zum Teil in alle möglichen Genrerichtungen aus. Da führen Wege zum Punk, Postpunk, Metal, Synthie-Pop, Industrial, „Schockrock“, sogar bis zum Techno. Die Bandbreite reicht vom Postpunk von Joy Division, der weit über die Szenegrenzen hinaus gehört und geschätzt wird, über den räudigeren amerikanischen „Death Rock“, den selbstironischen Glam von Bauhaus oder den traumwandlerischen Pop der Cocteau Twins und anderer Bands des Labels 4 AD bis hin zum hauptsächlich synthiebasierten „Darkwave“, den schrägen Manierismen von Lacrimosa, Goethes Erben und Das Ich und dem „Martial Industrial“ von Der Blutharsch, Allerseelen oder Dernière Volonté.

In diesem Korb ist also allerhand Obst versammelt, das kaum etwas miteinander gemeinsam hat, außer, dass (ungefähr) dieselben Leute es mögen. Die beliebteste Szeneband Anfang bis Mitte der neunziger Jahre war das deutsche Duo Deine Lakaien. Der Sänger Alexander Veljanov sah aus wie ein prototypischer Gothic, aber man fand hier keinen Gruselkitsch mit Vampiren, Fledermäusen und Friedhöfen, sondern romantische, melodische Synthie-Mucke mit anspruchsvollen Texten. „Dark Star“ ist ein wunderbares, magisches Album, von Anfang bis Ende voller Hits und Ohrwürmer. Große Beliebtheit auf schwarzen Partys genossen deshalb auch „Artverwandte“ und Ahnherren aus anderen Bereichen, von Velvet Underground über Marc Almond bis Depeche Mode. Weit in den Mainstream hinein reichten Bands wie Nine Inch Nails oder Marilyn Manson, aber auch die Sisters of Mercy, deren Song „More“ seinerzeit in jeder Provinzdisco lief. Ob Nick Cave ein „Goth“ ist oder war, daran scheiden sich die Geister, jedenfalls hatten Songs wie „Tupelo“, „The Weeping Song“ oder „The Mercy Seat“ absoluten Kultstatus in der Szene. Unter diesem großen Dach hatte praktisch alles Platz, was düster und abseitig war, und so auch der ganze kranke, vorwiegend britische Krachmusikhaufen, aus dem sich über einige Umwege und Abzweigungen der Neofolk entwickelt hat: Throbbing Gristle, Psychic TV, Whitehouse, Coil, SPK, NON, Current 93 und so weiter. Ich würde sagen, Neofolk hat sich vorwiegend im „schwarzen“ Kontext und vor dem entsprechenden Publikum entwickelt, er hat aber auch andersrum das Publikum verändert und erweitert, fast schon wie eine „Ethnogenese“. Die Sache ist also sehr kompliziert. Ich kann das hier nur andeuten.

Wenn man über die Neue Rechte der 90er Jahre spricht, scheint es, dass Musik und Jugendsubkulturen wie Dark Wave und Neofolk eine viel größere Rolle gespielt haben, als es heute der Fall ist. Wie groß schätzt Du den Einfluss auf die damalige Szene ein?

Lichtmesz: Ich würde ergänzen, dass bei vielen Neurechten dieser Zeit auch die Techno- und Skinheadszene prägend waren. Andere wiederum kamen vom Black Metal, in dem rechte Tendenzen sehr virulent waren. Mir scheint, dass Jugendsubkulturen im allgemeinen stärker waren, solange sie sich „analog“ organisieren mussten. Heute scheinen sie praktisch verschwunden zu sein, auch wenn man ab und zu noch Exemplare des einen oder anderen Genres sichten kann. Die Digitalisierung des Lebens hat wohl auch zu einer weitgehenden Gleichschaltung und Homogenisierung der Jugendkultur oder überhaupt der Kultur geführt. Ich habe auch den Eindruck, und vielleicht ist er falsch, dass die Neunziger die letzte Dekade waren, die noch einen eigenen Stil in der Popmusik ausgebildet hat, optisch wie musikalisch. Dann blieb die Zeit stehen und die Postmoderne der ewigen Gegenwart nahm überhand. Die “Stämme“ der Subkulturen lösten sich auf und übrig blieb der “Globalist“ unter ihnen, das Mischmaschgebilde “Hipster“.

Waren Neofolk oder Gothic eventuell so etwas wie eine kurzlebige neue Romantik der Postmoderne? Was davon war echt und hatte Wert, und was war schlicht Show oder Wunschdenken einzelner Akteure?

Lichtmesz: Es ist schwierig, den Maßstab zu bestimmen, was nun wirklich ganz, ganz „echt“ und „authentisch“ ist und was nicht, selbst in Bezug auf das, was man einmal selbst gefühlt und gedacht hat. Innerhalb von Jugendszenen hat man immer mit Leidenschaft gestritten, welche Bands und welche Klamotten nun „truer“ sind als andere, und das soll auch so sein, denn die Alternative wäre Gleichgültigkeit und Undifferenziertheit. Später mag einem das alles sehr schal und oberflächlich erscheinen, weil die Leidenschaft nicht mehr da ist. Wenn man jung und „romantisch“ gesinnt ist, denkt man immer, dass das alles „echt“ ist, was im Inneren so alles aufwallt, und erst später gewinnt man Distanz dazu.

Die „Show“ an sich würde ich nicht schlechtmachen, denn sie gehört auch zum Selbstausdruck, den man als junger Mensch natürlicherweise sucht, ob man nun als Performer auf der Bühne steht, oder die Peer Group beeindrucken will. Freilich gibt es auch immer wieder die ernüchternde Erfahrung, dass alle Wege in den organisierten Kommerz und den Identitätskonsum münden. Wie man alljährlich am WGT in Leipzig studieren konnte, stand auch „Gothic“ für einen Markt der Tonträger, Klamotten und Accessoires, für Kitsch und Eskapismus. Daran ist an sich nichts Schlechtes, denn auch der Markt gehört zur Gemeinschaft, blöd ist es nur, wenn er diese zu ersetzen beginnt, und die eigene Identität nur mehr über das bestimmt wird, was man konsumiert.

War Neofolk je wirklich genuin „rechts?“

Lichtmesz: Hier wieder dasselbe: Was heißt „genuin“? Gewiss nicht im Sinne einer geschlossenen Weltanschauung, aber diese Musik sprach eben doch vorwiegend – aber nicht nur – Leute mit gewissen seelischen Dispositionen an, die nach „rechts“ weisen, etwa die romantische Sehnsucht nach einer vor- oder antimodernen Welt.

Welche Bands und Alben haben Dich besonders geprägt und in welche sollte jeder einmal reingehört haben?

Lichtmesz: Uff, da müsste ich jetzt eine Playlist von mindestens hundertfuffzich Songs aufstellen, um einen Eindruck zu geben, was „Gothic“ für mich ausmacht, und ich habe in meinem Leben auch viele andere Musiksparten gehört. Aber bleiben wir beim Thema. Meine folgende Auswahl ist nicht sehr originell, und ich bin nicht „up to date“, was es in diesem Bereich Neues gibt. Die Neofolk- und Industrial-Mischpoche, die ein eigenes Kapitel ausmacht, lasse ich mal außen vor.

In der Gothic-Postpunk-Darkwave-Sparte wären es hauptsächlich Joy Division, Bauhaus, Siouxsie & The Banshees, Nick Cave & The Bad Seeds und Lydia Lunch, insbesondere das Album „13:13“. Der König aller Gothics ist für mich Rozz Williams, Kopf von Christian Death, ehe Valor Kand den Bandnamen übernommen hat, insbesondere die ersten drei Alben „Only Theatre of Pain“, „Catastrophe Ballet“ und „Ashes“. Ein Meisterwerk, das jeder Gothic-Fan kennen muss, ist „If I Die, I Die“ von den Virgin Prunes. Dasselbe gilt für „Pornography“ von The Cure und das Gesamtwerk der Sisters of Mercy, die ich lange unterschätzt und ignoriert habe, weil sie eine nervig ubiquitäre Konsensband waren.

Ein Geheimtip sind die Schweizer The Vyllies, insbesondere das Album „Lilith“ mit dem umwerfenden Stück „Seventh Heaven“. Dieses Trio bestand nur aus Frauen, wie auch die genialen Xmal Deutschland aus Hamburg, die überwiegend auf Deutsch sangen. Hier empfehle ich vor allem die Alben „Fetisch“ und „Tocsin“, nachher verlor die Band zunehmend an Kraft. Ihr bester Song ist die Single „Incubus Succubus“. 

Eine völlig andere Art von Musik bot eine österreichische Band, die in den neunziger Jahren enormes Ansehen in der heimischen Szene genoß: The Moon Lay Hidden Beneath a Cloud. Hinter diesem Namen verbargen sich Alzbeth (Gesang und Texte) und Albin Julius (Musik und Samples). Ihre Veröffentlichungen hatten die Eigenart, dass die Tracks keine Titel hatten. TMLHBAC spezialisierten sich auf atmosphärisch dichte, oft martialische Evokationen des Mittelalters, mitsamt Kreuzzügen, Schlachten, Hexenverfolgungen usw. Mit Ausnahme ihres Debüts von 1993, auf dem sie noch „üben“, sind alle Alben und EPs gut, ich werde nie müde, sie zu hören, und es fällt mir schwer, eines zu bevorzugen.

Mein Lieblingsalbum von Xmal Deutschland ist übrigens Viva, also eines der späteren. So gehen die Geschmäcker auseinander.

Lichtmesz: Oha. Aber immerhin kennst Du sie!

Ach komm, „Manchmal“ ist schon ein ziemlicher Banger.

Lichtmesz: Einzelne spätere Lieder sind gut, aber ich rede hier ja von den Alben als gesamtes …

Richtig, aber auch da wäre „Viva“ mein Favorit.

Lichtmesz: Erstaunlich, das kann ich nicht nachvollziehen!

Die klassischen Jugendsubkulturen scheinen mittlerweile auszusterben. Ist Gothic tot? Und wenn ja, wie soll man damit umgehen? Ab und zu nochmal Disintegration auflegen und ansonsten hoffen, dass irgendwann etwas Neues entsteht?

Lichtmesz: Das kann ich nicht beurteilen, aber ich erinnere mich an einen Spruch, den ich mal an einer Wand in London gelesen habe. Da stand: „Punks not dead“, und daneben hatte einer hingekritzelt: „Goths are – and they have a jolly good time with it.“

Martin, Danke für Deine Zeit!


Zur Person:

Martin Lichtmesz wurde 1976 in Wien geboren. Nach Jahren in Berlin lebt er inzwischen wieder in seiner Heimat und arbeitet als freier Publizist.

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