Verfrühter Jubel: Ist der Aufstand der Künstler wirklich ein Aufbruch?

Es ist etwas faul im Staate Lockdown – das dachten sich wohl auch zahlreiche Schauspieler, als sie sich zur Teilnahme an der Kampagne #allesdichtmachen entschieden. Gut 50 Mimen brachten den Mut auf, ihr Gesicht zu zeigen, den Mächtigen und ihren Bütteln mit beißender Satire den Spiegel vorzuhalten. Die Kritik traf ins Mark und suggerierte: Das System hat fertig. Doch ist nicht alles Gold, das glänzt – denn eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.
Julian Schernthaner
Kommentar von
23.4.2021
/
4 Minuten Lesezeit
Verfrühter Jubel: Ist der Aufstand der Künstler wirklich ein Aufbruch?

Jan-Josef Liefers wurde zur „tragischen Figur“ von #allesdichtmachen: Seine satirische Kritik preschte zunächst besonders mutig nach vor – ehe er als einer der ersten um Abgrenzung von anderen Kritikern bemüht war. Screenshot: YouTube / allesdichtmachen

Es ist etwas faul im Staate Lockdown – das dachten sich wohl auch zahlreiche Schauspieler, als sie sich zur Teilnahme an der Kampagne #allesdichtmachen entschieden. Gut 50 Mimen brachten den Mut auf, ihr Gesicht zu zeigen, den Mächtigen und ihren Bütteln mit beißender Satire den Spiegel vorzuhalten. Die Kritik traf ins Mark und suggerierte: Das System hat fertig. Doch ist nicht alles Gold, das glänzt – denn eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.

Als ich am Freitagmorgen auf Twitter ging, traute ich meinen Augen nicht. Unter den Trends zeigte es mir einen suspekt anmutenden Hashtag. In meiner üblichen Frühstimmung rechnete ich schon mit absurden Jubelarien für die jüngste Bundesnotbremse. Zum Glück lag ich falsch. Denn ich fand etliche Größen des deutschen und österreichischen Films vor, welche die Hybris der Maßnahmenfanatiker und die allgegenwärtige Blockwart-Mentalität mit feiner, aber scharfer Klinge aufs Korn nahmen.

Fünfzig Mimen zählen das System an

Ich freute mich aber nicht nur wegen des Inhaltes und der Stilvarianten, sondern auch wegen der Symbolkraft. Denn einige der versammelten Prominenten waren Personen, denen man ein Ausscheren aus dem Zeitgeist nicht so recht zutraute. Ja klar, von Proll wusste man, dass sie sich kein Blatt vor den Mund nimmt, von Düringer auch. Aber bei Jan-Josef Liefers dachte man einfach, der ehemalige Alexanderplatz-Redner des November 1989 hätte es sich nach der Wende ziemlich wohnlich im bundesdeutschen Mainstream gemacht.

Viel wichtiger schien hier aber das Aufbegehren an sich. Denn in der Regel sind Künstler oft richtige Sklaven des Zeitgeistes. Sie sind auf die öffentliche Gunst angewiesen, nur wenige reizen die ihnen eigentlich zustehende Kunstfreiheit im dissidentischen Sinne aus. Auch, weil sie um ihre Karriere fürchten, wenn die Inhaber der Deutungshoheit – oder zumindest der Macht – ihnen in der Folge ein Scherbengericht angedeihen lassen. Es ist also das Zeichen einer bröckelnden Erzählung, wenn sogar die Erhalter des Systems dieses attackieren.

Auch Künstler reihen sich in Querfront ein

Ja, man sollte den Tag nicht vor dem Abend loben, ein Steinschlag von der Mauer lässt noch keine Burgen auseinander Bersten. Viele sorgen um die eigene Branche, das Hemd ist einem näher als der Rock. Wer wenig zu verlieren hat – und die Kultur ist von Lockdowns & Co. besonders arg betroffen – riskiert in der Regel alles. Wer viel zu verlieren hat, sitzt es in der Regel aus, geht bestenfalls in die innere Emigration oder arrangiert sich schlimmstenfalls und frisst den Mächtigen brav aus der Hand.

Aber es ist ein Zeichen allmählichen Aufbruchs. Der Widerstand gegen Maßnahmen, die keiner so recht versteht und die nicht so richtig etwas bringen außer wirtschaftlichem, psychischem, sozialem und kulturellem Ruin, erfasst jeden Teil des Volkes, denn er betrifft jeden Teil des Volkes. Wenn aus allen Berufs- und Altersgruppen und allen politischen Richtungen die Mutigen aufstehen, ist es ein Querschnitt des Volkes, der eine gewisse Querfront gegen den Irrsinn bildet. Das ist unbestritten.

Wer wird die Treibjagd überstehen?

Und die Machthaber wissen das – und darum schicken sie er ihre Häscher aus. Am Tag nach der Veröffentlichung trieft die Jagdgesellschaft aus den Mundwinkeln, gehässige Kommentare in der Einheitspresse, wohin man blickt. Man hat fünfzig Personen zur Jagd aufgetischt bekommen und hat Lunte gerochen. Natürlich treiben sie diese mit allen Mitteln durch den Blätterwald. Sie schauen: Wer ist leichte Beute, wer eine stolze Trophäe – und mit wem legt man sich lieber nicht an. Dietrich Brüggemann zeigte in einem Twitter-Thread, dass er aus dem härteren Holz geschnitzt ist.

Dass erste Teilnehmer einknicken, war absehbar. So wie Heike Makatsch, die ihr Video zurückzog. Oder eben auch Jan-Josef Liefers, der sich nur Stunden nach seinen mutigen Worten über die Gleichschaltung etablierter Medien leider von allen Co-Kritikern distanzierte, die vielleicht zu nahe an den Querdenkern oder dem patriotischen Spektrum anstreifen. Gerade bei Liefers, dessen Stein als halber Felsbrocken abzubrechen schien, ist das schade. Aber auch für diese Leute kann es ein erster Schritt sein.

Strohfeuer oder Vorboten kippender Macht?

Denn frei nach dem Prinzip „sie können nicht alle einsperren“, werden einige stabil blieben. Sie werden dann merken: Im Gegenteil zu den Hexenjagden etwa auf Michael Wendler, werden einige zu groß und wichtig für den Kulturbetrieb sei, um ausgemerzt zu werden. Weitere könnten ihrem Beispiel folgen, wenn die Drohung des Karrieretods wirkungslos ist.

Sogar die derzeitigen Rückzieher könnten sich dann eher trauen, konkret über den ausgeübten Druck der Öffentlichkeit zu sprechen. All dies sind Momente, in denen die Deutungshoheit kippen kann. Aber es ist genauso gut möglich, dass sich der Großteil nach seinen „närrischen fünf Minuten“ wieder im Trott des Zeitgeistes einfindet und zu allen anderen Themen das Lied des Hegemons singt.

Die Wichtigkeit einer eigenen Gegenkultur

Beiderlei Wege sollten ein lehrreiches Beispiel für eine derzeit noch in den Kinderschuhen befindliche, patriotisch-dissidente Gegenkultur sein. Es braucht manchmal nur einen Stein des Anstoßes, damit alles ins Rollen kommt, der Lohn für alle Entbehrungen und Risiken könnte hinter der nächsten Ecke warten. Es zeigt sich aber auch, wie wichtig der jahrelange Aufbau selbiger ist. Die 68er-Bewegung konnte so ihre eigene Gegenkultur zur Popkultur machen, als die Zeit reif war.

Und ist die Zeit reif, müssen Strukturen vorhanden sein. Denn mutige etablierte Künstler, die Klartext sprechen, sind zwar leiwand – aber eben auch Fleisch vom Fleische des bisherigen Zeitgeistes. Und so bleibt eine wahre Wende aus – der Wind dreht sich dann genau so weit wie jene, die sich regelmäßig mit dem Winde drehen, sich zu drehen bereit sind. Und das dürfte bei einigen nicht sonderlich weit sein. Die Gegenöffentlichkeit hat bereits in dieser Krise Mitnahmeeffekte. Die Gegenkultur kann aufgrund der spärlichen Saat und Pflege noch lange nicht daran denken, die Ernte einzufahren.

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#allesdichtmachen: Schauspieler protestieren gegen Lockdown (23.04.2021)

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Über den Autor
Julian Schernthaner

Julian Schernthaner

Der studierte Sprachwissenschafter wurde 1988 in Innsbruck geboren und lebte sieben Jahre in Großbritannien. Vor kurzem verlegte er seinen Lebensmittelpunkt ins malerische Innviertel, dessen Hügel, Wiesen und Wälder er gerne bewandert.

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