Vom Skagerrak zum Baltikum – Teil 3: Kirchen, Coiffeure, Körperstrafen

Im dritten und letzten Teil widmen wir uns den Sehenswürdigkeiten von Tallinn und erkunden den estnischen Dienstleistungssektor. Nach einem Abstecher ins Hipsterviertel von Tallinn unternehmen wir einen Trip ins Landesinnere, um dann schließlich mit der Fähre den Rückweg nach Helsinki anzutreten.
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Vom Skagerrak zum Baltikum – Teil 3: Kirchen, Coiffeure, Körperstrafen

Die Altstadtgemäuer Tallinns treffen auf zahlreiche moderne Kreuzfahrtschiffe

Im dritten und letzten Teil widmen wir uns den Sehenswürdigkeiten von Tallinn und erkunden den estnischen Dienstleistungssektor. Nach einem Abstecher ins Hipsterviertel von Tallinn unternehmen wir einen Trip ins Landesinnere, um dann schließlich mit der Fähre den Rückweg nach Helsinki anzutreten.

Reisebericht von Tino Taffanek

Ganz als pflichtbewusster Tourist nahm ich mir für den nächsten Tag das Sightseeing vor. Um mich für diese Aufgabe zu stärken nahm ich natürlich das Frühstücksbuffet des Hotels in Anspruch. Die gekochten Würstel zum Frühstück überraschten mich nicht, da sie mir schon aus anderen osteuropäischen Ländern bekannt waren. Dazu war Salat angerichtet, der ebenfalls mit Dill gewürzt war. Scheinbar ein beliebtes Gewürz am Finnischen Meerbusen. So verköstigt, begann ich die Sehenswürdigkeiten der Stadt von Westen her aufzurollen.

Alexander-Newski-Kathedrale: Liebling aller Touristen

Als erstes begegnete mir dabei die Karlskirche, die sich verlassen und menschenleer präsentierte. Am Weg zu einer mir anempfohlenen Aussichtsplattform bestaunte ich den ältesten Panzer von Estland, um dann schließlich in mit Autobussen herbeigefahrene Touristenmassen zu stolpern.

Diese wurden offenbar hauptsächlich von der erwähnten Aussichtsplattform sowie von der Alexander-Newski-Kathedrale angezogen. Diese war im Gegensatz zur Karlskirche mit Touristen vollgestopft. Zu ihrer Verteidigung muss man aber erwähnen, dass die Karlskirche – wie für eine evangelische Kirche üblich – langweilig und schmucklos ist, während die Alexander-Newski-Kathedrale prächtig mit Goldornamenten und Heiligenbildern geschmückt ist.

Direkt gegenüber der Kathedrale befindet sich auch das estnische Parlament und ein altertümlich anmutender Turm, welche aber beide von den Touristen eher stiefmütterlich behandelt wurden. Auf der verheißenen Aussichtsplattform angekommen, bot sich tatsächliches ein großartiges Panorama über die Stadt. An deren Ende im Hafen konnte man mehrere Kreuzfahrtschiffe erblicken, welche für wohl zumindest einen Teil der sightseeingwütigen Touristen verantwortlich sind.

Alle Wege führen zum Rathausplatz

Von einer gut erhaltenen Stadtmauer gesäumt, schließt sich die Altstadt direkt an die Kathedrale an. Gespickt mit Bars, Restaurants, Souvenirläden und Museen wird sie von zahlreichen geführten Touristengruppen bevölkert, die aus den Bäuchen der Kreuzfahrtschiffe auf den Rathausplatz gespuckt wurden.

Mit alten, engstehenden Gebäuden, verschlungenen kopfsteingepflasterten Straßen, verwinkelten Höfen und Gassen und der höchsten Temposchwelle die ich je gesehen habe, ist sie alles andere als autogerecht und deshalb umso schöner. Spaziert man verträumt durch die engen Gassen, scheinen sie einen immer auf den zentralen Rathausplatz zurückzuführen.

24 Euro für einen Kurzhaarschnitt?

Um dem touristischem Altstadthimmel zu entkommen, beschloss ich mir für hoffentlich kleines Geld die Haare schneiden zu lassen. Angesichts der im Vergleich zu Skandinavien niedrigen Preise eine zumindest naheliegende Idee. In einer Shoppingmall, die auch an der Westküste der USA stehen könnte, traf ich aber nur einen schicken aber dementsprechend teuren Barbershop an.

Auch der Friseur im Hotel hatte keinen Dienst, so ließ ich mir an der Rezeption den nächsten Friseursalon empfehlen. Dort angekommen, wurde ich schroff abgewiesen. Man hätte keine Zeit und überhaupt würde ein Herrenhaarschnitt stolze 24 Euro kosten.  Ich gab auf und wandte mich wieder den Sehenswürdigkeiten zu.

Unterschiedlichste Eindrücke im Kadriorg-Park

Nachdem ich im Westen begonnen hatte nahm ich mir nun den Osten Tallinns vor, der von einem großen Park dominiert wird. Beim Spaziergang durch den Park kam ich als ersten an einem Rosengarten vorüber in dem das PR-Event eines Getränkeherstellers ablief. Auf den Stufen des Rosengartens saßen Künstler vor Staffeleien und malten, während sie ein prickelndes roséfarbenes alkoholisches Getränk konsumierten. Beschallt wurde das Ganze von einem trendigen DJ, abgeschirmt von Securities und bestens dokumentiert vom Socialmediateam.

Als nächstes begutachtete ich die Präsidentenvilla, auf deren Stufen zwei geschniegelte Wachen im Stil der Beefeater strammstehen und allzu vorlaute Touristen daran hindern dieselben zu betreten. Ein sehr ordentliches Bild, nur die Thermoskanne hätten sie etwas besser verstecken können.

Die Thermoskanne ist immer dabei

Der Rest des Parks wird von künstlich angelegten Kanälen durchzogen und ist mit hübschen alten Gebäuden und opulenten Blumenbeeten gespickt. Am Rande des Parks findet sich ein japanischer Garten von Masao Sone, einem Gartengestalter aus Kyoto. Die Rasenpflege wird hier großgeschrieben, denn vor jedem Fleckchen Gras abseits der Wege steht ein Schild, welches das Betreten desselben verbietet. Zuwiderhandeln wird vermutlich mittels Körperstrafe geahndet.

Zwischen teurem Bier und alten Sitten

Den Abend ließ ich dann mit einem estnischen Bekannten und seinem Arbeitskollegen im Hipsterviertel der Stadt ausklingen. Da für die halbe Bier in dem ausgesuchten Lokal mit Gastgarten viereinhalb Euro genommen wurden, schwenkten wir bald auf Gin-Tonic und Mojito um.

Im Hotel angekommen musste ich nach alter Sitte noch den Nachtportier wach klingeln, um Einlass zu finden. Ein auf den Stufen zur Eingangstür sitzender englisch wirkender Herr, mit Bierdose und rauchend wie ein Schlot, prophezeite mir, eine halbe Stunde warten zu müssen. Dem war glücklicherweise nicht so, denn eine Minute später befand ich mich bereits in meinem Zimmer.

Auf in die zweitgrößte Stadt Estlands

Am nächsten Tage wollte ich auf Empfehlung meines Bekannten, der aus dieser Gegend stammt, nach Tartu fahren. Leider verpasste ich den angedachten Zug. Ich beschloss aber den nächsten zu nehmen und mir im nahegelegenen Park die Zeit mit einer Dose Bier zu vertreiben. Auf das Trinken von Bier direkt aus der Dose scheint Estland gut eingerichtet zu sein. Der Verschluss der Dose war nämlich noch zusätzlich mit Alufolie umhüllt, so dass man sicher sein kann aus einer sauberen Öffnung zu trinken. Quasi der Mercedes unter den Getränkedosen.

Nach Getränk und begleitender Lektüre bestieg ich den Zug, ein moderner Triebwagen, ganz ähnlich denen, die von den Österreichischen Bundesbahnen für ihre Regionalzüge verwendet werden. Die Zugfahrt dauerte etwa zwei Stunden. Aufgrund der gleichmäßig flachen Landschaft Estlands gibt es leider keine hohen Bahndämme, von denen aus man die Aussicht genießen könnte. Die meiste Zeit begutachtet man einen Streifen Grün der Wälder, welche die Strecke säumen.

Spaziergang durch alterwürdige Stadt

Tartu ist mit knapp 100.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Estlands, dennoch hatte ich vorher noch nie von ihr gehört. Am Weg vom Bahnhof zum Hauptplatz stehen zahlreiche alte und verfallene Gebäude, welche bezeugen, dass die Stadt schon einmal bessere Tage gesehen hat. Wann diese genau waren, kann ich aber auch nicht beantworten. Dann durchquerte ich einen auf einem Hügel gelegenen Park, von dem aus man sich einen Überblick über verschaffen kann.

Der mit weißen Fähnchen geschmückte Hauptplatz macht mit seinen zahlreichen Gastgärten einen gemütlichen Eindruck. Ich überlegte kurz dem Tourismus- und Informationsbüro der Stadt meine Aufwartung zu machen, um den Grund für die Beflaggung zu erfahren. Ich verzichtete aber darauf, überquerte den Embach (auf estnisch Emajõgi, was so viel wie „Mutterfluss“ heißen soll), welcher Tartu durchzieht, und spazierte zielstrebig ans Ende der Stadt, da ich über die dortigen Sehenswürdigkeiten von meinem Bekannten bereits in Kenntnis gesetzt war.

Sehenswürdigkeiten für Tartu

In einem Anfall touristischen Übermutes hatte man beschlossen, den Stadtrand von Tartu mit zwei Attraktionen zu segnen. Bis zum Bau derselben war vermutlich die Trafostation das interessanteste Gebäude der Gegend. Die erste Attraktion ist ein auf den Kopf gestelltes Haus, das für den stolzen Preis von 7 Euro und 50 Cent auch betreten werden kann.

Da ich nun schon einmal da war, beschloss ich, den Obolus zu löhnen und mir das Haus von innen anzusehen. Da das Haus nicht nur am Kopf steht, sondern auch gekippt ist, löst das herumspazieren darin ein leichtes Gefühl der Seekrankheit aus. Es könnte aber auch der Mojito von letzter Nacht gewesen sein. Die zweite Attraktion ist ein riesiger Glaskeil, der das Nationalmuseum von Estland beherbergt.

Der glasgewordene Traum eines estnischen Tourismusverbandes

Da es aber auch schon wieder Zeit war, die Rückreise anzutreten, ließ ich es bei einem Besuch in der Lobby des Museums bewenden, um entlang grillenzirpender Felder zurück zum Bahnhof zu spazieren und den nächsten Zug nach Tallinn zu besteigen.  Auf der Rückfahrt nach Helsinki suchte ich mir noch aus den unzähligen vom Seegang klirrenden Flaschen im Duty-free-Shop der Fähre noch zwei aus um sie als Mitbringsel mit nach Hause zu nehmen.


Vorherige Teile hier lesen:

„Vom Skagerrak zum Baltikum – Teil 1: Ordnung, Kunst, faschierte Krapfen”

Vom Skagerrak zum Baltikum – Teil 2: Sauna, Fähre, Sandstrand

Über den Autor

Tino Taffanek

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