Wenn nichts mehr bleibt – Ödön von Horváth und das Vaterland
Unter der Herrschaft des Nationalsozialismus entwickelten sich in Deutschland zahlreiche literarische Strömungen, die sich zum Teil sehr unterschiedlich zum Regime positionierten. FREILICH-Redakteur Mike Gutsing stellt anlässlich seines 122. Geburtstags einen Autor vor, der zeitlebens keinen Frieden mit den neuen Verhältnissen schließen konnte: Ödön von Horváth.
Zu den oppositionellen Schriftstellern in der Zeit des „europäischen Bürgerkriegs“ (Ernst Nolte) werden zu Recht ganze Regalmeter an Texten veröffentlicht und ihre Werke gehören zum festen Lesekanon vieler Schülergenerationen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Hinter den Autoren steht zum Teil eine penetrante Säkulärreligion, die den Werken eine völlig unkritische Würdigung entgegenbringt. Auf der anderen Seite trübt nicht selten genau diese Verkitschung auch den Blick freiheitlich-rechter Literaturliebhaber auf die oppositionellen Schriftsteller des frühen 20. Jahrhunderts.
Einer dieser Autoren ist jung verstorbener Autor Ödön von Horváth (1901-1938). Als Sohn einer deutsch-ungarischen Diplomatenfamilie wächst er Fiume, Belgrad und Budapest auf und erlebt seit der frühsten Jugend das Ineinandergreifen verschiedener Ethnien im Habsburger Vielvölkerreich. In Budapest lernt er ungarisch, doch bis zum Ende seines Lebens wird Deutsch, die Sprache der Mutter, seine präferierte Wahl sein. Nach seiner Ausbildung studiert der junge Ödön an der Universität München und begeistert sich für die schönen Künste. Während seines Studiums entwickelt er erste Texte, arbeitet als Bühnenautor und 1929 wird sein Stück Sladek, der schwarze Reichswehrmann in Berlin öffentlichkeitswirksam uraufgeführt.
Der innere Kampf
Bei Sladek legt Horváth den Grundstein seiner späteren Werke, mit seinen Figuren versucht er das Publikum vor den Sogkräften des Faschismus zu warnen und versucht doch dessen innere Mechanismen zu ergründen. Er selbst formulierte seinen Ansatz in einem Interview anlässlich der Uraufführung von Sladek folgendermaßen: „Sladek ist als Figur ein völlig aus unserer Zeit herausgeborener und nur durch sie erklärbarer Typ. […] Ein ausgesprochener Vertreter jener Jugend, jenes ‚Jahrgangs 1902‘, der in seiner Pubertät die ‚große Zeit‘, Krieg und Inflation, mitgemacht hat, ist er der Typus des Traditionslosen, Entwurzelten, dem jedes feste Fundament fehlt, und der so zum Prototyp des Mitläufers wird.“.
Buchempfehlungen der Redaktion:
➡️ Ödön von Horváth – Sladek der schwarze Reichswehrmann*
➡️ Ödön von Horváth – Jugend ohne Gott*
➡️ Ödön von Horváth – Geschichten aus dem Wiener Wald*
➡️ Ödön von Horváth – Gesammelte Romane & Erzählungen*
➡️ Ödön von Horváth – Der ewige Spießer*
Für die Nationalsozialisten ist Horváth ein Zersetzer, ein kultureller Demagoge, der im Herzen des Reiches die Zukunft Deutschlands zu untergraben versucht. Diese Vorwürfe verdichten sich durch seine Stücke Italienische Nacht und Geschichten aus dem Wiener Wald nur weiter und Horváth wird wenige Jahre nach der Machtergreifung mit Aufführungsverbot belegt. Die Zugehörigkeit zur „Union nationaler Schriftsteller“ zeigt, dass der regierungskritische Schriftsteller durchaus versuchte, seinen Platz im neuen System zu finden. Mit Jugend ohne Gott gelingt Horváth ein weiterer großer Erfolg als Schriftsteller. Das Buch ist eine scharfe Darstellung über die Zuspitzung des Lebens in die nationalsozialistische Ideologie, Horváth gelingt es, mit einem kalten, fast schon unangenehmen Stil seine Wahrnehmungen der Zeit in ein Sozialdrama zu binden. Jugend ohne Gott wird kurz nach seinem Erscheinen auf die Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums gesetzt und im Deutschen Reich von den Behörden eingezogen.
Ein Kind der „großen Zeit“
Ödön von Horváth wird während eines Unwetters in Paris 1938 von einem Ast erschlagen und stirbt. Ein Sinnbild für eine Generation, die wie ihre Vorgänger einen vermeintlich sinnlosen Tod in den Stahlgewittern der Weltkriege stirbt? Ob dieser Vergleich Horváth gefallen hätte, ist eine reine Spekulation. Doch vermutlich hätte er auch heute wieder genug Stoff für seine Werke gefunden. Eine sterbende Gesellschaft, die sich selbst zu viel geworden ist; die Verbitterung, die Teile der Bevölkerung angesichts der scheinbaren Unveränderlichkeit der Verhältnisse ergreift – Horváth hätte sie ergründen wollen. Und auch wenn Ödön von Horváth kein „Rechter“ war, so gilt es auch sein Werk zu schätzen, denn er war ehrlicher um das Verständnis seiner Zeit bemüht, als viele seiner Verehrer um die jetzige Zeit sind..
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