Abschied auf Raten: Das System Merkel bröckelt allmählich

Am gestrigen Montag entschied sich die langjährige deutsche Kanzlerin Angela Merkel, im Dezember nicht erneut für den CDU-Parteivorsitz zu kandidieren. Dies ist zwar ein kleiner Schritt auf dem Weg aus der deutschen Misere – eine verfrühte Feierstimmung ist dennoch fehl am Platz. Denn das ‚System Merkel‘ muss bröckeln.
Julian Schernthaner
Kommentar von
31.10.2018
/
3 Minuten Lesezeit
Abschied auf Raten: Das System Merkel bröckelt allmählich

Bundeskanzlerin Angela Merkel [CC0]

Am gestrigen Montag entschied sich die langjährige deutsche Kanzlerin Angela Merkel, im Dezember nicht erneut für den CDU-Parteivorsitz zu kandidieren. Dies ist zwar ein kleiner Schritt auf dem Weg aus der deutschen Misere – eine verfrühte Feierstimmung ist dennoch fehl am Platz. Denn das ‚System Merkel‘ muss bröckeln.

Kommentar von Julian Schernthaner

Sie galt jahrelang als unantastbar – und wurde durch die Folgen ihrer Politik der offenen Grenzen zu einem negativen Symbol der Migrationskrise. Über Jahre konnte die ewige Pragmatikerin quasi schalten und walten – und jede sachpolitische Nullnummer überspielen. So dominant war ihre Position, dass man ihre Ägide mit Fug und Recht als ‚Merkelzeit‘ bezeichnen könnte. Und folgerichtig konnte der Ruf nach ihrem Abschied auch nur „Merkel muss weg“ lauten. Ihr absehbarer Abgang – es ist wie der erste Sonnenstrahl nach einem langen, kalten Winter.

Nur keine verfrühten Jubelstürme

Gleichzeitig darf man allerdings nun nicht in tosende Jubelstürme ausbrechen, wenn das Ende der Sonnenkanzlerin einst gekommen sein wird. Auch wenn Merkel „fast weg“ ist – und in der eigenen Partei auch als Kanzlerin nicht mehr unumstritten, so ist keinesfalls Entwarnung gegeben. Ebenso selbstverständlich wie die Mecklenburgerin stellvertretend für ein ganzes System steht, so schafft sich dieses nicht ab, nur weil Merkel geht. Selbst dann nicht, wenn sie zeitnah auch das Kanzleramt räumt. Das Gebilde bröckelt und es bröckelt gewaltig – aber es fällt noch nicht.

Denn unzählige Personen in offiziellen und versteckteren Positionen trugen seit jeher den Merkel’schen Konsens mit. Die Kanzlerin selbst verstand es schon immer, die Willigen und Willfährigen um sich zu scharen. Und wie bei der mythologischen Hydra bedeutet das Abschlagen eines einzelnen Hauptes nicht das Ende des Ungeheuers. In den Startlöchern scharren bereits die Ersten, welche den künftigen Weg vorgeben wollen und greifen nach den Streben der Macht.

Nachfolger ohne Perspektiven

Dabei fällt auf – eine Wahl wäre hier für Deutschland schlechter als die nächste. Die Positionen und Ausrichtungen von Kramp-Karrenbauer unterschieden sich von Merkel ähnlich gravierend wie beide Seiten eines blanken Blattes Druckpapier. Der von Merkel einst verdrängte Merz brachte zwar den Begriff der deutschen Leitkultur in die Politik. Aber er unterschrieb unlängst ein Plädoyer für ein vereinigtes Europa – tritt also für weitere Verwässerung der deutschen Souveranität innerhalb Europas ein. Beide würden einen metaphorischen Pilz in der Wand nur notdürftig überpinseln, anstatt ihn ordentlich zu bekämpfen.

Bliebe Spahn übrig, der als ausgesprochener Kritiker des Merkelkurses gilt – und dafür sogar einst Lob von AfD-Fraktionschef Alexander Gauland einheimste. Ob es ihm allerdings gelingen würde, sich quasi als ‚deutscher Sebastian Kurz‘ zu inszenieren, bleibt zu hinterfragen. Selbst wenn er einen ähnlichen Kurs führe, so hätte er erzwungenerweise weiterhin die Reihe jener Linksunionisten um sich, welche im vergangenen Herbst offen mit einer Koalition mit den Grünen kokettierten. Und im Gegensatz zum Kollegen in den Alpen einen Koalitionspartner, der ihn eher nach links treiben will. Mit der SPD war und ist kein Staat zu machen – und das wird auch so bleiben.

Der Linksruck der Union

Es ist übrigens genau diese „Sozialdemokratisierung“ der Union, welche das eigentliche Problem schafft. Neben einer zweiten und dritten Reihe, welche diese sehenden Auges begeistert mittrugen, profitierte eine ganze Reihe an Günstlingen. Wobei man sagen muss: Ich gehöre zu jenen, welche Merkel nicht als Urheberin des fatalen Linksrucks der Union sehen. Denn ein pragmatischer Kanzler ist stets nur so gut wie seine engsten Berater – und die Berater nur so gut wie der Unterbau. Und genau dieser Unterbau verschob das Fenster des Sag- und Machbaren immer weiter fernab der Realität.

Und hier ist die Crux: Eine zunehmend linke Riege, welche bereits die Institutionen und das kulturelle Leben unterwanderte, strebte ab 1998 in politische Posten. RAF-Anwälte und Teilnehmer an Straßenschlachten gegen Polizisten wurden zu Bundesministern. Stramme Linke wurden zu Staatssekretären – und blieben es teilweise auch im Kabinett Merkel I. Längst hatten sie ihre Seilschaften geformt und trieben den eigentlich machthabenden Koalitionspartner vor sich her. Und als schwarz-gelb kam, war der Schaden in der Union längst angerichtet. Ein Ende dieser stetigen Linksbewegung wäre Balsam auf der Seele zahlreicher leidgeprüfter Deutscher.

Seilschaften bleiben erhalten

Und es sind diese Seilschaften, für welche der kurze Dienstweg zum Tagesgeschäft zählt, welche die Frage nach dem eigentlichen Systemwechsel ausmachen – in allen Feldern der Gesellschaft. Ob es Journalisten sind, die als Studenten  gegen die Springerpresse auf die Barrikaden gingen um Jahrzehnte später aus derselben pensioniert werden. Ob es Richter sind, welche entlang einer lange unumwerflich scheinenden Feel-Good-Multikulti-Doktrin bei ihren Urteilen „Kulturboni“ verteilen.

Kein Zurücklehnen nach ‚Merkeldämmerung‘

Sie alle sind ebenso Teil des ‚Systems Merkel‘ – und müssen deshalb ebenso ausgetauscht werden, ehe sie uns austauschen können. Wer nachhaltig möchte, dass sich das gesellschaftliche Klima ändert, darf nicht zur Tagesordnung übergehen, nur weil die Rädelsführerin dieser Zirkel abdankt. Die Seilschaften bestehen weiter – und haben jede Menge gefühlte oder tatsächliche Macht. Sie lassen sich von einem Austausch der Symbolfiguren nicht überzeugen.

Es gilt weiterhin, eigene Positionen in den Diskurs zu bringen, eine Gegenkultur und Gegenöffentlichkeit zu entwerfen und nachhaltig in die Mitte der Gesellschaft zu strömen. Alles andere führt nämlich nur zum selben alten Herold der verkündet: „Der König ist tot, lang lebe der König.“ Wir brauchen keinen neuen Sonnenkanzler, der dasselbe Lied vom sanften Totalitarismus singt. Wir wollen, dass in Deutschland endlich wieder der Wind der Freiheit weht. Und dafür müssen ihre Paläste weiter bröckeln.


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Angela Merkel will auf Parteivorsitz verzichten – Merz in den Startlöchern (29.10.2018)

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Über den Autor
Julian Schernthaner

Julian Schernthaner

Der studierte Sprachwissenschafter wurde 1988 in Innsbruck geboren und lebte sieben Jahre in Großbritannien. Vor kurzem verlegte er seinen Lebensmittelpunkt ins malerische Innviertel, dessen Hügel, Wiesen und Wälder er gerne bewandert.

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