Das Buch „Z“: Authentische Zeugnisse des Krieges
Im vergangenen Jahr erschien im Schwarzhundert-Verlag das Buch „Z“, das die düstere Realität des Krieges zwischen Russland und der Ukraine aus authentischer Perspektive dokumentiert. Dem Buch gelingt dies ohne Glorifizierung, aber mit erschütternden Details, so Ilia Ryvkin in seiner Rezension für FREILICH.
Der Buchstabe „Z“, das markante taktische Zeichen, das im Februar 2022 auf russischen Panzerkolonnen auftauchte, durchbrach mit einem grellen Zickzack den symbolischen Horizont – nur um bald wieder zu verblassen. Es prägte kyrillische Titel von Telegram-Kanälen, zierte als gefaltetes St.-Georgs-Bändchen die Logos staatlicher Medien und fand sich vor allem in der Provinz auf unzähligen Windschutzscheiben.
Doch allmählich begann das „Z“ aus dem öffentlichen Raum zu verschwinden. Mit Schaber und Geduld entfernten Autobesitzer das „Z“ von ihren Windschutzscheiben, um sicherzugehen, dass ihre Fahrzeuge nicht zur unfreiwilligen Bühne für politische Meinungsverschiedenheiten würden. Auch hinter den dicken Mauern des legendären grauen Bauwerks am Alten Platz, in dem das Präsidialamt ansässig ist, soll man beschlossen haben, das „Z“ vorsichtig, aber konsequent aus dem Fokus zu nehmen. Das Zeichen hat seinen Dienst getan. Eine unkontrollierte patriotische Mobilisierung birgt Risiken für die gesellschaftliche Stabilität – eine Lehre aus der Geschichte, als fremdgesteuerte Demagogen vor über hundert Jahren patriotische Rhetorik nutzten, um das Zarenreich während des Ersten Weltkriegs zu stürzen.
„Z“ bleibt in Szene weiter erhalten
Mittlerweile hat sich im Land eine Szene etabliert, die die Unterstützung der „Spezialoperation“ stolz zu ihrem Markenzeichen gemacht hat. Die „Z-Dichtung“ und die „Z-Bänder“ sind inzwischen Synonyme für eine breite Strömung, in der ästhetische Ansätze und politische Ansichten in wildem Durcheinander brodeln – Hauptsache, das „Z“ sitzt.
Manche dieser Künstler haben den Turbo gezündet und sind direkt aus den düsteren Kellerclubs in die grellen Studios der Hauptkanäle katapultiert worden. Dabei ging es nicht an der schwerfälligen offiziellen Erzählweise vorbei: Gegner sind „Nationalisten“, aber die Ukrainer? Ein „Brüdervolk“, mit dem man zu Sowjetzeiten so märchenhaft harmonierte. Dass die Rechnung für siebzig Jahre Multikulti letztlich beim russischen Volk landete, scheint in den Staatsmedien nicht gerade ein Aufmacher zu sein.
Ereignisse des Jahres 2022
Eine längere Einführung war unerlässlich, um die Skepsis zu erklären, die mich beim Anblick des Buches erfasste. Auf dem Einband: ein „Z“ aus Asche, zwischen verkohlten Zetteln mit Aufschriften wie „Brudervölker“, „Ukraine“, „internationales Recht“, „Ende der Geschichte“, „postsowjetische Grenzen“, aber auch „Frieden“. Es handelt sich um eine Sammlung authentischer Zeugnisse der Ereignisse des Jahres 2022, verfasst von Militärangehörigen, neurussischen Zivilisten und Freiwilligen, die unmittelbar daran beteiligt waren. Schon beim ersten Lesen schwanden meine anfänglichen Bedenken. Doch bevor wir uns den Berichten zuwenden, verdienen die Verfasser und der Verlag einige Worte der Aufmerksamkeit.
Der Schwarzhundert-Verlag entstand vor über zehn Jahren aus der Initiative einiger idealistischer Freunde. Sie wollten den Russen vor allem ihre im Bolschewismus und den darauf folgenden Wirren entstellte Geschichte wieder zugänglich machen. Im 17. Jahrhundert formierte sich das einfache Volk unter dem Namen Schwarzhundert, um während des Großen Wirrens das Vaterland zu schützen. Auch der Verlag entwickelte sich völlig unabhängig von staatlicher Unterstützung, wuchs kontinuierlich und eröffnete schließlich sogar einige rechte Buchhandlungen. Politisch kombinieren die Verleger den Rückgriff auf die Tradition des Zarenreiches mit freiheitlichen Ansätzen. Wie das zusammenpasst? „Freiheit unten, Autorität oben“, zitiere ich hier Charles Maurras. Dabei steht das Z-Buch ausschließlich für gesammelte Zeugnisse, nicht für Ideologie. Einige ausgewählte Stimmen stelle ich hier näher vor.
Das Buch beginnt mit einem Vorwort des Historikers Eugenij Norin, der die Ereignisse des Jahres 2022 seziert – ohne die gewohnte Portion Glanz und Gloria, wie man sie aus Ministerialberichten kennt, dafür mit einem scharfen Blick für jene Details, die sich nur aus unmittelbarer Nähe erfassen lassen.
Die Wirren der Wochen und Monate
Die erste Zeugenstimme gehört einem Zivilisten aus Mariupol. Sobald Granatsplitter Wände wie Papier durchdringen und Betonstücke durch die Wohnung fegen, offenbart sich die Ohnmacht gegenüber der Gefahr. Das Haus wird zur Falle: Bleiben ist Wahnsinn, Gehen ist Selbstmord. Die Kälte in den Kellern zwingt die Körper zur Wachsamkeit, während der schwindende Proviant eine andere Art von Bedrohung mit sich bringt. Alles Gewohnte weicht einer instinktiven Angst. Aber gerade inmitten all des Zerfalls finden die Menschen wieder zueinander – als ob der Krieg der Nährboden für eine neue Gesellschaft wäre.
Das Chaos des Krieges, für das das riesige Land mit seinen unzähligen Widersprüchen offenbar wenig gerüstet war, zieht sich besonders in den ersten Kapiteln durch, in denen die Anfänge der „Spezialoperation“ beleuchtet werden. Mangelhafte Ausbildungsstände und fehlende Ausrüstung der Einsatzkräfte, in Kombination mit inkohärenter Befehlsführung, führten zum Fiasko der Frühjahr-Sommer-Offensive 2022. Auch unter diesen schwierigen Bedingungen zeigte man eine beispiellose Standhaftigkeit, während die patriotische Mobilisierung der einfachen Bevölkerung die russische Gesellschaft stützte. Auch diese paar Dutzend Texte von Freiwilligen und Mobilisierten, medizinischem Personal, humanitären Helfern und Journalisten spiegeln mit all ihrer inhaltlichen und stilistischen Verschiedenartigkeit die Wirren der beschriebenen Wochen und Monate wider – in einem Land, dessen offizieller Diskurs ohnehin kaum durch Stilsicherheit überzeugt. Vielleicht erklärt sich daraus auch das etwas übermäßige Design des Buches.
Der letzte Marsch
Einige der Beiträge können in der Tat mit ihrem Tiefgang glänzen. Dmitri Bastrakov, auch der Mann hinter dem Verlag Schwarzhundert, erzählt von seiner Reise durch das Land, begleitet von dem Sarg eines Kameraden – ein russisches Urthema. Ihm wird der Auftrag erteilt, den Leichnam eines Kameraden auf dem letzten Marsch in die Stadt Naberezhnye Chelny am Fluss Kama zu begleiten. Es beginnt mit einem Autokühlschrank: „Darin lagen die Leichen in ungeordneten Haufen übereinander: in Uniform und nackt, unversehrt und zerstückt. Verbrannt und vernarbt. Ein erstickender süßsaurer Geruch mit einem Hauch von abgestandenem, starkem Käse schlug mir in die Nase. [...] Manchmal fiel etwas von ihnen ab oder fiel aus ihnen heraus, vor allem aus fetten Kadavern. [...] „Wessen Leichen sind das?“, fragte ich. „Nicht Leichen, sondern Körper“, korrigierte mich der ältere Mann vergrämt.“
Die Reise führt durch ein militärisches Leichenschauhaus, eine von zwei Militäreinheiten, die auf die Identifizierung und Bestattung von Soldaten spezialisiert sind, die andere Einheit ist seit dem Vietnamkrieg in Oklahoma stationiert. Die „Körper“ verfolgen ihn, ihre Bilder tauchen in seinen Träumen auf, während er in einem Bordell in Donezk oder einem St. Petersburger Nachtclub verweilt, während er Fast Food konsumiert, und doch bleibt der Gedanke an den gefallenen Kameraden sein beständiger Begleiter.
Das Herzstück des Buches
Das Herzstück des Buches bildet jedoch die Erzählung von Hauptmann Igor Manguschew. Der legendäre Kommandeur ist vielen, auch seinen Gegnern, vor allem wegen einer umstrittenen Geste bekannt: Auf der Bühne präsentierte er den Schädel eines angeblich gefallenen ukrainischen Soldaten. Der Hauptmann war der Mann, der im Krieg seinen Platz fand, ein Siegfried-Typ: schneidig und unerschrocken, überall eine Flamme der Begeisterung entfachend. Einst Teilnehmer am Volksaufstand im Donbass 2014, war er später gezwungen, die Republiken und Russland zu verlassen. Er ging in den Libanon, wo er mit der Hisbollah „Geschäfte“ machte, und als der nächste Krieg ausbrach, kehrte er zurück, brachte eine Hisbollah-Fahne und exotischen arabischen Alkohol mit und gründete die erste Einheit zur elektronischen Drohnenabwehr.
So formuliert er seine Philosophie des Krieges: „Manche werden sagen, 2014 hatten wir eine Anarchie, die jetzt verloren ist, aber das sehe ich anders. Wir haben immer noch eine Anarchie, und genau das ist der Schlüssel zu unserem Sieg. Wenn sie versuchen, ein hierarchisches System aufzubauen, geht sowieso alles den Bach runter. Aber wenn die Leute unten die Initiative haben, dann läuft die Sache. [...] Am Ende zeigt unser Beispiel, dass der Hauptfaktor der Enthusiasmus ist, und das Verteidigungsministerium brauchen wir eigentlich nur für Flugzeuge und Raketen. Oder wir besorgen uns die Technik auch selbst.“
Es war das anarchistische Element, das den Hauptmann tötete. Am 04.02.2023 wurde er weit hinter der Frontlinie aus nächster Nähe mit einer kurzläufigen Waffe in den Hinterkopf geschossen und erlebte die Veröffentlichung dieses Buches nicht mehr.
Sachlichkeit statt Propaganda
Am meisten beeindruckte mich der Bericht eines Wagner-Kämpfers mit dem Funkrufzeichen „Ghost“. Ein ehemaliger Häftling beschreibt mit der Präzision eines Einsatzberichts seine Teilnahme am „Bakhmut-Fleischwolf“. Prägnanter habe ich nie einen Text gelesen. Seine Worte sind kein „Gold wert“, sondern Bleigeschosse – genauer: eine sparsame Munitionsladung. Kein Wort ohne Ziel. Der Text läuft wie eine Kriegsmaschine, deren Mechanik in der russischen Literatur ihresgleichen sucht.
Den Herausgebern und Verlegern gebührt ein verdienter Erfolg. Indem sie konsequent auf Sachlichkeit setzen und Propaganda sowie aufdringliche Deutungen vermeiden, ist ihnen ein präzises dokumentarisches Panorama der Ereignisse des Jahres 2022 gelungen. Man darf gespannt sein auf die Fortsetzung, vor allem, da bereits der nächste Band zu den Geschehnissen des Jahres 2023 in Aussicht gestellt wurde.