Die vierte Lesung: Auf zum Atom!
Österreich sollte die Kernenergie neu bewerten, meint der Politikberater Robert Willacker in seinem Kommentar für FREILICH. Angesichts internationaler Krisen und wachsender Energieunsicherheit sieht er in der Atomkraft eine Chance für Unabhängigkeit und Nachhaltigkeit.
Österreich ist stolz auf seine Anti-Atomkraft-Haltung. Die Ablehnung von Kernkraftwerken ist tief in der politischen und kulturellen Identität des Landes und seiner Bevölkerung verankert. Doch in einer Zeit, in der internationale Abhängigkeiten und Energieunsicherheit zu zentralen Herausforderungen geworden sind, stellt sich die Frage: Ist es nicht an der Zeit, diese dogmatische Haltung zur Atomkraft zu überdenken?
Die Energienachfrage wächst
Die österreichische Ablehnung von Atomenergie basiert auf einer Mischung aus historischen Erfahrungen wie der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl und einer starken Bindung an die Idee von ausreichend vorhandener „sicherer Energie“, etwa durch Wasserkraft. Mit seinem großen Potenzial für Wasserkraft galt Österreich zudem lange als Vorreiter in Sachen erneuerbarer Energie. Doch es bleibt dabei: die Energienachfrage wächst und die Versorgungssicherheit wird angesichts internationaler Krisen immer schwieriger zu gewährleisten sein. Zumal eine Abhängigkeit von internationalen Energielieferungen auch den Neutralitätsstatus zu untergraben droht, wenn in Schlüsselbereichen keine Autarkie vorhanden ist.
Atomkraft als klimafreundliche Alternative
Atomkraft, oft als Relikt der Vergangenheit abgetan, hat in den letzten Jahrzehnten bedeutende Fortschritte gemacht. Moderne Reaktortechnologien bieten sichere, effiziente und skalierbare Lösungen, die weit von den problembehafteten Konzepten der 70er- und 80er-Jahre entfernt sind. Atomkraftwerke produzieren keine nennenswerten CO₂-Emissionen und spielen laut IPCC, dem International Panel on Climate Change, eine wichtige Rolle im Übergang zu einer kohlenstoffneutralen Welt. Länder wie Frankreich und zahlreiche weitere europäische Staaten beweisen zudem seit Jahrzehnten, dass Kernkraft eine sichere und tragfähige Säule der nationalen Energiepolitik sein kann und bis zu einem gewissen Grad auch sein muss, wenn man Leistbarkeit, Verfügbarkeit und Unabhängigkeit von Energiegewinnung vereinen möchte.
Auch unterliegt Atomkraft kaum Preisschwankungen, wie wir sie in ganz erheblichem Maße von fossilen Brennstoffen wie Erdöl oder Gas kennen. Hinzu kommt, dass nur wenig Brennstoff benötigt wird, um große Mengen an Energie zu erzeugen, was nicht nur den Verbrauch von Rohstoffen senkt, sondern auch die Kosten für Abbau, Transport und Verarbeitung.
Atomstrom als Teil der Lösung
Auch das Thema Flächenfraß und Bodenverdichtung, ein österreichsicher Diskussionsklassiker, würde positiv davon beeinflusst. Ein 1 GW-Kernkraftwerk benötigt laut dem Verein Nuklearia mit allen Gebäuden und Anlagen in etwa ein Quadratkilometer Platz, was einer Flussdichte von 1000 W pro Quadratmeter entspricht. Das ist ein hundert- bis tausendfach besseres Verhältnis von Energieerzeugung zu Flächenverbrauch als bei anderen nicht-fossilen Energieträgern wie etwa Windkraftanlagen.
Österreichs pauschale Ablehnung der Atomkraft wirkt vor diesem Hintergrund etwas trotzig und anachronistisch. Auch weil man ganz selbstverständlich den durch Atomkraft produzierten Strom aus dem Ausland importiert, im Inland aber nichts mit dieser Technologie zu tun haben möchte. Oder anders gesagt: wann immer man auf dem (energie-)politischen Weg Deutschlands (und seines Atomkraftverzichts) wandelt, sollten alle Alarmglocken schrillen. Vielleicht ist deshalb jetzt die Zeit gekommen, noch einmal neu zu denken. Was gestern nicht tragbar erschien, könnte heute Teil der Lösung sein. Fortschritt bedeutet, alte Dogmen zu hinterfragen. Und Atomkraft vor dem Hintergrund internationaler Krisen als einen Garant für Unabhängigkeit zu betrachten – gerade im neutralen Österreich.