Linker Kulturkampf: Einsam im Schulduniversum
Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat in seiner berühmtesten Studie ,,Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft’’ aus dem Jahre 1979 jede Form alltäglicher Lebenskultur als Streben nach Unterscheidung (,,Distinktion’’) beschrieben. Opernbesuche, Kleidung, Literaturvorlieben, Musikgeschmack, Urlaubsziele: Immer geht es um Prestigegewinn, um den Erwerb kulturellen Kapitals. Und dieses Kapital lässt sich in Macht, Posten und Geld ummünzen.
Bourdieu schrieb über diese Distinktionsbedürfnisse im Jahre 1979, als die Gesellschaft noch wesentlich homogener war als heute. Zu der Zeit ging es, wie man an den genannten Beispielen unschwer erkennen kann, vor allem um bürgerliche „Distinktionsgewinne“.
Über 40 Jahre später ist die Gesellschaft wesentlich heterogener und multikultureller geworden. Und der kulturhegemonialen Linksverschiebung folgte eine Neufokussierung der kulturellen Linken: Nicht mehr soziale und ökonomische Fragen standen im Vordergrund, sondern identitätspolitische. Die kulturelle Linke gab den Arbeiter auf. Ihr neues Interesse galt sexuellen, geschlechtlichen und ethnischen Minderheiten (LGBTIQ und PoC etc.). Das hat sich bis heute nicht verändert.
Eine linke Neuorientierung
Für das hart umkämpfte Schlachtfeld der Kultur blieben diese Entwicklungen nicht ohne Folgen. Mittlerweile geht es, wie Sophie Liebnitz richtig schreibt, weniger um bürgerliche und mehr um ethnische ,,Distinktionsgewinne’’ – freilich nur im Westen, denn wir sind, bedingt durch Weltoffenheit, Idealisierung von Fremdkulturen und normopathisch-moralische Selbstgeißelung als Folge unseres historischen Erbes, wie Egon Flaig anmerkt, in unserem Schulduniversum weltweit allein.
Heute verzeichnet derjenige ,,Distinktionsgewinne’’, der als Weißer bei Black-Lives-Matter-Demonstrationen mitmarschiert, Migrantengewalt bagatellisiert oder einen verhaltensauffälligen, mit dem Messer in der Öffentlichkeit herumfuchtelnden Senegalesen, der von der Polizei erschossen wird, zum zweiten Heiligen nach George Floyd (v)erklärt, denn schließlich gilt es, so Leon Wilhelm Plöcks, ,,Angehörigen von Minderheiten den Status sakraler Objekte (zu) verleihen, an deren gesellschaftlicher Anerkennung der Fortschritt kultureller und psychosozialer Läuterung von Bevölkerungsmehrheiten abgelesen werden soll.’’ Als geläutert gilt dabei nur die vom weißen Westen erfundene Spezies der Schuldkröte.
Es schwingt im linksdominierten Diskurs immer ein gewaltiger Hauch von Kollektivschuld mit, die, anders als die Erbsünde Menschen im Sinne einer geteilten conditio humana nicht verbindet, sondern trennt oder gar gegeneinander aufbringt, wie Sophie Liebnitz richtig beobachtet: ,,Das Ergebnis sind seriell erzeugte Schuldmonaden. Kollektivschuldthesen funktionieren daher als ein ideales divide et impera, solange sich das betroffene Kollektiv sie sich mehrheitlich zu eigen macht.“
Einsamkeit im Schulduniversum
Das führt zu einem politischen Korrektheitswettbewerb, indem man sich als bester Weißer und/oder Deutscher behaupten möchte, um so doch noch von der Seite der Beschuldigten auf die der Beschuldiger wechseln zu können, die im Übrigen, wie Liebnitz schreibt, ,,durch die Übernahme einer Kollektivschuld erst auf den Plan gerufen (werden). Auf diese Weise profitiert ein politischer Gegner, der sich um diese Konstellation herum erst gebildet hat. Auf dem fruchtbaren Misthaufen einer behaupteten ,weißen Schuld’ gedeihen Interessengruppen, die ohne dieses Konzept nie auf die Idee gekommen wären, sich zusammenzuschließen.’’
Black Lives Matter ist eines von vielen Beispielen hierfür. Und die politische Linke, die die Kulturhegemonie auf ihrer Seite weiß, spielt sich mit Organisationen wie Black Lives Matter die Bälle zu. Der ethnische Distinktionsgewinn wird so zum politischen Geländegewinn für Beschuldiger und Schuldkröten.
Das regt natürlich auch andere Minderheitengruppen, die sich als marginalisiert erachten, an, Ansprüche zu stellen, die selten ausgeschlagen werden. Man kann ihnen das nicht einmal verübeln. Sie handeln aus ihrer Sicht rational und reagieren auf Anreize, die ihnen kulturelle Linke geben.
Opfermaximierung als Ziel
Es geht in diesem Spiel immer um Opfermaximierung auf der einen, und um Schuldmaximierung auf der anderen Seite. Oft ist man sich hier nicht mal für Victim Blaiming, also für eine Täter-Opfer-Umkehr, zu schade. Der Fall des von der Polizei erschossenen offiziell 16-jährigen Senegalesen in Dortmund dokumentiert dies eindrucksvoll: Dass er in der Öffentlichkeit mit einem Messer herumirrte und eine Gefahr für andere Menschen darstellte, die einen Einsatz der Polizei erst notwendig machte, wird geflissentlich ignoriert. Stattdessen werden der Polizei fast unisono vom linksdominierten politisch-medialen Komplex, der in gewisser Hinsicht durch sein ständiges Plädoyer für offene Grenzen, Multikulti und einen Remigrationsboykott den Tod des nominaljugendlichen Senegalesen mitzuverantworten hat, Rassismusvorwürfe gemacht.
White Guilt, wie immer. Die alte Leier, die sich hoffentlich bald ausleiert und rechte Distinktionsbedürfnisse nach Beendigung dieses antiweiß-ethnomasochistischen Wahnsinns weckt.
Zur Person:
Tomasz M. Froelich, Jahrgang 1988, ist gebürtiger Hamburger und arbeitet bei der ID-Fraktion im EU-Parlament. Der studierte Ökonom und Politologe ist zudem seit 2019 stellvertretender JA-Bundesvorsitzender.
Twitter: https://twitter.com/TomaszFroelich
Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Suhrkamp, broschiert, 912 Seiten.
Egon Flaig: Die Niederlage der politischen Vernunft. Wie wir die Errungenschaften der Aufklärung verspielen. Zu Klampen Verlag, gebunden, 300 Seiten.
Sophie Liebnitz: Antiweiss. Ein Kulturkampf. Verlag Antaios, gebunden, 96 Seiten.
Leon Wilhelm Plöcks: Die Allianz. Skizze eines Machtprojekts. Verlag Antaios, gebunden, 96 Seiten.