Opposition kritisch: Gewessler will notfalls Kohlekraftwerk reaktivieren
Nachdem die Liefermenge bei russischem Gas zuletzt zurückging, hat auch die schwarz-grüne Bundesregierung gemerkt, dass der Hut brennt. Hastig berief man einen Krisengipfel am Sonntag ein. In der Folge sorgte besonders ein Detail für Verwunderung: Ausgerechnet eine grüne Infrastrukturministerin möchte im Ernstfall wieder zeitweise in die Kohlekraft einsteigen.
Wien. – Eigentlich gilt Österreich – das topographisch mit vielen Gelegenheiten für Wasserkraft gesegnet ist – als Vorreiternation in Europa, was die Energiegewinnung betrifft. Mit der Einstellung des Kohle-Kraftwerks Mellach in der Steiermark war Österreich seit 2020 das erste EU-Land, das sich weder auf Kohle- noch Atomenergie verließ. Ausgerechnet dieses Fernheizkraftwerk will Gewessler nämlich im Fall akuter Gasknappheit – etwa ein Drittel der heimischen Energie wird aus Gas gewonnen – wieder hochfahren. Das brachte ihr Kritik insbesondere von der Opposition ein.
Kickl kritisiert „intelligenzbefreite“ Maßnahme
Nach Ansicht von FPÖ-Chef Herbert Kickl zeigt dieser Schritt einer grünen (!) Ministerin, dass die Sanktionen ihre Wirkung entfalten – „aber leider in die falsche Richtung. Sie sind ein Bumerang.“ Während Russland längst andere Abnehmer für Gas und Öl gefunden habe, stehe unser Land offenbar „am Abgrund“. Angesichts des Regierungsaktionismus fragt er sich, welche Schritte dieser Regierung noch einfallen würden: „Was kommt als nächstes? Reaktivieren wir Zwentendorf? Werden ÖVP und Grüne den erlaubten Gasverbrauch pro Bürger gesetzlich limitieren?“
Die Reaktivierung des Kraftwerks in Mellach, so Kickl, sei besonders „intelligenzbefreit. Denn, weil Kohlestrom den doppelten CO2-Ausstoß im Vergleich zu Strom aus Erdgas, wäre dieser Strom mit Start der CO2-Bepreisung im Herbst besonders teuer. Das komme einer „energiepolitischen Straf-Expedition für die Kunden“ gleich. Schwarz-Grün treibe Bürger „mit unverantwortlicher Sanktionitis in die Armut“ und vernichte „ohne Not den mühsam aufgebauten Wohlstand und zigtausende Jobs. Die Regierung arbeite gegen die Bevölkerung, habe somit ihren Auftrag falsch verstanden und sollte den Hut nehmen.
SPÖ-Schroll: „Akt der Verzweiflung“
Nicht minder scharf fiel die Kritik vonseiten der Sozialdemokratie aus. Die Notwendigkeit, das Kraftwerk in der Steiermark zu reaktivieren, sei „einzig und allein der Untätigkeit der türkis-grünen Regierung geschuldet“. Seit Monaten höre man, dass alles in die Wege geleitet sei, um die Abhängigkeit von russischem Gas zu reduzieren und die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, so Alois Schroll, der Energiesprecher der SPÖ. Doch: „Es blieb stets bei vagen Ankündigungen. Ministerin Gewessler hat letztlich nichts auf den Boden gebraucht und setzt jetzt offenkundig einen Akt der Verzweiflung.“
Schon im Vorfeld des Gipfels hatte sich NEOS-Energiesprecherin Karin Doppelbauer ob des Narrativs der Regierung, die Energieversorgung sei sicher, gewundert: „Wenn alternative Lieferungen so einfach sind, wie Gewessler sagt, warum ist Österreich immer noch zu mehr als 80% von russischem Gas abhängig?“ Von Gewessler kämen nur leere Worte und Beschwichtigungsversuche. Man könne daher „langsam die Frage stellen, was sie eigentlich beruflich macht.“ Sie müsse aufwachen und konkrete Pläne vorlegen, so sie welche habe. Gewessler reagiert, indem sie diesen Anteil auf 70% verringern will.
Neue schiefe Optik um Nehammers Moskau-Trip
Dass die Gasversorgung Österreichs offensichtlich nicht fix gesichert ist und die Gasspeicher weiterhin nicht voll, wirft auch kein gutes Bild auf das Handeln von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP). Dieser reiste zuerst nach Moskau zu Putin und wollte angeblich die Belieferung unseres Landes sichergestellt haben. Später drohte er Gasprom mit der Enteignung eines riesigen Speichers nahe Salzburg, wenn der staatsnahe russische Konzern seine Kapazitäten nicht befülle.
Trotz dieser Inszenierungen als knallharter Macher bleibt nun in der Realität scheinbar wenig übrig. Auch die medienwirksamen Reisen heimischer Regierungsvertreter in den arabischen Raum, um dort Alternativen zu russischem Gas auszuloten, verliefen in Wirklichkeit im Wüstensand.
Inflation in Europa, Rubel auf Rekordhoch
Während die Sanktionspolitik und die unklare Versorgungslage die Energiepreise und die Inflation noch zusätzlich ankurbeln, erholte sich der Rubel-Kurs und steht auf dem stärksten Niveau seit acht Jahren. Am Dienstagmorgen bekam man für einen Rubel im Schnitt etwas mehr als 58 Rubel. Noch vor drei Monaten – also einen Monat nach Kriegsbeginn waren es knapp 145 Rubel auf den Euro.
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba legte Österreich in einem PULS24-Interview indes ans Herz, sich mehr auf den Ausbau erneuerbarer Energien zu konzentrieren. Seiner Ansicht nach hätte Russland „Gas und Öl zu Waffen gemacht“ und führe einen „Energiekrieg gegen Europa“. Sein Land hatte sich bereits seit 15 Jahren ein Hickhack mit dem russischen Nachbarn geliefert. Streitthema war dabei häufig die Transfervergütung sowie die Konditionen, um welche die Ukraine Gas für den Eigenbedarf abzweigen durfte.
Seinen Auftritt am Montagabend verband Kuleba auch damit, neuerlich Waffenlieferungen zu fordern. Österreich freilich ist zumindest auf dem Papier ein neutrales Land und sprach sich bislang dagegen aus, sich an Waffenlieferungen zu beteiligen.