Vorwurf der Dollfuß-Nähe: Droht auch Blümel Skandal um Diplomarbeit?
Nach den Enthüllungen um ein mutmaßliches Plagiat, das zum Rücktritt von Ex-Arbeitsministerin Christine Aschbacher führte und den Diskussionen um eine angeblich mindere Qualität bei der Abschlussarbeit von Innenminister Karl Nehammer gerät mit Finanzminister Gernot Blümel nun schon der dritte ÖVP-Minister in kurzer Zeit wegen schiefer Optik bei akademischen Leistungen ins Visier.
Wien/Brunnenthal. – Es sind schwerwiegende Vorwürfe, mit denen der oberösterreichischeWochenblick am Montag an die Öffentlichkeit ging. Demnach sei die Diplomarbeit Blümels nicht von besonderer Güte, falle nicht durch nennenswerte Eigenleistung auf. Aber auch inhaltlich ergeben sich einige Fragen: Denn mehrere Passagen sollen relativ unkritisch mit Vordenkern der Dollfuß-Diktatur (1933-1938) umgehen.
Parteigeschichte holt die ÖVP immer wieder ein
Der christlich-soziale Engelbert Dollfuß (1892-1934) schaffte es im Frühjahr 1933 mit einem Trick die alleinige Macht in Österreich an sich zu reißen und in der Folge das Parlament auszuschalten. Er selbst sprach stets von der „Selbstausschaltung des Parlaments“. In den folgenden Monaten verwandelte er die Alpenrepublik in einen autoritären Ständestaat, ehe er im Zuge eines Putschversuchs der in Österreich illegalen Nationalsozialisten im Juli 1934 ermordet wurde. Trotz einiger Reformen baute auch sein Nachfolger Kurt Schuschnigg (1897-1977) das repressive Klima nicht ab.
Vielen Mitläufern gelang es zudem, sich nach dem Krieg als demokratischer Widerstand gegen die Hitlerzeit zu gerieren und wieder in die ÖVP als Nachfolgerin der Christlichsozialen einzusickern. Die historische Aufarbeitung in der Volkspartei dauerte lange, noch bis vor wenigen Jahren hängte ein Dollfuß-Porträt im schwarzen Parlamentsklub. Entsprechend wiederkehrend sind Vorwürfe der Nähe zum von vielen Kritikern als „Austrofaschismus“ bezeichneten System. Kurz‘ machtpolitisches Agieren in der aktuellen Krise ließ Vergleiche wieder zusehends salonfähig werden.
Keine kritische Bezugnahme auf Dollfuß-Lobhudelei
Im Fall Blümels drehen sich die Indizien nun etwa darum, dass Blümels Arbeit sich angeblich positiv über die Ansichten von Johannes Messner äußerte, dessen Werke zentrales Thema selbiger sind. Der gebürtige Tiroler war ein Vordenker einer ständischen Ordnung und verklärte Dollfuß unter anderem nach dessen Tod in einem Buch als „heiligen Führer“ der Nation.
In der Version des Finanzministers wird dies so kommentiert: „Durch die Publikation eines Buches über den von den Nazis ermordeten Engelbert Dollfuß handelte sich Messner die Feindschaft des herannahenden Regimes ein.“ Nach Einschätzung des Wochenblick betreibt Blümel durch die fehlende kritische Bezugnahme in seiner Diplomarbeit einen Apologetismus für die damaligen Verhältnisse.
Blümel soll angeblich „antidemokratische Thesen“ affirmieren
Diesen kritischen akademischen Blick lasse er weiters zu den beiden anderen besprochenen christlich-sozialen Ideologen Karl von Vogelsang und Karl Lugmayer, die auch als Wegbereiter der Dollfuß-Ära gelten, vermissen. Auch insgesamt fehle eine Aufarbeitung der „antidemokratischen Thesen“ der damaligen Zeit. Deren illiberaler und antidemokratischer Ausrichtung widerspreche Blümel nicht und ordne sie auch nicht ein. Vielmehr affirmiere er sie sogar.
Ob die fehlende Verdammung ideologisch nahestehender Persönlichkeiten aus neutraler Sicht ausreicht, um Blümel tatsächlich ein Lob oder gar Sympathien für den sogenannten „Austrofaschismus“ nachzuweisen, muss an dieser Stelle offen bleiben. Insbesondere die – wiewohl für ÖVP-Verhältnisse überraschende – Liberalismus-Kritik findet sich nämlich auch bei diversen linken und rechten Intellektuellen gleichermaßen zuhauf, zumal in ähnlich stark wertendem Tonfall.
Akademische Güte schon im Vorjahr ein Streitfall
Deutlicher ist da schon der Vorwurf der angeblich mangelhaften akademischen Güte. Insbesondere weise der heutige türkise Spitzenpolitiker keine tatsächliche Forschungsfrage vor und treffe viele Wertungen ohne akademischen Anspruch. Und dieser Verdacht ist nicht völlig neu. Denn, dass Blümel vielleicht keine lupenreine „Einserarbeit“ ablieferte, war bereits vor etwa einem Jahr in politisch interessierten Twitter-Kreisen ein Thema.
Sogar ZiB2-Anchor Armin Wolf wunderte sich seinerzeit über die Themenwahl, mehrere Nutzer wiesen in der Folge auf von ihnen als mögliche Ungereimtheiten verstandene Umstände hin. So verwende er vor allem populäre Literatur anstatt akademischer Fachwerke und entnehme wichtige Begriffe aus einem Lexikon, ohne sie selbst zu definieren. Eine politische Sprengkraft entwickelten die Vorwürfe damals wenige Tage vor der türkis-grünen Angelobung ohnedies keine.
Blümel könnte Vorwürfe einfach ausschweigen
Auch wenn auch in patriotischen Kreisen die Überlegung einer Überprüfung der Blümel-Arbeit angesichts seiner durchwachsenen politischen Bilanz immer wieder aufkam – lange traute sich niemand so recht drüber. Gleichwohl: Die bisher veröffentlichten Versatzstücke reichen trotz wachsender Relevanz des Blattes wohl nicht aus, um Blümel in Bedrängnis zu bringen, ihn in einen handfesten Skandal zu verstricken. Auch, weil seine Verankerung im Kurz-Umfeld als sehr stark gilt.
Allerdings schreibt der Wochenblick davon, ein „umfangreiches Dossier“ an Plagiatjäger Stefan Weber, der bereits Aschbacher zu Fall brachte, übermittelt zu haben. Gut möglich also, dass die Kollegen noch nicht alle Karten auf den Tisch legten, um im Ernstfall noch nachlegen zu können. Die schiefe Optik bleibt aber unabhängig dessen, wie stark nun die Nähe zu den Dollfuß-Vordenkern ist. Denn für die vielgepriesene Kompetenz der Regierung bürgen die analysierten Diplomarbeiten nicht unbedingt.