Die wichtigste Lehre aus Erdogans Wahlsieg ist beunruhigend
In seinem Kommentar skizziert der AfD-Politiker Joachim Paul die Folgen der Wahlen in der Türkei. Besonders problematisch findet er die Konsequenz der „ethnischen Wahl“, die nun immer krasser zu beobachten sei.
Erdogan hat die Stichwahl für sich entschieden. Beide Kontrahenten versuchten auf der Zielgeraden durch rustikale Profilierungen zu mobilisieren. Erdogan warf den bereits Monate zuvor als „Säufer“ geschmähten Kemal Kılıçdaroğlu vor, der LSBTQ-Verfallsbewegung den Weg zu ebnen und zielte einmal mehr auf seine Zugehörigkeit zum liberal geltenden Alevitentum ab.
Kılıçdaroğlu konterte mit der Anprangerung der Massenzuwanderung überwiegend syrischer Araber, die bereits zu innenpolitischen Spannungen geführt hat. Er empfahl sich so als Nationalist in der Tradition des Staatsgründers Kemal Mustafa Atatürks, der bekanntermaßen wenig für die arabischen Glaubensbrüder jenseits der Grenzen übrighatte. Doch wirkte das Oppositionsbündnis aus kurdischen, liberalen und kemalistischen Elementen auf Unzufriedene und von Erdogan enttäuschte Wähler vermutlich doch zu schillernd, um eine entscheidend größere Sogwirkung zu entfalten.
Einmal mehr zog die Mobilisierungskraft der islamisch-fundamentalistischen Landbevölkerung, die durch eine hohe Geburtenrate nach wie vor ein entscheidender Faktor ist. Und Erdogan selbst die in weiten Teilen hausgemachte Wirtschaftskrise zu verzeihen bereit war.
Ein großer innenpolitischer Fehler
Gerade in Deutschland räumte Erdogan ab. Sein türkisches Wahlvolk feierte entsprechend ausgelassen u.a. in Hamburg, Hof, Duisburg, Stuttgart, Berlin und Wien. Wie so oft waren viele diese Feiern politisch aufgeladene und giftige Machtdemonstrationen, die deutlich zeigen, welchem Land die Loyalität gilt – und zwar unabhängig von der Staatsbürgerschaft. Es dürfte einer der größten innenpolitischen Fehler gewesen sein, ihr umfassend Tür und Tor geöffnet zu haben. Dass die türkische Zuwanderung überwiegend aus den ländlichen Regionen, Anatolien zum Beispiel, stammt, mag eine für die AKP günstige Ausgangslage sein. Das erklärt aber nicht vollends die über viele Jahre überaus gelungene Ausbeute in diesem Elektorat.
Vielmehr – und das belegen die Recherchen und die Erträge der Initiativen der AfD-Landtagsfraktion in Rheinland-Pfalz – gibt es eine starke, verstetigte und mobilisierende Vernetzung zwischen den Moscheegemeinden der „Ditib“, „Milli Görus“, den Ablegern der AKP (UID) und dem türkischen Staat in Gestalt der Konsulate und des Geheimdienstes MIT. An dieser Stelle sei u.a. auf die Große Anfrage zu den Aktivitäten des MIT (Drucksache 17/12544) verwiesen. Zwar blieben die Informationen wegen schutzwürdiger Interesses der Landesbehörden spärlich.
Immerhin konstatierte die Landesregierung aber, dass der MIT durch die Förderung der Thematisierung von „tatsächlichen oder vermeintlichen Fällen von Rassismus, Islamophobie und Türkei-Feindlichkeit“ [!] eine „Einflussnahmestrategie“ verfolge, die offenkundige Wirkung auf die sogenannte Community hat. Experten versicherten uns hinter vorgehaltener Hand, dass der hohe Organisationsgrad dieses Milieus ebenso wie die Finanzierung aus der Türkei bemerkenswert und politisch signifikant sei. Die Funktionäre wüssten genau, wo sie ansetzen müssten – z.B. in der Kommunalpolitik.
Finanzierung aus der Türkei
Kleinere religiöse oder weltanschauliche Friktionen werden in diesem Netzwerk übrigens zu Gunsten des Großziels hintenangestellt. Und das heißt: Aufbau eines Schattenstaates in einem mitunter als „westtürkisch“ deklarierten Gebiet. So organisierten „Ditib“-Moscheegemeinden bundesweit Fahrten zu den Konsulaten, um das türkische Wahlvolk umfassend an die Urne zu bringen. Der Wahlkampfendspurt erfolgte dann auf der Strecke. Es ist übrigens ein offenes Geheimnis, dass die türkischen Konsulate an der Schaffung vieler doppelter Staatsbürgerschaften tatkräftig mitwirken, indem sie beim Erwerb des deutschen Passes insgeheim für den Erhalt der türkischen Staatsbürgerschaft sorgen – und das systematisch.
Angesichts der Wahlergebnisse und der Schlagseite des Wahlverhaltens ist der Begriff der „ethnischen Wahl“ einmal mehr in die Debatte eingeführt worden. Richtig ist, dass das Pro-Erdogan-Milieu hierzulande linke Parteien wählt und unterstützt, weil es sich von einer „schwachen, verwirrten, multikulturellen, gespaltenen und offenen“ Gesellschaft (Robert Wagner) zurecht die Beförderung ihrer Agenda verspricht. Die Entwicklung wird sich zukünftig minderheitenübergreifend verstärken, sofern die Massenzuwanderung ungebremst fortschreitet. Die Wahl Erdogans und die verstetigte Mobilisierung des Milieus zu seinen Gunsten zeigt aber bereits ein fortgeschrittenes Stadium der Fragmentierung unseres Landes entlang ethnischer Bruchlinien. Sie ist zu einer schwerwiegenden politischen Gefahr und Belastung geworden. Insbesondere wenn man bedenkt, dass nahezu ein Viertel der 1,5 Millionen hier lebenden Türken von Sozialleistungen leben.
Zur Person:
Joachim Paul ist Abgeordneter für die AfD im Landtag Rheinland-Pfalz. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Bildungs- und Digitalpolitik.