Eine Bestandsaufnahme (2)
Dieser Text ist Teil einer sechsteiligen Artikelserie: Teil 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 finden Sie hier.
Es spricht vieles dafür, dass China irgendwann in den nächsten 25 Jahren – spätestens bis 2049 anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Gründung der Volksrepublik – eine Wiedervereinigung mit Taiwan durchsetzen wird. Wenn möglich friedlich, doch wenn nötig auch durch eine großangelegte Invasion. Dieses Ziel der Wiedervereinigung steht seit Gründung der Volksrepublik und der Teilung Chinas unverrückbar fest. Tatsächlich ist dies seit Jahrzehnten auch offizielle Staatsdoktrin beider chinesischer Staaten, sowohl der Volksrepublik China – also Festland-China – als auch der Republik China – also Taiwan. Das Ziel der Wiedervereinigung steht sogar in der taiwanesischen Verfassung niedergeschrieben und ist als Staatsziel verankert. Erst in den vergangenen 20 Jahren, nachdem die Volksrepublik ihren bis heute andauernden beispiellosen Aufstieg durchlaufen hatte und somit immer deutlicher wurde, dass eine Wiedervereinigung maßgeblich zu den Konditionen der Volksrepublik ablaufen würde, ist Taipeh von diesem selbstgesteckten Ziel abgerückt.
Wiedervereinigung als Staatsziel
Doch für Festland-China bleibt dieses Ziel als unverrückbare Position bestehen. Es ist mittelfristig das wichtigste außenpolitische und strategische Ziel und ist als solches in so gut wie allen relevanten Doktrinen und längerfristigen Plänen ausformuliert und bekräftigt. Dies schlägt sich nicht zuletzt in der kompromisslosen Haltung zur „Ein-China-Politik“ nieder, der sich auch alle Staaten unterwerfen müssen, die mit China diplomatische Beziehungen unterhalten und Handel treiben wollen. Staatspräsident Xi Jinping sieht es gar als seine historische Mission an, die Wiedervereinigung herbeizuführen. So hatte er schon vor Jahren das Ziel ausgegeben, China spätestens bis zum 100-jährigen Jubiläum der Volksrepublik im Jahre 2049 wiederzuvereinigen.
Es kann daher kaum ein Zweifel daran bestehen, dass die Volksrepublik eines Tages die Wiedervereinigung durchsetzen wird. Wenn es soweit ist, wird sie kaum jemand daran hindern können. Dafür würde China, wenn nötig wohl auch einen großen Krieg riskieren. Zu wichtig ist Taiwan sowohl historisch als auch strategisch für die Zukunft Chinas. Im Kriegsfall steht Festland-China mit seinen gewaltigen Ressourcen, seiner Industrie und 1,4 Milliarden Bürgern, einem kleinen Inselstaat von der Größe Baden-Württembergs, mit gerade einmal 23 Millionen Einwohnern gegenüber. Unabhängig von der für eine Verteidigung außergewöhnlich guten strategischen Lage als Inselrepublik und unabhängig davon wie stark aufgerüstet und militarisiert diese 23 Millionen Taiwanesen sind, wird ein solcher Kampf wie David gegen Goliath. Es ist kaum vorstellbar, dass Taiwan in einem solchen Konflikt lange bestehen könnte, wenngleich es das Potenzial hat, der Volksbefreiungsarmee erhebliche Verluste beizubringen. Allein schon die Errichtung einer Seeblockade durch die Volksbefreiungsarmee und damit das Abschneiden Taiwans von internationalen Energie- und Nahrungsmittellieferungen, würde Taiwan erheblich treffen.
Die globale Vormachtstellung der USA bröckelt und Staaten wie China und Russland fordern die Weltmacht zunehmend heraus. Erleben wir die Entstehung einer „multipolaren“ Welt mit mehreren Weltmächten? In unserer neuen FREILICH-Ausgabe werfen wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen und klären, wie sich Europa positionieren sollte.
Jetzt abonnieren
Wenn Sie jetzt abonnieren, erhalten Sie die aktuelle FREILICH-Ausgabe „Es geht rund!“ mit diesen und vielen weiteren Themen schon in Kürze direkt nach Hause! Hier abonnieren: www.freilich-magazin.com/abonnieren
Geostrategische Komponente des Konflikts
Es ist dies aus chinesischer Sicht nicht nur eine Frage der historischen Größe und damit von nationaler Ehre und Stolz, sondern es hat auch eine enorme strategische Bedeutung. Denn die Insel, die von US-Generälen früher auch gerne als „unsinkbarer Flugzeugträger“ bezeichnet wurde, hat wegen ihrer Lage an wichtigen Meeresstraßen große geostrategische Bedeutung. Zugleich liegt es lediglich 200 km vor der Küste Chinas, was es für die Chinesen in gleichem Maße gefährlich macht, wie einst das mit den Sowjets alliierte Kuba für die USA. Würde Taiwan wieder Teil Chinas und damit der direkten Einflusssphäre der USA entrissen, würde China damit zugleich die Einkreisung durch die USA durchbrechen.
Denn ähnlich wie die USA in Europa und seiner erweiterten Umgebung, rund um Russland herum Militär- und Nato-Basen errichtet haben, haben die USA auch in Asien regelrecht einen militärischen Gürtel rund um China gelegt. Von Korea über Japan und Okinawa bis hin zu den Philippinen verfügen die USA über dutzende Militärbasen, von denen aus sie China über den so wichtigen Seewegen eingekreist haben und im Konfliktfall von diesen abschneiden könnten. Wäre Taiwan wieder Teil Chinas, würde China damit diesen US-kontrollierten Inselgürtel durchbrechen und hätte freien und ungehinderten Zugang in den Pazifik, was nicht zuletzt für die chinesische U-Boot Flotte von großer Relevanz ist, da diese nur so unerkannt in die tiefen Gewässer des Pazifiks abtauchen und operieren können. Militärstrategisch und sicherheitspolitisch ist Taiwan daher von immenser Bedeutung für China.
Ausblick
Ein großangelegter Angriff Chinas auf Taiwan scheint aktuell und in den nächsten Jahren trotz alledem eher unwahrscheinlich. Vorausgesetzt es kommt schlussendlich zu einer militärischen Eskalation des Konflikts, da die Wiedervereinigung nicht auf friedlichem, nicht-militärischem Wege durchgesetzt werden kann, scheint es aus strategischer Perspektive wahrscheinlicher, dass es hierzu erst im Verlauf der 30er-Jahre, als bereits in diesem Jahrzehnt kommen wird. Denn die Zeit spielt im doppelten Sinne für China. Sowohl die USA als auch Taiwan werden langfristig wohl eher schwächer als stärker, wohingegen China bis auf weiteres noch gewaltige Entwicklungspotenziale hat und damit noch deutlich an Stärke gewinnen dürfte. Warum dies so ist, wird in den folgenden Teilen noch genauer ausgeführt. Es scheint aus chinesischer Sicht daher klug, erst einmal zu warten. Zugleich muss festgehalten werden, dass dieser Konflikt kein Ausdruck einer grundsätzlich expansiven und imperialistischen Grundhaltung Chinas ist. Der Konflikt ist im Wesentlichen historischer Natur, erweitert um sicherheitspolitische Gesichtspunkte. Die übrigen umliegenden Länder sind, Stand heute, territorial nicht bedroht. China lässt hier bisher auch keinerlei Ambitionen erkennen, die auf etwas anderes schließen ließen. Zumindest wenn man von den Seestreitigkeiten im Südchinesischen Meer absieht, die wiederum ein anders Thema sind.
Zur Person:
Fabian Küble, 29 Jahre, kommt aus Baden-Württemberg und lebt in Sachsen. Er hat Politikwissenschaften studiert und ist stellvertretender Landesvorsitzender der JA Sachsen sowie Mitglied im JA-Bundesvorstand.