Gaza-Krieg: Das Ringen der USA und ihrer Rivalen um Einfluss im Nahen Osten

Seit einer Woche ist der Nahostkonflikt wieder aufgeflammt. Der Angriff der Hamas hat eine harte Reaktion Israels provoziert. Die aktuellen kriegerischen Ereignisse lassen sich in die geopolitische Auseinandersetzung der Großmächte einordnen und als Kampf um Einfluss und diplomatische Kontakte interpretieren, so Dr. Seyed Alireza Mousavi in seiner Analyse für FREILICH.

14.10.2023
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Gaza-Krieg: Das Ringen der USA und ihrer Rivalen um Einfluss im Nahen Osten

US-Präsident während eines Besuchs in Israel, 2022

© IMAGO / ZUMA Wire

Das Ausmaß der beispiellosen Angriffsoperation der Hamas im strategischen Hinterland Israels am 7. Oktober war ein empfindlicher Rückschlag für Tel Aviv. Mindestens 1300 Israelis wurden durch Hamas-Kämpfer getötet. Unter ihnen sind Soldaten, aber auch viele Zivilisten aus den Städten und Dörfern, die unmittelbar um den Gazastreifen herum liegen. Die bewaffneten Palästinenser griffen vom Gazastreifen aus Israel aus der Luft, am Boden und von See an. Ihnen ist es vor allem gelungen, in mindestens acht Orte einzudringen – darunter mehrere Militärbasen – und mehrere Soldaten als Geisel zu nehmen. Diese Angriffsoperation wurde von langer Hand vorbereitet, sodass sich die Anführer und der harte Kern der Hamas aus mehreren Hundert Kämpfern bereits vor einiger Zeit in das Netzwerk von Bunkern zurückzogen, das über Tunnel verbunden ist.

Als Reaktion auf den Angriff hat Israel seit Tagen einen überstürzten und brutalen Überfall auf den Gaza-Streifen gestartet. Israel hat nach eigenen Angaben seit der Attacke der Hamas 6.000 Bomben auf den Gazastreifen abgeworfen und somit fast so viele Bomben verwendet, wie die USA in einem Jahr in Afghanistan eingesetzt hatten.

Hamas hatte den Angriff gut vorbereitet

Die Komplexität dieser Operation deutet darauf hin, dass ein Staat wie Iran dahinterstecken könnte, der die Hamas mit Waffen, Ausbildung und nachrichtendienstlichen Informationen versorgt. Der Überraschungsangriff machte vor allem für Militärexperten deutlich, wie sehr sich die Hamas und weitere Milizen in Gaza weiterentwickelt haben. Lange Jahre führten sie vergeblich einen Guerilla-Kampf gegen Israel. Sie haben aber nun eine Angriffsoperation generalstabsmäßig orchestriert und zielgerichtet mit hohen Verlusten und Geiselnahmen ausgeführt. Dass Teheran über die Angriffsoperation informiert war und die Pläne der Hamas zumindest gebilligt hat, darf als plausibel gelten, aber die Hamas handelt nicht auf direkten Befehl aus Iran.

Die Hamas ist eine sunnitische Organisation und kämpft für einen palästinensischen Staat. Die Hamas benötigt insofern keine Anregungen aus Teheran, da sie in erster Linie von ihrer eigenen panarabischen Agenda getrieben ist. Die Hamas will den Status quo der von der Außenwelt abgeschotteten Enklave in Gaza verändern, den sie durch die Raketenangriffe auf Israel 2021, 2014, 2012 und 2008 nicht hatte verändern können, während Israel die Entrechtung der Palästinenser und den illegalen Siedlungsbau im besetzten Westjordanland im raschen Tempo vorantreibt.

Unterschiedliche geopolitische Zielsetzungen

Vor diesem geopolitischen Hintergrund spielte die Offensive der Hamas Teheran in die Hände. Denn die Hamas startete die Militäroperation gegen Israel ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem Israel und Saudi-Arabien an einer Normalisierung der Beziehungen arbeiteten. Teheran zielte längst darauf ab, den möglichen saudisch-israelischen Deal zur Normalisierung der Beziehungen zum Scheitern zu bringen. 

Mittlerweile sind die Verhandlungen zwischen Israel und Saudi-Arabien nach der jüngsten Eskalationsrunde in weite Ferne gerückt, und Teheran ist es insofern gelungen, Bidens Plan für den neuen Nahen Osten zu konterkarieren. Der US-Präsident Joe Biden will sich im bevorstehenden Wahlkampf in den USA gerne als Vermittler eines Normalisierungsabkommens zwischen Saudis und Israelis schmücken, damit er einen Erfolg in seiner Außenpolitik verbuchen könnte.

Die USA hatten sich bereits für eine neue Runde der Eskalationen in Nahost vorbereitet, und zwar schon bevor sie ihre Kriegsschiffe sowie Flugzeugträger ins Mittelmeer wegen des jüngsten Gaza-Kriegs schickten. Seit die Ukraine-Offensive ins Stocken geraten ist, zielen die US-Amerikaner darauf ab, eine neue Front gegen Russland und China sowie Iran zu eröffnen. Denn die USA erlitten seit den Annäherungen zwischen Iran und Saudi-Arabien unter Vermittlung Chinas einen Rückschlag in der Region.

Die Pläne der USA

Die USA arbeiten schon längst daran, die neue asiatische Integration zu verhindern. Der Schauplatz der Konfrontation ist vor allem Syrien. Es ist in letzter Zeit zu mehreren Zwischenfällen unter Beteiligung von russischen und US-amerikanischen Kampfflugzeugen im syrischen Luftraum gekommen. Das Pentagon erklärte bereits im Juli, dass die USA hätten beobachtet, dass russische Befehlshaber und Kommandeure der iranischen Revolutionsgarde in Syrien sich auf mittlerer Ebene verstärkt abstimmten und Informationen austauschten, um die USA unter Druck zu setzen, ihre Truppen aus Syrien abzuziehen. Die USA wollen offensichtlich keinen direkten Krieg mit Russland und Iran, aber sie zielen darauf ab, den Machtausbau der beiden Staaten in der Region einzudämmen und die arabischen Staaten daran zu hindern, ihre Beziehungen wieder mit Präsidenten Baschar Assad zu normalisieren. Iran und Russland kooperieren militärisch seit Jahren in Syrien, und Iran unterstützt wiederum Russland gegen die Ukraine vor allem mit Drohnenlieferungen und Militärberatung. 

Die Achse Moskau–Teheran hatte bisher allerdings in der Region Schwächen. Regelmäßig bombardierte in letzter Zeit Israel in Syrien pro-iranische Militäreinrichtungen der schiitischen Milizen – mit Duldung Russlands, das an der syrischen Küste seine wichtigsten ausländischen Militärbasen unterhält. Seit dem Ukraine-Krieg hat sich aber die Lage dort geändert. Während sich die Beziehungen zwischen Moskau und Tel Aviv im Zuge des Ukraine-Krieges verschlechtert haben, rückten Russen und Iraner bei der Syrien-Frage enger zusammen. Schon im Mai 2022 zielte eine russische S-300-Luftverteidigung der syrischen Armee auf israelische Jets. Syriens S-300-Abwehrsystem wird vom russischen Militär betrieben und darf nicht ohne dessen Zustimmung abgefeuert werden. Die allmähliche Abkopplung Russlands von Israel sowie weitere Annäherungen von Teheran an Moskau waren schon ein Warnsignal an Washington, dass sein geopolitischer „Außenposten“ in Nahost, nämlich Israel, völlig in Isolation gerät.

Entfremdung zwischen Moskau und Tel Aviv

Drei Tage lang schwieg Präsident Putin über den Gaza-Krieg, sprach Tel Aviv kein Beileid aus und verzichtete darauf, seinen alten Freund Netanjahu anzurufen. Vom Gaza-Krieg profitiert auch der Kreml, da die internationale Aufmerksamkeit mittlerweile von der Ukraine auf Israel abgelenkt worden ist. Vor diesem Hintergrund nehmen die USA unter anderem die neue Gaza-Krise als einen Vorwand, um die sich schon abzeichnende neue feste Front gegen den Westen in Nahost zu schwächen.

Die USA haben aber kein Interesse daran, den Konflikt in Gaza zu einem regionalen Krieg anwachsen zu lassen. Sie werden aber versuchen, die zunehmende asiatische Integration unter Führung Chinas und Russland zu verhindern, indem sie in erster Linie darauf abzielen, die Hisbollah in den benachbarten Libanon zurückzudrängen und die Situation in Syrien gegen seine Schutzmacht Moskau wieder eskalieren zu lassen. Vor diesem Hintergrund bombardierte Israel am Donnerstag zwei Flughäfen in Damaskus und Aleppo. Dabei ist anzumerken, dass Russlands Fokus und dessen Ressourcen derzeit in der Ukraine gebunden sind. Der jüngste Einsatz zweier US-Flugzeugträger im östlichen Mittelmeer soll auch ein starkes Signal an Russland und China senden. Syrien soll weiterhin ein potenzieller Krisenherd für Russland, China und Iran bleiben. Israel und Gaza sind dabei für die USA eine Karte, die das Weiße Haus nun spielt.


Zur Person:

Dr. Seyed Alireza Mousavi ist promovierter Politikwissenschaftler, Carl-Schmitt-Exeget und freier Journalist, spezialisiert auf Geopolitik und lebt in Berlin.

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