Keine US-Flugzeugträger im Pazifik: China zündelt im Indopazifik

Der Abzug der US-Flugzeugträger aus dem Pazifik aufgrund der Eskalation im Nahen Osten könnte die strategische Lage zugunsten Chinas verändern. US-Sicherheitsexperten warnen, dass die USA sich möglicherweise auf einen Dreifrontenkrieg gegen China, Russland und den Iran vorbereiten müssen.

6.9.2024
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Keine US-Flugzeugträger im Pazifik: China zündelt im Indopazifik

Experten halten es für „sehr wahrscheinlich“, dass sich die USA in einem Dreifrontenkrieg mit China, Russland und dem Iran wiederfinden könnte.

© IMAGO / SOPA Images

Zum ersten Mal seit Jahrzehnten operiert keine Flugzeugträger-Kampfgruppe der USA im Pazifik. Der Abzug der US-Flugzeugträger aus dem indopazifischen Raum angesichts der iranischen Drohungen gegen Israel schwächt die Abschreckungsfähigkeit der USA gegenüber China. US-Sicherheitsexperten warnen, dass Washington in Zukunft möglicherweise auf drei verschiedenen Schauplätzen Krieg führen muss.

Während die Weltpolitik vom Krieg im Nahen Osten abgelenkt ist, provoziert die aufstrebende Weltmacht China derzeit die US-Verbündeten im Pazifik und lässt ihre Muskeln spielen. Nicht nur auf der abtrünnigen Insel Taiwan, sondern auch bei seinen Nachbarn im Süd- und Ostchinesischen Meer geht China derzeit verstärkt auf Konfrontationskurs.

China und die Philippinen haben sich in den vergangenen Tagen gegenseitig für eine Kollision zwischen zwei Schiffen ihrer Küstenwachen in einem umstrittenen Teil des viel befahrenen Seegebiets verantwortlich gemacht. Nach Angaben des philippinischen Exekutivsekretärs des Präsidenten, Lucas Bersamin, wurde das eigene Schiff „dreimal absichtlich gerammt“, wodurch das Leben der Besatzung gefährdet und erheblicher Schaden verursacht worden sei. Der Hintergrund: China und die Philippinen streiten um Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer. Die Regierung in Peking beansprucht fast das gesamte Südchinesische Meer für sich. Für die internationale Schifffahrt ist das Gewässer, durch das jährlich Waren im Wert von rund drei Billionen Dollar transportiert werden, von enormer Bedeutung.

China provoziert die Philippinen und Japan

Die Volksrepublik hat unter anderem bereits sieben künstliche Inseln im Südchinesischen Meer aufgeschüttet, um in der Region neue Fakten zu schaffen und die US-Dominanz in der Region gewissermaßen zurückzudrängen. Einige der Inseln sind inzwischen mit Radaranlagen, Landebahnen und Boden-Luft-Raketen ausgestattet. Die USA unterhalten Dutzende von Militärbasen in der Nachbarschaft Chinas, und es werden immer mehr. Wie ein Stacheldrahtzaun ziehen sich die US-Basen von Südkorea über Japan bis zu den Philippinen, sodass die Militärbasen der USA und ihrer Verbündeten den Chinesen faktisch den freien Zugang zum Pazifik versperren.

Weiter nördlich, im Ostchinesischen Meer, wirft Japan China vor, ständig seine Hoheitsrechte zu verletzen. Erst kürzlich war ein chinesisches Militärflugzeug in den japanischen Luftraum eingedrungen. Die verstärkten Aktivitäten des chinesischen Militärs in der Nähe Japans und um Taiwan in den letzten Monaten haben vor allem die japanische Regierung alarmiert. Seither verstärkt Japan seine Rüstungsanstrengungen und vollzieht ähnlich wie Deutschland eine sicherheitspolitische Wende.

Die Philippinen und Japan gehören zu den wichtigsten Verbündeten der USA in Asien. Nördlich und südlich von Taiwan gelegen, gehören sie zur ersten Inselkette, die China vom offenen Pazifik trennt. Mit den zunehmenden Spannungen um Taiwan haben beide Partner für Washington an Bedeutung gewonnen. Im Falle eines Krieges um die Insel wäre es für die USA von enormer Bedeutung, Stützpunkte auf den Philippinen und in Japan nutzen zu können.

Warum zündelt China verstärkt im Pazifik?

Die aktuelle Situation im Pazifik spielt den Chinesen in die Hände, ihre Macht zu demonstrieren und ihre Nachbarn zu provozieren. Denn der Abzug der US-Flugzeugträgergruppe aus dem Indopazifik schwächt derzeit die Abschreckungswirkung des Westens gegenüber China. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten operiert keine US-Flugzeugträgerkampfgruppe im indopazifischen Raum. Nach der Entscheidung von US-Verteidigungsminister Lloyd Austin, die Flugzeugträgergruppe der USS Abraham Lincoln in den Nahen Osten zu verlegen, verfügt Washington nun über keinen Flugzeugträger mehr in dieser für die USA so wichtigen Region. Offenbar lenkt der Nahostkrieg die USA derzeit vom Konflikt mit China im Pazifik ab. Und das ist ein geopolitischer Gewinn für die aufstrebende Weltmacht China.

Die Entscheidung, die USS Abraham Lincoln in den Nahen Osten umzuleiten, wurde im Pentagon getroffen. Die regionale Lage und die Drohung iranischer Vergeltungsschläge gegen Israel nach der Ermordung von Ismail Haniyya in Teheran hätten diesen Schritt notwendig gemacht, hieß es. Der Schritt erfolgte fast zwei Monate, nachdem das Pentagon einen anderen Flugzeugträger, die USS Theodore Roosevelt, ebenfalls im Pazifik stationiert, angewiesen hatte, die USS Dwight D. Eisenhower Carrier Strike Group im Roten Meer abzulösen, wo die Huthi Bomben legen und die westlichen Versorgungsketten stören.

Die US-Entscheidung, die Flugzeugträgergruppe USS Abraham Lincoln von Asien in den Nahen Osten umzuleiten, gefährdet im Grunde die neue strategische Ausrichtung der USA, den „Pivot to Asia“. Bryan McGrath, ein pensionierter Marineoffizier und Direktor der Beratungsfirma The FerryBridge Group, sagte, die Abwesenheit der US-Marine in der Region spiele dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping in die Hände, der der Meinung sei, dass die USA nicht über genügend Seestreitkräfte verfügten, um ihre Interessen durchzusetzen.

US-Sicherheitsberater in China

Vor diesem Hintergrund reiste erstmals seit acht Jahren wieder ein US-Sicherheitsberater nach China, um die Beziehungen zu Peking zu entspannen, während die Ressourcen der USA derzeit im Nahen Osten gebunden sind.

Jake Sullivan traf den Vizevorsitzenden der Militärkommission und seinen Stab im Hauptquartier der Volksbefreiungsarmee, der höchsten militärischen Autorität unter Xi. Es war ein seltenes Treffen, das zu einer Zeit stattfand, in der beide Seiten bemüht sind, die Beziehungen im Vorfeld des US-Präsidentschaftswechsels im Januar auf einem ausgewogenen Niveau zu halten. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin hatte sich bisher vergeblich um ein Treffen mit General Zhang Youxia bemüht.

Sullivan traf auf seiner dreitägigen Reise auch den chinesischen Staatschef Xi Jinping. China wird die US-Präsenz in der Region nicht länger ohne Rücksicht auf seine Sicherheitsinteressen dulden. Das machte Xi deutlich, als er Sullivan sagte: „Wir hoffen, dass die USA mit China zusammenarbeiten werden, um einander entgegenzukommen“. Die USA sehen in der Volksrepublik eine Gefahr für die eigene Vormachtstellung und zunehmend auch für die eigene industrielle Basis. Peking glaubt, von Washington bewusst klein gehalten zu werden. Es sei entscheidend, die Kommunikationskanäle offenzuhalten, sagte Sullivan bei dem Treffen mit Xi. Demnächst soll es ein Telefonat zwischen Biden und Xi geben.

Die ohnehin angespannten Beziehungen hatten sich nach dem Besuch der damaligen Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, in Taiwan im August 2022 weiter verschlechtert. Hoffnungen auf eine Wiederaufnahme der Beziehungen wurden im darauffolgenden Februar zunichtegemacht, als ein mutmaßlich chinesischer Spionageballon über den USA schwebte, bevor er vom US-Militär abgeschossen wurde.

Die Gefahr eines Mehrfrontenkrieges ist immens

Die USA wollen nicht in einen Zweifrontenkrieg hineingezogen werden, vor allem nicht im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahlen. Da aber der Nahostkonflikt nach dem Mordanschlag auf den Hamas-Führer in Teheran eine neue Eskalationsstufe erreicht hat, sahen sich die Amerikaner gezwungen, ihre militärische Präsenz im Nahen Osten zu verstärken, um den Iran von einem Angriff auf Israel abzuschrecken. Die Verlagerung der militärischen Logistik offenbarte jedoch eine Lücke im Sicherheitskonzept der USA. Denn Washington ist derzeit nicht in der Lage, dem Aufstieg Chinas wirksam zu begegnen, wenn es auf weiteren Kriegsschauplätzen involviert würde. Eine Appeasement-Politik gegenüber China wäre dann die einzige Strategie der USA, um nicht in einen Zweifrontenkrieg zu geraten.

Vor diesem Hintergrund versucht vor allem China, durch Waffenlieferungen an Russland oder den Kauf von sanktioniertem Öl aus dem Iran dem US-Rivalen zu helfen, die westlichen Strafmaßnahmen zu unterlaufen. So würde dem Iran das Geld nicht ausgehen, um die „Achse des Widerstands“ in der Region gegen die USA aufzurüsten, während Russland seine Kriegsmaschinerie dank chinesischer Komponenten, Ersatzteile und Vorprodukte am Laufen halten könnte. Die Chinesen gehen aber nicht so weit, mit dem Westen zu brechen. Dabei bewegen sich die Chinesen auf einem schmalen Grat zwischen einer Partnerschaft mit dem Westen und einer weiteren Annäherung an die bisherigen „Feinde des Westens“.

Inzwischen glauben viele Geheimdienstexperten und Lobbyisten in Washington, dass sich die USA auf einen unvermeidlichen Mehrfrontenkrieg vorbereiten müssen. So warnte Alex Karp, Geschäftsführer der für ihre Verteidigungs- und Geheimdienstarbeit bekannten Data-Mining-Softwarefirma Palantir, in einem Interview mit der New York Times, dass die USA in Zukunft möglicherweise an drei Fronten Krieg führen müssten. Karp wird nachgesagt, eng mit den US-Geheimdienststrukturen zusammenzuarbeiten und den USA Auswertungen komplexer Daten zur Verfügung zu stellen, um beispielsweise Terroranschläge in westlichen Staaten zu verhindern oder in militärischen Auseinandersetzungen einen Technologie- und Wissensvorsprung gegenüber US-Rivalen zu erlangen. Karp sagte der US-Zeitung, er halte es für „sehr wahrscheinlich“, dass sich die USA in einem Dreifrontenkrieg mit China, Russland und dem Iran wiederfänden. Deshalb solle das Pentagon die Entwicklung autonomer Waffen (KI-Waffen) mit voller Kraft vorantreiben. Die Führung eines Krieges an drei Fronten gleichzeitig würde wahrscheinlich mehr Truppen erfordern, unabhängig von einem verstärkten Einsatz von Drohnen oder anderen autonomen Waffen.

Über den Autor

Seyed Alireza Mousavi

Dr. Seyed Alireza Mousavi ist promovierter Politikwissenschaftler, Carl-Schmitt-Exeget und freier Journalist, spezialisiert auf Geopolitik und lebt in Berlin.

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