Proteste im Iran: Ein Kampf der Generationen?

„Frauen, Leben, Freiheit“ – ein Ruf, der seit Wochen auf den Straßen Teherans zu hören ist, denn tausende Demonstranten gehen seit dem Tod von Mahsa Amini auf die Straße, um unter Einsatz ihres Lebens gegen die Kleiderordnungsvorschriften der amtierenden iranischen Regierung zu protestieren.
Kommentar von
21.10.2022
/
4 Minuten Lesezeit
Proteste im Iran: Ein Kampf der Generationen?

Samira Kley

„Frauen, Leben, Freiheit“ – ein Ruf, der seit Wochen auf den Straßen Teherans zu hören ist, denn tausende Demonstranten gehen seit dem Tod von Mahsa Amini auf die Straße, um unter Einsatz ihres Lebens gegen die Kleiderordnungsvorschriften der amtierenden iranischen Regierung zu protestieren.

Am 19. September 2022 ist die Kurdin Mahsa Amini unter offiziell ungeklärten Umständen nach einer Verhaftung durch die iranische Sittenpolizei zu Tode gekommen. Sie war mit ihrer Familie zu Besuch bei Verwandten in der Hauptstadt, als sie von Beamten aufgrund des nicht ordnungsgemäßen Tragens ihres Hijabs auf offener Straße unter den Augen ihres Bruders abgeführt wurde. 

Laut Zeugenberichten begannen die Ordnungshüter, welche die junge Frau zu Aufklärungs- und Schulungszwecken mit auf das Revier nehmen wollten, schon im Polizeiwagen damit, Amini körperlich zu misshandeln. Nach einigen Stunden auf der Wache musste ein Krankenwagen die 22-Jährige in ein nahegelegenes Krankenhaus einliefern, in dem Ärzte nur noch den Hirntod feststellen konnten. Sie verstarb drei Tage später auf der Intensivstation.

Die Schuldfrage

Die iranische Sittenpolizei, bestreitet eine Schuld an Aminis Tod, obwohl andere Frauen, die sich zur gleichen Zeit auf dem Polizeirevier befanden, sowie Aminis Bruder Schreie gehört haben wollen. Weitere anwesende Zeugen sagten aus: „Die haben dort jemanden umgebracht.“ Laut örtlichen Behörden soll die junge Kurdin in Gewahrsam gleichzeitig einen Herzinfarkt sowie Schlaganfall erlitten haben und an den Folgen verstorben sein.

Nach dem Bekanntwerden der Vorfälle in Zusammenhang mit Aminis Tod entflammte eine große Welle des Protestes gegen die Hijab-Pflicht und später gegen die Regierung in Gänze. Unter den Parolen: „Nieder mit der Diktatur“ und „Frauen, Leben, Freiheit“, gehen tausende iranische, mehrheitlich junge Frauen und Männer unter Lebensgefahr auf die Straße und wollen somit auf den grausamen Fall der Getöteten aufmerksam machen und eine Abschaffung der Kleiderordnung für Frauen erwirken. Unter der Herrschaft des amtierenden iranischen Staatsoberhauptes Ali Chamenei ist Frauen nicht nur das Zeigen der Haare untersagt, auch Besuche von öffentlichen Festivitäten oder das Fahren von Autos ist ihnen verboten. Seit Beginn der Demonstrationen sind Medienberichten zufolge mehr als einhundert Menschen durch Gewaltanwendung der Sittenpolizei und den Revolutionsgardisten ums Leben gekommen. Doch die Proteste sind kein neues Phänomen.

Wie alles begann

Während der islamischen Revolution im Jahre 1979 versuchte die damalige Regierung, ein Vollverschleierungsgebot einzuführen, was allerdings am Widerstand damaliger Oppositioneller scheiterte. Zwei Jahre später wurde die Burka in der Öffentlichkeit, trotz aller Gegenwehr zur Pflicht für Frauen und Mädchen ab dem neunten Lebensjahr. In den Schulen sogar schon ab der ersten Klasse. In den neunziger Jahren wurden die Gesetze zur Kleiderordnung für Frauen erstmals aufgeweicht und der Burka-Zwang wurde in die Pflicht zum Tragen des Hijabs umgewandelt.

Über dreißig Jahre lang war es still um die emanzipatorische Protestbewegung geworden, bis Frauen in den 2010er Jahren begannen, auffälligeres Make-up aufzulegen und ihre Kopftücher lockerer zu tragen. Diese Rebellion gegen das Regime fand ihren ersten Höhepunkt im Jahr 2014, als die junge Iranerin Vida Mohaved in der Öffentlichkeit auf einer belebten Straße in Teheran ihr Kopftuch absetzte und sich unverschleiert auf einen Stromkasten stellte.

Aus Solidarität trugen andere Frauen, vor allem Studentinnen, seitdem ein weißes Kopftuch oder legten den Schleier unter Androhung harter Konsequenzen durch die amtierende Regierung gleich ganz ab.

Zeigt der Protest Wirkung?

Ex-Kommandeur Hossein Alaei sprach vor wenigen Tagen von einer Reformierung der Kleiderordnungsvorschriften und der Abschaffung der Sittenpolizei. Allerdings ist Alaei schon in der Vergangenheit durch regierungskritische Äußerungen aufgefallen, musste jedoch nie Konsequenzen erfahren, weshalb man davon ausgeht, dass sein vermeintliches Aufbäumen gegen die Regierung nur vorgetäuscht ist, um der Masse an Protestlern den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Tatsächlich gehandelt wird in westlichen Gefilden. Denn die Europäische Union hat kürzlich Sanktionen gegen iranische Beamte verhängt. Vertreter und Zweige iranischer Sicherheitskräfte, genauer der Sittenpolizei, der Revolutionsgardisten und Basidschen Milizen (iranische Hilfspolizei), unterliegen einem Einreiseverbot. Außerdem werden Vermögenswerte der Staatsbediensteten eingefroren.

Im Angesicht der Forderungen europäischer selbsternannter Feministinnen wie Sawsan Chebli, Parteichefin der Grünen Ricarda Lang oder der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock, könnte man die EU-Sanktionen allerdings mit Häme betrachten. Schließlich spricht sich allen voran Islam-Lobbyistin Chebli für das Tragen des Kopftuches von in Deutschland lebenden Muslimas aus, denn für sie, die selbst kein Kopftuch trägt, sei dies religiöse Pflicht. 

Auch die Scharia ist für sie und Politikerkollegen Omid Nouripour (Grüne) kein Problem. Sie regele laut ihrer Aussage nur das menschliche Zusammenleben: „Es geht um Dinge wie das Gebet, Fasten, um Almosen.“ Von der Problematik der Scharia, schweigt sie natürlich.

Stattdessen äußert sie sich via Twitter in typisch scheinheiliger Manier zu den Aufmärschen in Teheran: „Viele der Videos zu den #IranProtests2022 sind hart zu ertragen. Gewalt. Blut. Tod. Aber es ist richtig, dass sie hier und auf anderen Plattformen gezeigt werden, damit alle endlich sehen, was in #Iran passiert und warum unsere Solidarität so wichtig ist. #IranRevolution“

Andere Länder, andere Sitten 

Trotz aller Euphorie westlicher Feministen darf die bundesdeutsche mediale Berichterstattung über die derzeitige Situation der Frauen im Iran nicht außer Acht gelassen werden. Besonders Kritiker der deutschen Regierung und der Europäischen Union sollten alles hinterfragen, besonders wenn sich die mediale und politische Elite offenbar einig ist. Schon allzu oft wurden wir durch unsere Staatsmedien in die Irre geführt, schon zu häufig von verschiedensten Formaten diffamiert und Ereignisse völlig widersprüchlich dargestellt. 

Man sollte nicht aus den Augen verlieren, dass sich unter den Demonstranten vor allem Studenten tummeln, ältere Menschen sieht man, wenn überhaupt, nur vereinzelt. 

Menschen aus dem Nahen Osten und anderen islamisch geprägten Teilen der Erde haben eine völlig andere Werteauffassung als Europäer oder Nordamerikaner, und deshalb sollten wir uns, die sich kein Bild vor Ort machen können, mit Beurteilungen aus der Ferne zurückhalten. Denn es könnte durchaus sein, dass die Mehrheit der Iraner in Wirklichkeit die strengen Regeln der Mullah-Regierung akzeptiert und gerne umsetzt und unsere Leitmedien, das „Die-Mehrheit-der…“-Narrativ durch gekonnte Inszenierung hervorhebt, so wie sie es in Hochzeiten der Corona-Situation ebenfalls getan und damit Menschen in Gut und Böse gespalten haben. 

Als Europäer ist es völlig legitim, das Ablegen der Kopfbedeckung für Frauen zu unterstützen und Polizeigewalt mit aller Härte zu verurteilen, allerdings sollten wir damit erst einmal im eigenen Land beginnen. Dass das Einmischen in Probleme anderer Länder nie eine gute Idee war, sehen wir seit Jahrzehnten am Außenpolitik-Desaster der US-Amerikaner, das unzähligen Soldaten und Zivilisten in verschiedensten Ländern das Leben gekostet hat. Wir sollten klüger Denken und Handeln und gegebenenfalls andere Kulturen auf ihrem angestammten Boden tolerieren, auch wenn ihr Wertekanon nicht mit unserem übereinstimmt. 

Das wiederum soll die Gewalt, die Mahsa Amini und anderen Regierungskritikern offensichtlich angetan wurde, nicht rechtfertigen. Jeder Mensch sollte ein Recht auf freie Meinungsäußerung in einem angemessenen Rahmen und unter Berücksichtigung der jeweiligen kulturellen Gegebenheiten genießen dürfen. 


Zur Person:

Samira Kley, geboren 1994, publizierte in den vergangenen Jahren in einigen konservativen Medien. Die Mutter zweier Kinder interessiert sich vor allem für die Themen Islam, Migration und Frauen- bzw. Familienpolitik. Kley ist Aktivistin beim Frauenkollektiv Lukreta.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
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