Russland-Wahlen im Herbst: Im Osten nichts Neues
“Die parlamentarische Opposition ist eine Taschenopposition.” Timofey Shevyakov nimmt im Interview kein Blatt vor den Mund. Der Politikwissenschaftler weiß wovon er spricht, seit 1995 begleitet er Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Land, kennt das komplizierte Machtgefüge russischer Politik aus eigener Erfahrung. Seine Erwartungen an die anstehende Parlamentswahl? “Keine große Veränderung.”
Dabei geht es auf dem Papier um vieles, wenn im Herbst diesen Jahres in Russland das Parlament neu gewählt wird. Denn das Riesenreich im Osten stimmt nicht nur in neun verschiedenen Zeitzonen ab, es hat auch die Wahl zwischen sehr unterschiedlichen Parteien. Von Links- und Rechtsnationalisten über wirtschaftsliberale Reformer und Rentnerparteien steht alles zur Wahl, was auf dem politischen Koordinatensystem denkbar ist. Doch in Wahrheit, so sieht es zumindest Shevyakov, gibt es mehrere mehr oder minder putinfreundliche Strömungen innerhalb des Parlaments und eine heillos zerstrittene Opposition außerhalb des Parlaments.
Kommunisten als „Ventilpartei“
Zu dieser Opposition zählt der Politologe die “Kommunistische Partei der Russischen Föderation” (KPRF) ausdrücklich nicht. Denn die zeige sich im Parlament im Wesentlichen als “linker Flügel” des Kreml. Dabei wurde die sich selbst als Nachfolgerin der sowjetischen KPdSU verstehende Partei in den frühen Neunzigern explizit als Antisystempartei gegründet. 1995 erreichte sie mit 22,3 Prozent deutlich mehr Stimmen als die damalige Kremlpartei und wurde stärkste Kraft. Bis heute lebt die Partei von ihrem Nimbus als Stimme der Wendeverlierer und stärkste Opposition gegen den damaligen Präsidenten Boris Jelzin. Die deutsche “Bundeszentrale für politische Bildung” bezeichnet daher immer noch die Kommunistische Partei als “einzige halbwegs unabhängige Oppositionspartei in Russland“.
Das seien die Kommunisten bis 1996 auch gewesen, doch nach einigen Gesprächen zwischen Parteiführer Gennadi Sjuganow und Boris Jelzin sei man mehr oder weniger zu einer “reinen Ventilpartei” geworden, meint Shevyakov. In Folge dessen verlor die KPRF ihren Einfluss bei den Wählern. Lediglich im Rahmen größerer Debatten im Parlament kommt es mitunter zu einer offenen Kritik an der Regierung, etwa wenn es um soziale Einschnitte geht. Dann steigt auch Parteivorsitzender Sjuganow mitunter in den Ring und poltert gegen Korruption und Bürokratie. Doch letztlich würde “seit Jahren die Fraktion der KPRF genau so abstimmen, wie vom Kreml gefordert”. Die Kommunisten seien letztlich ein stabilisierender Faktor in Russland, der Protestwähler binde und von anderen Gruppierungen fernhalte. Man wolle eben nicht die Macht übernehmen, sondern seinen Abgeordnetenstatus nutzen. Eine echte Opposition sei “nicht in Sicht”. Das gilt auch für die rechte LDPR unter Wladimir Schirinowski. Die bezeichnet sich zwar gelegentlich als “Partei der Mitte”, gilt aber gemeinhin ebenfalls als regierungstreu und jeder Opposition abhold. Seit Beginn der Ära Putin stimmt die LDPR im Regelfall mit der russischen Regierung und hält sich auch mit Kritik auffällig zurück.
Noch keine Veränderungen
Dabei gibt es durchaus oppositionelles Potential, die Regierungspartei “Einiges Russland” ist in diesjährigen Umfragen weit von ihren Zustimmungsraten der letzten Jahre entfernt. Viele Russen sind unzufrieden, aber nicht unzufrieden genug, um ihre Stimme einer außerparlamentarischen Opposition zu geben. Denn die ist innerhalb des Landes zerstritten wie selten zuvor. Auch Shevyakov fällt auf Nachfrage kein wirklicher Oppositionsführer ein, man leide letztlich unter einem “Mangel an neuen Gesichtern”. Eine Situation, die im Westen “ja ebenfalls bekannt sei”. Aber während Angela Merkel vor ihren letzten Monaten als Kanzlerin steht, stehen Vladimir Putin noch drei weitere Jahre Präsidentschaft zu. Dann, so Shevyakov, könnte sich das Parteiengefüge schnell ändern. Doch bis dahin heißt es für Russen wie für das Ausland: Im Osten nichts Neues. Daran ändern auch offene Sympathiebekundungen für den Hoffnungsträger des Westens, Alexej Nawalny wenig.
Doch das habe auch etwas für sich, denn “Stabilität in einer instabilen Welt” könne gerade in der Zeit nach Corona zu einer neuen Ära der Zusammenarbeit führen. Schließlich habe sich Vladimir Putins Russland grundsätzlich als verlässlicher Partner erwiesen. Die Fertigstellung der Gas Pipeline “North Stream 2” sei ein gutes Zeugnis dieser Partnerschaft. Auch ein schlechtes Ergebnis der Putinpartei im Herbst würde daran nichts ändern. Putin habe auch nach der Wahl eine “komfortable Mehrheit im Parlament” und sehe keine Notwendigkeit für eine außenpolitische Profilierung. “Wenn die Europäer sich von den Amerikanern nicht aufhetzen lassen, steht uns allen eine Friedenszeit in Europa bevor”, beschwört Shevyakov den Frieden am Telefon.
Vielleicht schwebte dem Kanzlerkandidat der CDU/CSU, Armin Laschet, diese Friedenszeit vor, als er vor wenigen Tagen zum Dialog mit Russland mahnte. Außenpolitisch sei dies “unabdingbar” so Laschet.