Seekrieg im Schwarzen Meer: Korsarenstreiche versus Anakonda
Die Ukraine erzielt immer wieder beachtliche taktische Erfolge mit landgestützten Seezielflugkörpern, Drohnen und U-Booten. Die Umklammerung durch die russische Schwarzmeerflotte kann aber derzeit nicht durchbrochen werden. Marineoffiziere studieren derweil das 1x1 des Salvenmodells für den Seekrieg der Zukunft.
Während die Erben von Ares und Dädalus auf eine Fülle von Informationen zurückgreifen können, müssen die Erben von Poseidon ihre Pläne für die Zukunft des Seekrieges aus spärlichen Beispielen abstrahieren. Der letzte große Seekrieg fand zwischen der britischen Royal Navy und der argentinischen Armada statt. Bei der Rückeroberung der Falklandinseln 1982 demonstrierten die Briten die Bedeutung von Flugzeugträgern wie U-Booten und die Argentinier die Gefährlichkeit von Seezielflugkörpern.
Im ersten Golfkrieg zwischen dem Irak und dem Iran beendete die US Navy durch ihr robustes Eingreifen den so genannten „Tankerkrieg“ der persischen Marine. Ein US-Offizier verglich die Seeschlacht im Persischen Golf mit einer Messerstecherei in einer Telefonzelle. Im Jahr 2000 wurde der Zerstörer USS Cole im Hafen von Aden schwer getroffen. Durch einen Kamikaze-Sprengstoffanschlag, ausgeführt von al-Qaida. Sechs Jahre später wurde das israelische Raketenboot Sa'ar 5 schwer getroffen. Ein landgestützter C-802 Seezielflugkörper der Hisbollah traf wider Erwarten.
Große Seeschlachten, vergleichbar mit Skagerrak oder Midway, gibt es derzeit im Schwarzen Meer nicht. Dieser Seekrieg erinnert eher an die Ereignisse um die USS Cole oder die Sa'ar 5. Dabei ist das strategisch wichtige Schwarze Meer reich an Seekriegsgeschichte und Beispielen amphibischer Kriegsführung. 1783 wurde die russische Schwarzmeerflotte offiziell von Zarin Katharina II. gegründet. Seitdem ist Sewastopol der häufig umkämpfte Hauptstützpunkt.
Die zaristische Flotte konnte sich mehrmals gegen die Osmanen behaupten, doch im Krimkrieg 1853-56 musste Russland eine Niederlage gegen Großbritannien und Frankreich hinnehmen. Für 15 Jahre war das Schwarze Meer militärisch neutralisiert. Während des Bürgerkrieges wurde den „roten“ Flottenverbänden befohlen, sich selbst zu versenken. „Weiße“ Einheiten wurden nach Istanbul evakuiert. Im Zweiten Weltkrieg dominierte die Wehrmacht mit Heer und Luftwaffe.
Die Generalsekretäre der KPdSU setzten die Meerespolitik Peters des Großen und Katharinas der Großen fort. Der Drang zur offenen, eisfreien See sollte gestillt werden: „Thalassa!“ Als Instrument diente die Rote Flotte, als Mastermind der „rote Tirpitz“ Sergej Gorschkow, als Sprungbretter das Weiße Meer oder die Ostsee und das Schwarze Meer. Doch mit dem Ende des Geldes kam auch das Ende der Sowjetunion.
Zankapfel Sewastopol und Krim
Anfang der 90er-Jahre wurde die Schwarzmeerflotte entnuklearisiert. 1995 umfasste sie 48.000 Mann, 14 U-Boote, 31 größere Einheiten, 85 Hubschrauber und 125 Kampfflugzeuge. Sewastopol und die Krim wurden zum ständigen Zankapfel zwischen Kiew und Moskau. Zunächst drängte die junge, unabhängige Ex-Sowjetrepublik auf einen Aufteilungsschlüssel von 50:50. Aus Geldmangel gab man sich jedoch mit deutlich weniger zufrieden und verlängerte den Pachtvertrag für Sewastopol gegen verbilligte Gaslieferungen.
Die handstreichartige Übernahme der Krim im Jahr 2014 besiegelte das Schicksal der bescheidenen ukrainischen Marine. Im Jahr der Kriegsausweitung wurden die letzten Überreste schnell durch Luftangriffe zerstört, wie das Landungsschiff „Yuri Olefirenko“, oder selbst versenkt, wie die Fregatte „Hetman Sahajdatschny“. Die Ukraine verfügt noch über 3.000 Marinesoldaten, den Hafen Odessa mit dem Hauptquartier und den Donaudelta-Stützpunkt Ismajil. Dazu eine Vielzahl landgestützter Seezielflugkörper, Seeminen, See-UAVs wie Drohnen, und strategische Aufklärungsdaten der NATO.
Einen von mehreren Freibeutern – sozusagen maritimen Husarenstreichen – unternahm kürzlich der ukrainische Geheimdienst SBU. Eigens entwickelte Seedrohnen vom Typ „Seebaby“, bestückt mit einem 850 Kilogramm schweren Sprengkopf, attackierten nicht nur die Brücke zur Krim, sondern auch das Landungsschiff „Olegogorski Gornjak“ und den Tanker „SIG“ in der Bucht von Noworossijsk abseits der Kampfhandlungen.
Jet-Skis, Mini-U-Boote und Seedrohnen sollen den Verlust der eigentlichen Marine kompensieren. Ähnlich wie die Drohnen für den Landkrieg werden sie über Crowdfunding finanziert und in geheimen unterirdischen Produktionsstätten hergestellt. Eine Seedrohne kostet immerhin 250.000 Dollar pro Stück. Äußerlich ähneln die 5,5 Meter langen Sprengboote einem großen Kajak. Ein Wasserstrahlantrieb beschleunigt 1.000 Kilogramm mit 200 Kilogramm Sprengkopf auf 80 km/h.
Um die 60 Stunden Brenndauer und die Reichweite von 400 Kilometern auszunutzen, erfolgt die Annäherung an das Ziel langsam. Drei Videostreams ermöglichen die Steuerung bis zum Ziel, wo die Ladung mittels Aufschlagzünder zur Detonation gebracht wird. Wie moderne Höllenbrenner bereiten sie der russischen Marine entsprechendes Kopfzerbrechen – wie einst Sir Francis Drake der spanischen Armada.
„Einer kommt immer durch“
Vorerst haben die Russen auf die alte Abwehrmaßnahme der Torpedonetze zurückgegriffen. Aber ein großer Schwarm mit gleichzeitigem Angriff von Drohnen aus der Luft wird sowohl konventionelle als auch elektronische Abwehrmaßnahmen überwinden. „Einer kommt immer durch“ war das 1x1 des strategischen Bomberkommandos und ist es heute für die Raketensoldaten.
Nach dem sogenannten Salvenmodell wird berechnet, wie groß die Salve sein muss, um das Abwehrsystem zu überlasten und zu überwinden. Auf diese Weise gelang im April 2022 die Versenkung des Flaggschiffs der Schwarzmeerflotte, des Raketenkreuzers „Moskwa“: Wäre das Abwehrsystem der „Moskwa“ voll funktionsfähig gewesen, hätten die beiden abgefeuerten Seezielflugkörper vom Typ Neptun nicht durchdringen können. Die Ukrainer wussten jedoch um die Schwierigkeiten der „Moskwa“.
Ortung durch amerikanische P 8 Poseidon Seeaufklärer, Ablenkung durch TB 2 Drohnen in der Luft und zwei Treffer mit 150-kg-Sprengköpfen machten es möglich. Normalerweise kann ein 10.500 Tonnen schweres Schiff damit nicht versenkt werden. Aber 200 bis 300 Kilogramm Restkerosin – ähnlich wie bei 9/11 – zusammen mit 30 mm Munition aus der Backbordkanone und einem Treffer der Schadenskontrolle führten zu einem Feuer, das außer Kontrolle geriet und schließlich zum Untergang der „Moskwa“ führte. Die komplexe Mathematik der modernen Seekriegsführung.
Mit der „Moskwa“ verschwand nicht nur das Flaggschiff in den Fluten, sondern auch eine Plattform der Radarüberwachung wie der Flugabwehr. Die russische Marine musste ihren Aktionsradius einschränken, und den Ukrainern gelang es, einige Patrouillenboote der Raptor-Klasse mit Drohnen anzugreifen. Eine Landung der Russen bei Odessa erscheint inzwischen sehr unwahrscheinlich.
Auch das neue Flaggschiff, die moderne Fregatte „Admiral Makarov“, wurde im Oktober 2022 in Sewastopol selbst getroffen. Der Angriff erfolgte mit mindestens acht UAVs (Unmanned Air Vehicles) und sieben USVs (Unmanned Surface Vessels). Auch Landungsschiffe der Alligator-Klasse werden immer wieder Opfer von Seezielflugkörpern oder See-UAVs. Deshalb werden Boden-Luft-Abwehrsysteme als improvisierte Verstärkung an Deck installiert.
Land ohne Flotte – Flotte ohne Hafen
Dennoch hat die russische Marine mit sechs Fregatten, sechs Landungsschiffen und sieben U-Booten der Kilo-Klasse sowie Dutzenden kleinerer Einheiten die Hoheit über das Schwarze Meer. Die Ukraine ist „de facto“ zu einem Binnenstaat geworden und die Blockade mit 420 – eigentlich seit 1907 verbotenen – „Floating Sea Mines“ wie „Anchored Sea Mines“ hat elf Handelsschiffe beschädigt und zwei zerstört. Bisher wurden 28 Seeminen zerstört und ein rumänisches Minensuchboot beschädigt.
Die russischen Einheiten dienen weiterhin als Plattformen für den Abschuss von Kalibr-Marschflugkörpern auf Häfen und Landziele. Zwei Korvetten der Ada-Klasse liegen in Istanbuler Werften. Zwei weitere sind geplant. Als Hauptbewaffnung sollen Harpoon-Flugkörper dienen. Diese können aber ohne Heimathafen nicht ohne Eskalation mit der NATO eingesetzt werden und werden daher wohl den Grundstock der ukrainischen Nachkriegsmarine bilden – mit der strategischen Option Odessa.
Vorerst bleibt das Fazit eines amerikanischen Journalisten über die Schlacht am Skagerrak 1916, wo die Royal Navy und die Kaiserliche Kriegsmarine die Klingen kreuzten. Der Gefangene griff den Wärter an. Aber die Gitterstäbe hielten.