Blendgranate Brückenbau: Wer kauft Nehammer diese Inszenierung ab?

Der pechschwarze Pannenkanzler, für den der Nabel der Welt üblicherweise irgendwo zwischen Wien und St. Pölten liegt, torkelt über das innen- und außenpolitische Parkett. Nur wenige Tage, nachdem die Kunde über den Alko-Unfall der Personenschützer seiner Gattin für einigen Zündstoff sorgte, sucht Nehammer sein Heil in einer Staatsreise nach Osteuropa. Zuerst ging es nach Kiew, dann weiter nach Moskau. Dass er auf seinen Reisen wirklich für Frieden sorgt, glauben selbst die größten Optimisten nicht. Aber es ist ein PR-Schachzug der Sonderklasse.
Julian Schernthaner
Kommentar von
12.4.2022
/
4 Minuten Lesezeit
Blendgranate Brückenbau: Wer kauft Nehammer diese Inszenierung ab?

Der pechschwarze Pannenkanzler, für den der Nabel der Welt üblicherweise irgendwo zwischen Wien und St. Pölten liegt, torkelt über das innen- und außenpolitische Parkett. Nur wenige Tage, nachdem die Kunde über den Alko-Unfall der Personenschützer seiner Gattin für einigen Zündstoff sorgte, sucht Nehammer sein Heil in einer Staatsreise nach Osteuropa. Zuerst ging es nach Kiew, dann weiter nach Moskau. Dass er auf seinen Reisen wirklich für Frieden sorgt, glauben selbst die größten Optimisten nicht. Aber es ist ein PR-Schachzug der Sonderklasse.

Ist es Heldenmut oder Selbstüberschätzung? Diese Frage stellen sich wohl viele Österreicher, wenn sie sich die Reiseroute des schwarzen Kanzlers ansehen. Tönte er noch vor einem Monat, sich nicht hinter der Neutralität verstecken zu wollen, sorgte er seitdem mit skurrilen Auftritten für Befremdung. Unlängst herzte er Ex-Boxweltmeister Wladimir Klitschko – sein Bruder Witali ist Bürgermeister in Kiew – so überschwänglich, dass der eigentliche Inhalt des außenpolitisch brisanten Treffens in Berlin medial in den Hintergrund rückte. Nun brach er zu einer Osteuropa-Tour auf, die niemand so recht verstehen will und deren jüngste Station vor den Toren Moskaus in Europa mit einer Mischung aus Skepsis und einem müden Lächeln aufgefasst wurde. Aber der Reihe nach.

Nehammer beim Händeschütteln mit Selenskyj …

Noch vor wenigen Tagen sagte Nehammer der Ukraine faktisch zu, jede Sanktion bis zum bitteren Ende mitzutragen. Kurz darauf befand er, nachbessern zu wollen, in dem er sich zu Selenskyj nach Kiew begab. Er legte sich solidarisch jenem Mann zu Füßen, dem sich bereits halb Europa zu Füßen legte, ihn zum „Helden des Westens“ stilisierte. Jenem Mann, dem der Angriff auf sein Land eine Art zweite politische Geburt wider Willen bescherte, zu welcher er beinahe so unverhofft zu kommen schien wie der von ihm einst verkörperte Wassyl Holoborodko nach seiner Freilassung aus dem Gefängnis.

Denn noch wenige Monate vor dem russischen Feldzug sahen hiesige Medien und Politiker Selenskyj nicht als einende Figur des Landes, sondern als nächsten Versager im Kampf gegen Korruption. Nun hingegen fehlt ihnen jede kritische Distanz, sie hängen ihm an den Lippen wie die Jünger dem Heiland. Dazu kommt viel Wunschdenken, dass die patriotischen Ukrainer wirklich für dieselben Ziele wie Brüssel und das West-Bündnis kämpfen. Beide Seiten wissen, dass das mit der Realität wenig zu tun hat – aber es öffnet Herzen, Geldbeutel, Waffenarsenale. Beide Seiten haben einstweiligen Nutzen davon.

…und beim Gespräch am langen Tisch bei Putin

Ein Solidaritätsbesuch beim angegriffenen Land: Was in einigen Herzen auf Verständnis traf, ließ zugleich Sorgen aufkommen, dass sich Österreichs Parteinahme mit der Neutralität unseres Landes schneide. Das führte so weit, dass die russische Botschaft in Wien mehrfach ihren Missmut mit der heimischen Haltung ausdrückte. Das wirkt zwar hochtrabend, ist aber gerade, wenn man Russland sonst als Quasi-Nachfolgerin der Sowjetunion darstellt – eine der Besatzungsmächte, die den Staatsvertrag unterzeichneten – ein gefährlicheres Spiel mit der diplomatischen Fackel, als man sich eingesteht.

Dann kam der Sonntag – und eine Aktion, die wohl niemand für möglich hielt. Denn plötzlich wurde vermeldet, dass Nehammer als erster EU-Regierungschef seit Kriegsbeginn direkt nach Moskau reisen will. Dort möge er sich als Mittler in guter österreichischer Tradition betätigen. Danach sprach er in höchsten Tönen vom eigenen Einsatz: Er habe „direkt, offen und hart“ kommuniziert, eigentlich nur „seine Pflicht“ getan, um jeden Strohhalm der Friedensschaffung auszuschöpfen. Eine Inszenierung als Macher, obwohl nicht klar ist, ob ihn Putin über die Länge seines riesigen Tisches überhaupt vernahm.

Türkis-Schwarzes Narrativ-Blitzschach

Prinzipiell ist es ja zu begrüßen, dass ein heimischer Kanzler sich als Brückenbauer betätigt. Aber: Ob Nehammer glaubt, dass Österreich in der Lage ist, die Parteien an einen Tisch zu bekommen, nachdem so viel Porzellan zerschlagen wurde, ist wohl nur zweitrangig. Er weiß: Er kann seinen Kritikern aus allen Lagern den Wind aus den Segeln nehmen. Es ist ein Schachzug ohne Risiko: Jene, die eine aktive Neutralität und Äquidistanz wollen, waren ebenso zum Abwarten verdammt wie jene, die alle Versuche, den Kommunikationskanal nach Moskau offen zu halten, für vergebene Liebesmüh halten.

Sie alle müssen zusehen, ob sich ihre Zweifel als richtig erweisen – oder ob der Kanzler den Auftakt für einen unwahrscheinlichen Coup bereitete. Beiden kann Nehammer unabhängig des Ausgangs und der Nachwirkung der Gespräche entgegen halten, alles versucht zu haben und eine souveräne Position präsentiert zu haben. Auch jene, die seine Reise für ein Himmelfahrtskommando oder einen Tabubruch halten, kann er bestenfalls durch Ausbleiben einer Verschlimmerung überraschen. Zumal deren Idealvorstellung („kein Wort mit dem Aggressor wechseln“) auf Dauer sowieso undurchführbar ist.

Blendgranaten strahlen heller als der Kanzler

Da steht Nehammer nun also in Moskau, wahrscheinlich so klug wie zuvor. Aber er kann Sehnsüchte der Rückkehr aufs internationale Parkett im Stil des Chruschtschow-Kennedy-Treffens in Wien wecken, ohne dafür besonderes politisches Geschick zu brauchen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihn das Geschichtsbuch bald als Friedensbringer Europas feiert, liegt bei weit unter einem Prozent. Der Kanzler gab selbst offen zu, dass er keine großen Hoffnungen in seine Reise setzte. Es war letztlich wohl eine Bildungsreise nach dem Prinzip „bringt nix, schadet nix“, ein Schaulaufen um die goldene Ananas.

Eine Schneiderfahrt ist es aber trotzdem nicht: Denn der Scheinwerfer ist auf seinem Besuch im Osten und alles andere rückt in den Hintergrund. Es ist die ideale Blendgranate. Denn plötzlich interessiert sich niemand mehr für den Umtrunk von Cobra-Beamten mit seiner Frau samt folgender mutmaßlicher Vertuschungsversuche über deren betrunkenen Parkschaden. Auch die Korruptionsvorwürfe bis in Spitzenkreise seiner Partei haben Pause. Wen interessieren schon Postenschacher-Chats, wenn der Kanzler bei Putin am langen Tisch sitzt und heimlich vom Friedensnobelpreis träumt?

Auch keine lästigen Fragen zur Energie-Versorgung

Es sind aber auch Tage, in denen ihm niemand lästige Fragen zur Sicherung der Energie-Versorgung und zur Teuerungswelle stellt. Diese Probleme wurzeln in der verfehlten Lockdown-Politik der Regierung und finden im ineffektiven Sanktions-Regiment eine Fortsetzung. Dieses richtet im eigenen Land mehr Schaden und Not an als in Putins Russland, das man eigentlich treffen wollte: Der einzige Hahn, der nach Nehammer krächzt, ist der teure Gashahn in Österreichs Stuben. Aber auch da kann er Einwände, einschließlich der heimischen Abhängigkeit von Russland, mit Hinweis auf das Reiseziel abwimmeln.

Freilich: Die handfestesten Deals und neutralen Absprachen, welche die Kanzlerpartei in den letzten Jahren im Bezug auf Russland und die Ukraine zustande brachte, sind wahrscheinlich eh jene, die dazu führten, dass sie sich von russischen und ukrainischen Oligarchen gleichermaßen umgarnen ließ. Die „Familie“ kümmerte sich eben um alle. Aber eines beweist die Reise: Es ist der ÖVP kein Schachzug zu billig, um im eigenen Interesse ein bisserl Symbolpolitik, PR-Gags und heiße Luft loszuwerden. Gerne lasse ich mir eines Besseren belehren, einzig fehlt mir der rechte Glaube daran.

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Über den Autor
Julian Schernthaner

Julian Schernthaner

Der studierte Sprachwissenschafter wurde 1988 in Innsbruck geboren und lebte sieben Jahre in Großbritannien. Vor kurzem verlegte er seinen Lebensmittelpunkt ins malerische Innviertel, dessen Hügel, Wiesen und Wälder er gerne bewandert.

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