Kolumne: Der Standard will kein ‚linkes Medium‘ mehr sein
Ein langjähriger Starkolumnist der selbsterklärten Qualitätszeitung Der Standard sorgte kürzlich für einige Belustigung. Der Grund: Er stellte in Abrede, dass es sich bei seinem Blatt um ein „linkes Medium“ handle. Eine Exkursion zur Frage, wie Anspruch und Wirklichkeit in der Wahrnehmung linksgerichteter Medienmacher auseinander klaffen.
Kommentar von Julian Schernthaner
Wir erlauben uns ein Gedankenspiel: Ein freiheitlicher Spitzenpolitiker beruft eine Pressekonferenz ein. Festlich verkündet er, die FPÖ sei keine patriotische, sondern eine liberale Partei. Obwohl diese Aussage in historischer Hinsicht nicht einmal grundfalsch ist, würde sich halb Österreich darüber tagelang amüsieren. Und umso mehr würden sie dies, wenn sich tags darauf ein anderer Abgeordneter auf Twitter im Vollwichs beim Stiftungsfest seiner Burschenschaft zeigt. Absurde Annahme? Freilich. Aber so ähnlich gestaltete sich der Jahresbeginn des Standard.
Der Standard will nicht links sein…
Normalerweise ist Neujahr der perfekte Zeitpunkt, um mit ungeliebten Ritualen zum Schein zu brechen. Die meisten Menschen wünschen sich, das Rauchen aufzugeben, oder dass die Kilos purzeln mögen. Ein weniger tief ins Glas schauen vielleicht – und am Abend sinnieren sie bei Rumpsteak und sizilianischem Rotwein über Gott und die Welt und runden es mit einer Zigarre ab. Realistische Annahme? Freilich. Und hat auch Parallelen zum Jahresbeginn des Standard.
Denn das Urgestein des Standard, Hans Rauscher, nahm es auf sich, festzustellen, dass man gar kein linkes Medium sei. Eine solche ‚Klarstellung‘ bedeutet in der jüngeren Vergangenheitallerdings nichts Neues in Wien-Mitte. Denn keine drei Wochen ist’s her, dass die Bezeichnung des eigenen Blattes als „links“ auch die Inlandsressort-Chefin Lisa Kogelnik triggerte. Und nun wiederholte ihr Kollege: man sei gar nicht links. Man sei vielmehr „betont liberal“.
…seine Mitarbeiter mitunter umsomehr
Beinahe entsteht also der Eindruck, der Standard schämt sich dafür, irgendwie so als wäre ‚links‘ das wahrhafte Böse. Fast so, als würden nicht-rechte österreichische Journalisten ihre Sätze hinter vorgehaltener Hand mit „I’m not left-wing, but…“ beginnen. Aber zum Glück ist Verlass auf den selbsterklärten Extremismus-Experten in den eigenen Reihen, Fabian Schmid. Er teilt offenherzig auf Twitter seine Neujahrslektüre – es ist das Antifaschistische Infoblatt.
Das linksradikale deutsche Magazin beschäftigt sich ähnlich wie Schmid selbst vornehmlich mit tatsächlichem und vermeintlichem Rechtsextremismus. Das Berliner Blatt gilt als Sprachrohr der Antifa-Bewegung im deutschsprachigen Raum. Der renommierte Politikwissenschaftler Armin-Pfahl Traughber, früher Referatsleiter im Bundesamt für Verfassungsschutz, sieht es sogar als „einschlägiges Publikationsorgan“ des Linksextremismus. Sounds liberal as f***.
Ein verschobenes Koordinatensystem
Zurück zu Rauscher: als Kenner der Medienlandschaft kann er natürlich auch alle übrigen Blätter einwandfrei einordnen. Falter? Eher linksliberal. Profil? Eher liberal. Presse? Betont konservativ. Krone? Rechts außen und voll auf Regierungslinie. Und weil der Weise das sagt, und das ohnehin die größte Zeitung ist, stellt die „linke Dominanz“ in den Medien eine „Fantasie“ dar. Mitschuld für die vermeintliche Fehlbezeichnung wären sowieso „extrem rechte Medien und Interessen“.
Womit auch geklärt wäre: die SPÖ publizierte den Wechsel von Gusenbauer auf Faymann einst offenbar in einem gar üblen Rechtsaußenblatt. Gut zu wissen – die Genossen schlitterten damit von der Arbeiterzeitung quasi in den organisierten Rechtsradikalismus – in nur zwanzig Jahren. Vermutlich auch so ein eklatanter ‚Rechtsruck‘, der seinen Ausgang somit zweifelsohne schon lange vor dem „Polizeiminister Kickl“ (O-Ton Rauscher) und dessen vermeintlich „extrem rechten Umfeld“ nahm.
Eine Frage des Standpunktes
Ein wenig Mitgefühl sollte man vielleicht mit dem Herrn Rauscher haben, sind rinks und lechts doch stets eine Frage des Standpunktes, wo man sich selbst einen Bezug zur Mitte als Konsens aller Bürger herzustellen versucht. Für einen Rechten bilden jene Dinge tendenziell die Mitte, die für einen Linken bereits als ‚rechts‘ gelten. Umgekehrt wird ein Rechter Gedankengänge als ‚links‘ einordnen, die ein Linker als mittig einstuft.
Dies geht freilich untrennbar mit dem Begriff des Overton-Fensters einher, welches die Bandbreite der gesellschaftlich akzeptablen Äußerungen absteckt. Es kann je nach herrschendem Zeitgeist mal nach rechts, mal nach links ausschwenken. In der gegenwärtigen Hegemonie ist es allerdings so weit nach links abgedriftet, dass bereits patriotische Äußerungen früher Sozialdemokraten und sogar Kommunisten außerhalb ihres historischen Kontextes heute teilweise weithin als ‚rechtsaußen‘ rezipiert würden.
Rückkehr zur Normalität
Und aus diesem Grund ist es auch kein „ehrlicher Irrtum vieler eher konservativer Bürger“, den Standard als stramm linkes Medium zu verorten, wie Rauscher moniert. Es ist ein Tatsachenbefund, der nur deshalb jahrelang kaum Thema war, weil die Deutungshoheit unumwunden bei Personen mit derselben politischen Koordinatenstörung wie Rauscher lag. Dass es den Menschen nun auffällt, ist also gar kein Alarmsignal für einen plötzlichen Rechtsruck – sondern ein Zeichen der allmählichen Rückkehr zur Normalität.
Dass dies möglich ist – und insofern hat er zumindest in Eckpunkten recht – hängt womöglich tatsächlich mit dem Aufkommen patriotischer Medien wie der Tagesstimme zusammen. Wir schließen jene Lücken, welche der Einheitsbrei nach dem Geschmacke Rauschers hinterlässt. Das hebelt auch nicht die demokratische Kontrolle, welche er so beschwört, aus. Im Gegenteil – der Zugang zu differenzierten Sichtweisen ermöglicht diese erst. Und Kontrolleur ist hier zurecht keine lachsrosa-beige Wiener Schreibstube – sondern der mündige Bürger als Souverän.