Lebenserwartung in Europa geht zurück – das steckt dahinter
Die Lebenserwartung in Europa ist in den letzten 15 Jahren leicht zurückgegangen – eine Kehrtwende im Vergleich zu den Fortschritten seit 1990. Aber es gibt Hoffnung.
Mehrere Faktoren begünstigen den Rückgang der Lebenserwartung in Europa. (Symbolbild)
© IMAGO / Sven SimonSeit 2011 ist die Lebenserwartung der Europäer leicht gesunken, und dieser Trend ist nicht nur auf die Lebensweise zurückzuführen, sondern auch auf externe Faktoren wie den Zugang zur Gesundheitsversorgung und langfristige Investitionen in die Gesundheitssysteme, wie Euractiv berichtet. Diese Entwicklung stellt eine drastische Kehrtwende gegenüber den kontinuierlichen Verbesserungen seit 1990 dar.
Gesundheitsprobleme als Hauptursache
Laut einer kürzlich in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet veröffentlichten Studie sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen die Hauptursache für den Rückgang der Lebenserwartung in Europa. „Wir haben festgestellt, dass Todesfälle durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen der Hauptgrund für den Rückgang der Lebenserwartung zwischen 2011 und 2019 waren“, erklärt Dr. Nicholas Steel von der University of East Anglia, der Hauptautor der Studie.
Ein weiterer entscheidender Faktor sind Gesundheitsprobleme wie Bluthochdruck und hoher Cholesterinspiegel in Verbindung mit Tabak- und Alkoholkonsum sowie die COVID-19-Pandemie, die fast alle Fortschritte bei der Lebenserwartung zunichte gemacht hätten. Besonders betroffen waren Länder wie Griechenland, Italien, Portugal, Frankreich, Österreich, die Niederlande, Spanien, Deutschland, Luxemburg und Finnland, die zum Teil den stärksten Rückgang der Lebenserwartung zu verzeichnen hatten.
Langfristige Investitionen in Gesundheit wirkungsvoll
Aber es gibt Hoffnung. Länder, die mehr in eine bessere Ernährung und präventive Gesundheitsmaßnahmen investiert haben, weisen eine höhere Lebenserwartung auf. „Länder wie Norwegen, Island, Schweden, Dänemark und Belgien konnten ihre bessere Lebenserwartung nach 2011 beibehalten und verzeichneten dank staatlicher Maßnahmen geringere Schäden durch Hauptrisiken für Herzerkrankungen“, so der Mediziner. Trotz der Herausforderungen durch die Pandemie gab es in diesen Ländern zwischen 2019 und 2021 keinen Rückgang der Lebenserwartung.
Mehr als nur schlechte Gewohnheiten
Die Forscher betonen, dass die Ursachen für den Rückgang der Lebenserwartung nicht nur in individuellen Verhaltensweisen wie ungesunder Ernährung und Rauchen liegen, sondern auch in der Reaktionsfähigkeit der nationalen Gesundheitssysteme. Soziale Faktoren wie zunehmende Armut und Ungleichheit seien ebenfalls wichtige externe Einflüsse.
„Die starken Kürzungen der Mittel für Gesundheit, Sozialfürsorge und Wohlfahrt seit 2010, insbesondere in Gebieten mit sozioökonomischer Benachteiligung, wirkten sich auf die sozialen Determinanten der Gesundheit aus und trugen daher zur Verlangsamung der Sterblichkeitsverbesserung bei“, heißt es in der Studie. In Regionen mit sozioökonomischen Herausforderungen seien die Auswirkungen der Gesundheitsversorgung besonders spürbar.
Wachsende Ungleichheit zwischen den Ländern
Ein weiteres Problem seien die so genannten „Essenswüsten“, die vor allem in einkommensschwachen Gebieten existieren und gesunde Mahlzeiten für Millionen von Menschen unerschwinglich machen würden. Besonders betroffen seien einkommensschwache Familien.
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat festgestellt, dass die Lebenserwartung in Europa von Land zu Land stark variiert. Demnach liege die Lebenserwartung in Spanien, Italien und Malta mehr als zwei Jahre über dem EU-Durchschnitt, in Lettland und Bulgarien mehr als fünfeinhalb Jahre darunter.
EU-Strategien im Gesundheitsbereich
Die EU hat kürzlich Maßnahmen zur Bekämpfung der größten Gesundheitsprobleme wie den Europäischen Plan zur Krebsbekämpfung und Initiativen gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen aus ihrem Arbeitsprogramm für 2025 gestrichen. Diese Entscheidung wurde in Fachkreisen als Rückschritt in der Gesundheitsstrategie der EU kontrovers diskutiert.
Trotz der jüngsten Rückschläge besteht aber noch die Hoffnung, dass Europa seine Lebenserwartung langfristig wieder steigern kann, sofern gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung, der Ernährung und der sozialen Gerechtigkeit ergriffen werden.