Rechter Sieg in Italien: Ein lachendes, drei weinende Augen
Die Italiener neigen zu mutigen Wählerentscheidungen – und dennoch kam das, was am Sonntag in unserem südlichen Nachbarland geschah, einem Politbeben gleich. Die üblichen Verdächtigen sind zutiefst geschockt, manch Rechter träumt von der großen patriotischen Wende in Europa. Doch es will sich bestenfalls verhaltene Freude einstellen – das liegt nicht zuletzt an der geopolitischen Ausrichtung der designierten Regierungschefin Giorgia Meloni.
Ich würde lügen, wenn ich behauptete, dass mich die kollektive Kernschmelze des Establishments nicht amüsiert. Von einer „rechtsextremen“ Regierung bis hin zur „Faschismus“-Keule war alles zu finden. Und ähnlich der Schwedenwahl vor zwei Wochen (ver-) zweifelte die Blase der „woken“ Tugendhuber und Haltungsjournalisten sichtlich an der Demokratie, die sich bei ihnen nur mit dem „richtigen“ Ergebnis einstellt. Und zugleich imponieren mir die Bilder stolzer Italiener inmitten jener Fahnenmeere, die man sonst nur von Sport-Großereignissen kannte. Aber es ist eben nur die halbe Geschichte.
Die Crux mit der „europäischen Solidarität“
Der gewichtigste Einwand ist dabei sicherlich die außenpolitische Ausrichtung Melonis. Dass sie, gerade mit Salvini und Berlusconi im Schlepptau, den Granden in Brüssel einheizen kann, daran zweifle ich nicht. Aber wird sie überhaupt die Notwendigkeit dazu suchen? Diese Frage sollte sich jeder Kritiker spätestens stellen, seitdem der grüne Schweiger in der Hofburg in einem seiner seltenen Bonmots erklärte, sie sei „keine Gefahr für Europa“, weil sie die „europäische Solidarität“ mittrage.
Nun soll man einen politischen Menschen nicht am Lob von unliebsamer Seite beurteilen, aber solche Worte machen schon stutzig. Und tatsächlich: Als Draghi als Premier für NATO-Waffenlieferungen ins Konfliktgebiet in der Ukraine plädierte, schrie Meloni eifrig an seiner Seite mit. Hielt man es im März noch für den „Slawa Ukrajini“-Reflex, dem (zu) viele Rechte in Europa voreilig verfielen, stellt sich inzwischen heraus: Die vermeintlich „gefährlichste Frau Europas“ ist knallharte Transatlantikerin.
Es droht Sprechpuppe Washingtons in Rom
Freilich: eine gewisse West-Affinität ist im NATO-Gründungsland Italien keine Seltenheit. Sogar die Kommunisten arrangierten sich – etwa der spätere Staatspräsident Giorgio Napolitano – früh mit dem Transatlantik-Bündnis. Der Eintritt Melonis in den US-Thinktank „Aspen Institute“ im Vorjahr ist allerdings eine neue Qualität. Denn dieser steht eigentlich im Sold illustrer Figuren wie Bill Gates oder der Rockefeller-Gruppe, Leiter Walter Isaacson schrieb WEF-Blogartikel. Eigentlich ein rotes Tuch.
Nun stellt sich die Frage: Was genau macht eine Nationalistin im Dunstkreis der Globalisten-Clique, die glaubt, auf alle Fragen der Welt die Antwort zu wissen und Regierungschefs & Wirtschaftsmagnaten alle Jahre wieder zu „Gesprächen“ herbeizitiert? Der naive Schulbub in mir hofft: „Feindbeobachtung“. Der gelernte Erwachsene bezweifelt das gründlich. Ist es eine Art faustischer Pakt, um die eigene Macht unhinterfragt zu wissen und innenpolitisch nicht die globalistische Agenda mitmachen zu müssen?
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Zumindest in geopolitischer Hinsicht sitzt bald eine Marionette Washingtons im Palazzo Chigi. Für jene Patrioten, die auf eine multipolare statt eine unipolare Welt unter US-Hegemonie hoffen, ist es – ähnlich wie bereits das Schweden-Ergebnis – ein geopolitischer Rückschlag. Die Hoffnung, dass Sanktions-Kritiker Salvini sie einbremst, ist dünn. Dafür war sein Wahlergebnis leider zu schlecht, eine Quittung für die Stützung der Draghi-Regierung.
Zeitenwende oder italienische Verhältnisse?
Bleibt also die Hoffnung auf eine innenpolitische Zeitenwende, auf eine Art „südeuropäisches Polen oder Ungarn“. Wo konservative Werte gelebt werden, die eigene Kultur einen höheren Wert besitzt als McDonald’s und Pride-Paraden. Wo vielleicht auch endlich der Schutz der europäischen Außengrenzen nicht mehr nur ein Lippenbekenntnis ist. Aber auch da heißt es: Abwarten. Am Ende ist es immer noch Italien, das auf politischer Ebene als Synonym für Chaos steht. Und seien wir uns ehrlich: Unser liebstes Urlaubsland ist eher für „Dolce Vita“ als für preußische Ordnung oder schweizerische Präzision bekannt.
Wie viel „Dolce Vita“ für die Italiener noch bleiben wird, ist ohnehin ungewiss. Das Land ist stark abhängig von russischen Gaslieferungen, der Pro-Sanktionen-Kurs Melonis ist da eher kontraproduktiv. „Das Benzin wird immer teurer […] im Staat ist ein Loch […] ein Kaffee kostet einen Monatslohn“ sang Adriano Celentano im Jahr 1976. Es könnte auch aus diesem Jahr stammen, die Inflation ist auch am Stiefel hoch. Für Entlastungspakete könnte der neuen Rechtsregierung dann das Geld fehlen. Der italienische Staatshaushalt ist seit Langem marode und die EU-Gelder fließen mit der Schuldenunion wohl auch nicht mehr so rege wie früher. Ihr könnten die Hände gebunden sein.
EU-Konfrontation oder Eil-Entzauberung?
Wie stark wird Meloni, deren Partei traditionell ein starker Verfechter des Sozialstaates ist, darauf pfeifen? Oder wird sie sich am Ende doch weitaus intensiver mit der EU arrangieren als ihr designierter Adlatus Salvini es als Teil der Lega/M5S-Anti-Brüssel-Querfront-Koalition tat? Es wird sich weisen. Aber mit Sicherheit wäre eine Machtübernahme des rechten Blocks direkt nach einer Krise dankbarer als der Regierungsauftrag just inmitten einer Krise. Gerade die politisch wankelmütigen Italiener könnten rasch sehen, dass auch hier nur mit Wasser gekocht wird. Wenn’s am Ende so viel heiße Luft wie bei Sebastian Kurz gewesen sein sollte, hilft auch das markigere Profil nicht: Nur Ergebnisse zählen.
Europas Rechte hoffen, dass Meloni & Co. gegenüber den EU-Bürokraten die Daumenschrauben anziehen. Zu befürchten ist trotzdem, dass sie es wirtschaftlich eher gegenüber dem Volk tun. Und dann wäre da noch die Sache mit Südtirol. Ein migrationskritischer Kurs hülfe natürlich auch unseren Brüdern im Süden. Aber gerade Meloni, deren Partei eine Vertreterin des Römer Zentralismus ist, wird versuchen, die Autonomie auszuhöhlen, um die Gelder des wirtschaftlich starken Nordens für den Staatshaushalt zu verwenden. Dazu, dass alleine der Versuch im spontanen „Los von Rom“ von Brenner bis Salurn und einer Wiedervereinigung meiner Tiroler Wiege gipfelt, fehlt mir wiederum der Glaube.
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