Deutscher Mythos kehrt zurück: „Hagen – im Tal der Nibelungen“ als Schritt in die richtige Richtung

Ein neuer Film zur Nibelungensage haucht dem ewigen Machtkampf zwischen Hagen und Siegfried neues Leben ein. In seinem Kommentar für FREILICH lobt Joachim Paul die Produktion und kritisiert die Landespolitik für eine verpasste Chance.

Kommentar von
27.10.2024
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4 Minuten Lesezeit
Deutscher Mythos kehrt zurück: „Hagen – im Tal der Nibelungen“ als Schritt in die richtige Richtung

Der Film Hagen ist jetzt in den Kinos.

© RTL / Constantin Film / Stanislav Honzík

Im Hunsrück geht eine Sage um. Die Burg Dhroneck soll einst Stammsitz des Hagen von Tronje, Waffenmeister der Burgunder, gewesen sein. Das alte Gemäuer, das über den Häusern des gleichnamigen Dorfes thront, könnte tatsächlich bis in die Völkerwanderungszeit zurückgehen. Nicht wenige der 124 Bewohner sind fest davon überzeugt, dass eine Grabung rund um den alten Turm entsprechende Belege ans Tageslicht bringen würde. Immerhin wird in vielen Fassungen des Nibelungenliedes aus dem 12. Jahrhundert der Schutzherr des Burgunderreiches als Tronege Hagene bezeichnet. Die ersturkundliche Erwähnung einer befestigten Anlage am Fluss Drona, des Flusses Dhron, erfolgte bereits im Jahr 752. Der Hunsrücker Heimatdichter Albert Bauer (1890-1960) griff diese Sage auf, 1927 veröffentlichte er seinen Roman Hagen von Troneck.

Seine Erzählung wies eine Besonderheit auf, die Handlung machte aus Hagen den Helden und aus Drachentöter Siegfried, der den Hof der Burgunder auf opportunistische Weise für die Ausweitung seiner Macht einzuspannen plant, seinen Widersacher.

Der moderne Mythos: Hagen von Tronje als Bestseller

Diese Idee wurde später Grundlage für Wolfgang Hohlbeins Roman Hagen von Tronje (1986), der vor allem in den Achtzigerjahren vier Millionen Mal verkauft wurde und damit eigentlich im gleichen Atemzug wie J.R.R. Tolkiens „Herr der Ringe“ genannt werden darf. Allerdings hat die Nibelungensage viele wahre historische Kerne.

Hohlbeins Nibelungengeschichte setzt dem eisernen Kanzler der Burgunder ein Denkmal. Denn dieser will die Unabhängigkeit des Hofes und die Macht seiner Könige bewahren. Um jeden Preis. Und das geht nur, indem er Siegfrieds Ränkespiel bekämpft und zurückdrängt. Im Grunde Politik macht.

Fast genau hundert Jahre nach der Erstaufführung von Fritz Langs Stummfilmepos Die Nibelungen, kommt nun eine neue Adaption des „deutschesten aller Stoffe“ (Heiner Müller) in die Lichtspielhäuser. Die deutsche Produktion Hagen – im Tal der Nibelungen (Constantin-Film), die als Film und Serie um die Gunst der im Netflix-Zeitalters wählerischen Seher buhlt, orientiert sich grob an Hohlbeins Roman.

Fehlende Unterstützung durch die Landesregierung

Die Landesregierung des Nibelungenlandes Rheinland-Pfalz hat übrigens laut Antwort auf meine Anfrage (Drucksache 17/8795) keinerlei Anstrengung unternommen, um mit Constantin-Film in Kontakt zu treten und die Schauplätze – den Rhein, Worms, den Pfälzer Wald – in Szene zu setzen und zu vermarkten. Sie habe „keinen Kontakt“, „da sich eine Einflussnahme in laufende künstlerische Projekte verbietet“. Diese Art bundesdeutscher Behäbigkeit ist der englischsprachigen Welt völlig fremd. Neuseeland z. B. hat die Tatsache, dass die Drehorte von Peter Jacksons Verfilmung der drei Bücher Tolkiens ausnahmslos auf der Pazifik-Insel lagen, ausdauernd und gelungen vermarktet.

Der Constantin-Film schildert den Grundkonflikt zwischen Hagen und Siegfried genau und tiefgründig, manchmal hat man sogar das Gefühl, ein Kammerspiel zu sehen. Auf der einen Seite der Recke (Jannis Niewöhner), der einen Drachendämon erschlug, von dieser Heldentat allerdings auch dämonisiert, mit Drachenpanzer nämlich, zurückkehrte – was auch geistig im Sinne von „mit allen Wassern gewaschen“ oder neuhochdeutsch „teflonbeschichtet“ verstanden werden kann.

Auf der anderen Seite Hagen (Gijs Naber), der Nibelunge trôst wie es mittelhochdeutsch heißt – der Schutzherr der Burgunder, die erst nach Siegfrieds Tod Nibelungen genannt werden. Hagen behält selbst in Zeiten, in denen Gier und Leidenschaft Machtfaktoren sind, Weitblick und Erdung. Hagen, der allein der Königsfamilie, dem Reich also, verpflichtet ist, erblickt in Siegfried, der mit einem „Alten Wesen“, einem Alben, Einzug in Worms hält, eine Kraft, die nicht eingebunden werden kann, jedes Machtgefüge zu sprengen droht.

Historische Hintergründe: Siegfried als asozialer Held

Tatsächlich erkennt die Forschung im Siegfried des Nibelungenliedes die „latente Asozialität des Heros“, die aus der Völkerwanderungszeit stammt, in der im Wesentlichen die Gefolgschaft der Krieger zählte und die Rangfolge unter den Recken – von altenglisch und althochdeutsch wreccan beziehungsweise wrecko, herumziehenden kampferfahrenen Kriegernim Wesentlichen durch Schwert und Axt festgelegt wurde. Die Entstehung von großen Höfen und damit sich verstetigender politischer Beziehungen ist. Von daher ist der Siegfried des Films recht gut getroffen. Der Raufbold, Haudegen, dem die Herzen der Burgunder zufliegen, der aber in keiner Welt – weder der des Mythos noch in der höfischen – so recht zu Hause ist.

Erwartungsgemäß hält Spiegel Online den ganzen Stoff für historisch kompromittiert, schon seine Wiederkehr sei deshalb ein Skandal. Herrlich! Die Zeit ist reif für Deutschlands größten Mythos. Und tatsächlich bietet Hagen – Im Tal der Nibelungen zahlreiche große Bilder.

Dabei sticht die sehr freie Adaption der Queste König Gunthers, der auf Island – der Insel aus Eis und Feuer – um die Walküre Brünhild wirbt, besonders heraus. Was in der Handlung des Films auf einen strategischen Zug Hagens zurückgeht.

Ein Mythos für die moderne Zeit

Gewagt, aber gelungen, ist es, Brünhild (Rosalinde Mynster) als Königin in Szene zu setzen, die sich auch am Hof zu Worms ihre nordisch-schamanische Urkraft bewahrt. Und die Burgunder, die sich Etzels Hunnen in einer Schicksalsschlacht stellen, im wahrsten Sinne des Wortes raushaut.

Der Film macht Lust auf die bereits angekündigte Langversion in Form einer Serie. Es ist zu hoffen, dass der größte deutsche Mythos wieder seinen angestammten Platz in unserer Kultur einnimmt. Und zwar als Geschichte großer Männer und Frauen, die tun, was getan werden muss, weil sie ihren Werten und damit sich selbst treu bleiben wollen. Gleichgültig, was das Leben auch schicken mag. Und zwar selbst und gerade dann, wenn ihres auf dem Spiel steht.

Hagen – im Tal der Nibelungen schreitet dabei grundsätzlich erst einmal in die richtige Richtung. 

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
Über den Autor

Joachim Paul

Joachim Paul ist Landtagsabgeordneter und bildungspolitischer, medienpolitischer und digitalpolitischer Sprecher der AfD-Landtagsfraktion.

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