Lewitscharoff: „Wenn alles sanktioniert wird, erstickt die Kunst“
Sibylle Lewitscharoff kritisiert die übertriebene Political Correctness in Gesellschaft und Kunst. Im Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) warnt die Schriftstellerin davor, dass der „freiheitliche Geist“ erstickt werde.
Die gebürtige Stuttgarterin ist seit 2013 Georg-Büchner-Preisträgerin und zählt zu den bedeutendsten deutschen Schriftstellerinnen. Gegenüber der NZZ schilderte sie kürzlich ihr Problem mit einer völlig übertriebenen Political Correctness.
Auswüchse der Political Correctness
Eine Berliner Hochschule lässt nach Sexismus-Vorwürfen ein Gedicht von Eugen Gomringer an ihrer Fassade übermalen. Tausende fordern in einer Online-Petition das New Yorker Metropolitan Museum dazu auf, ein Bild von Balthus entfernen zu lassen, weil es ein junges Mädchen in angeblich zweideutiger Pose zeigt. Und an den amerikanischen Universitäten warnt man die Studenten vor Literatur, die Sex- oder Gewaltdarstellungen enthalten (sogenannte „Trigger warnings“).
Ausdruck von Hass
Diese Ausformungen der Political Correctness hält Lewitscharoff für dumm und heuchlerisch. Dadurch werde das Klima für Kunst zerstört. „Wenn alles sanktioniert wird, erstickt die Kunst“, erklärt die Schriftstellerin dazu im Interview mit der NZZ.
Solche Angriffe gingen immer aus „von Leuten, die intellektuell nix taugen“. Dieser Kampf für eine übertriebene Political Correctness sei ein Ausdruck von Hass: „Das ist doch blanker Hass auf Menschen, die es wagen, mehr auszuprobieren in ihrem Leben“, meint die ehemalige Trotzkistin.
Freiheitlicher Geist erstickt
Natürlich habe auch die Kunst ihre Grenzen – Diskriminierung, Missbrauch und Gewalt dürfe man nicht hinnehmen. Doch der – laut Lewitscharoff auch von der Frauenbewegung – erkämpfte freiheitliche Geist werde erstickt. „Wenn ich höre, dass Dozenten an amerikanischen Universitäten ihre Bürotüren offen lassen, wenn sie mit einer Studentin reden, kann ich nur den Kopf schütteln.“
Die Hypermoral schaffe sich ihre eigenen Gespenster, ist sich Lewitscharoff sicher. Wegen dieser um sich greifenden Paranoia könnten wir die wirklichen Missstände nicht von jenen Übeln unterscheiden, die „im Menschlich-Allzumenschlichen liegen“. Doch dagegen sei sowieso „kein Kraut gewachsen“.