Reisebericht „Tolkien Tage 2023“: Rückkehr nach Klein-Mittelerde
Bereits im vergangenen Jahr berichtete FREILICH-Redakteur Mike Gutsing von den Veranstaltungen rund um den britischen Fantasy-Autor J.R.R. Tolkien. Nun besuchte er das einzigartige Festival erneut und berichtet über die wichtigsten, lustigsten und beunruhigendsten Neuigkeiten rund um Elben, Hobbits und Orks.
Der Freitag beginnt um halb sieben in einer Eisenacher Jugendherberge – viel zu früh, man ist selbst verkatert, aber ein Frühstück drängt sich auf, der Tag verlangt doch einiges an Energie. Das Wochenende der „Tolkien “ fällt mit dem Eisenacher Burschentag zusammen, eine Tatsache, über deren Bewertung ich mir beim Schreiben dieses Textes noch nicht ganz sicher bin. Jeder Korporierte kennt die zweifelhafte Verbindung von Pflicht und Vergnügen, die einem Lebensbund erst die richtige Würze verleiht.
Der Freitag war geprägt von Verhandlungen, Festakt, Totengedenken und vielen wichtigen Gesprächen korporativer, privater und geschäftlicher Art und gegen Mitternacht machte ich mich auf den Weg nach Geldern im Kreis Kleve. Dies gestaltete sich äußerst spannend und die Strapazen des Tages führten dazu, dass sich meine Reisezeit fast verdoppelte und ich immer wieder für kleine Nickerchen anhalten musste. Um auch thematisch perfekt auf die anstrengende Reise des Ringträgers Frodo vorbereitet zu sein, verbrachte ich den Rest der Nacht mit einem kurzen, aber sehr tiefen Schlaf.
Größer, weiter – besser?
Das Gelände am Rande des beschaulichen Dorfes Pont hatte sich zu meiner Überraschung wieder einmal stark verändert. Die Zu- und Abfahrten waren klar geregelt, um ein Verkehrschaos auf den schmalen Landstraßen des Dorfes zu vermeiden. Auch der Parkplatz wurde massiv vergrößert, allein dieser umfasste mehr Fläche als die Veranstaltungsfläche der Vorjahre. Auch das Festgelände selbst wartete mit zahlreichen neuen Händlern, Schaustellern und anderen Attraktionen auf, die das ohnehin schon stimmungsvolle Bild noch weiter aufwerteten.
Neben den vielen Ständen mit historischen und fantastischen Kleidungsstücken, Schmuck, Waffen und vielen anderen erstaunlichen Kleinigkeiten gab es an den Tagen auch ein sehr abwechslungsreiches Programm. Von Workshops zur Herstellung eigener Kostüme bis hin zur Nachstellung von Kämpfen zwischen Gut und Böse in Tolkiens Welt war alles vertreten und auch musikalisch hatten die Veranstalter wieder ein durchgehendes Programm auf die Beine gestellt. Das alles fügte sich so wunderbar zu einem stimmigen Gesamteindruck zusammen, dass man zeitweise wirklich das Gefühl hatte, an einem magischen Ort zu sein, fernab von den Entbehrungen der realen Welt.
Tolkien als Chronist von Mittelerde
Zu den vielen Attraktionen hatte die Deutsche Tolkien Gesellschaft (DTG) wieder zahlreiche Referenten für eine ganze Reihe von Vorträgen gewinnen können, von denen zumindest einer hier kurz skizziert werden soll. Einen der ersten Vorträge am Samstag hielt Stefan Servos mit dem Titel „Tolkien – ein unzuverlässiger Erzähler“. Der Begriff des unzuverlässigen Erzählers stammt aus der Literaturwissenschaft und beschreibt einen Kunstgriff, mit dem der Autor zwar einen Erzähler in eine Geschichte einbaut, diesen aber entgegen gängiger Konventionen unwissend oder gar falschaussagend konstruiert. Der Vortrag kreiste um ein Thema, das gerade bei Tolkien allgegenwärtig zu sein scheint. Das Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit.
Für den Referenten ist die Werkgeschichte des „Herrn der Ringe“ ein klarer Indikator dafür, dass Tolkien nicht einfach eine Fantasy-Geschichte geschrieben hat, sondern ganz bewusst die Grenze zwischen Fantasie und Realität überschreiten wollte. Der Philologe Tolkien, der zum Beispiel auch den Beowulf-Mythos übersetzte, betrachtete die Arbeit am „Herrn der Ringe“ auch als Übersetzungsarbeit und erfand das sogenannte „Rote Buch der Westmark“ als ursprüngliche Quelle seines Textes. Dieses fiktive Buch enthält die Geschichten über die Abenteuer von Bilbo Beutlin und dem Drachen Smaug, wie sie in „Der Hobbit“ verarbeitet wurden, und die Geschichten über den Ringkrieg, der die Handlung von „Der Herr der Ringe“ umfasst.
Diese Geschichten wurden von den jeweiligen Protagonisten Bilbo und dem Ringträger Frodo Beutlin geschrieben. Aufgrund dieser engen persönlichen Verstrickung der Autoren in die Geschichten müssen die Ereignisse laut Servos neu gedacht werden. So müsse beispielsweise der schicksalhafte Sturz der Kreatur Gollum in die Feuer des Schicksalsberges, der zur Zerstörung des Ringes der Macht führt, stark bezweifelt werden. Viel wahrscheinlicher sei es, dass Frodo ihn hineingeworfen und die Geschichte dann in seiner Erzählung stark ausgeschmückt habe, so der Referent der „Tolkien Tage“.
Viele andere Beispiele für seine These würden letztlich einmal mehr Tolkiens Versuch der „Mystifizierung“ belegen. Schließlich sind der „Herr der Ringe“ und die zahlreichen anderen Schriften über Mittelerde keine historischen Quellen, sondern eine Sammlung fiktiver Legenden. Diese Legenden sollten nach Tolkiens eigenem Willen die Grundlage einer englischen Mythologie bilden oder ihr zumindest vorausgehen.
Die „Tolkien Tage“ im „Stolzmonat“
Wie bereits im letztjährigen Reisebericht angedeutet, sind auch die „Tolkien Tage“ nicht frei von linksliberalen Umtrieben. Auch der Veranstaltungszeitpunkt im Juni, dem bisherigen „Pride Month“ der Regenbogenlobby, kitzelt das Sendungsbewusstsein besonders „stolzer“ Menschen an die Oberfläche. Zu diesem Anlass vertreibt der Tolkien-Podcast „Tollkühn“ speziell angefertigte „Pride“-Versionen seiner Werbekleidung. Inwieweit auch der Inhalt des Podcasts diese überaus mutige Haltung widerspiegelt, konnte bisher nicht überprüft werden, aber die Verknüpfung zweier völlig zusammenhangloser Themen zur ideologischen Selbstbeweihräucherung sendet ein deutliches Signal.
Deutlich wurde in diesem Jahr auch, wie verschwindend klein dieser „linke Flügel“ der eingefleischten Tolkien-Fans im Verhältnis zur Gesamtzahl der Besucher ist. Zwar durfte der obligatorische Mann in Frauenkleidern nicht fehlen, aber gerade in Gesprächen über die Amazon-Serie „Die Ringe der Macht“ war auch ein beachtlicher Teil der Besucher auszumachen, die ihren „traditionellen“ Tolkien schätzen und verteidigen. So kann der Besuch der „Tolkien Tage“ in Geldern/Pont auch im nächsten Jahr empfohlen werden und für alle, denen der Weg zu weit ist, gibt es noch die ersten „Tolkien Tage“ im thüringischen Jena, die ebenfalls vielversprechend sind.
Zur Person:
Mike Gutsing, Jahrgang 1999, hat Geschichte studiert und lebt in Mitteldeutschland. Das besondere Interesse des Korporierten gilt der deutschen Geschichte und Kultur.