Rezension: Hitlers Kontrahenten in der NSDAP

Der Historiker Werner Bräuninger hat eine zweite und völlige überarbeitete Auflage seines Buches „Hitlers Kontrahenten in der NSDAP“ vorgelegt.
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Rezension: Hitlers Kontrahenten in der NSDAP

Der Historiker Werner Bräuninger hat eine zweite und völlige überarbeitete Auflage seines Buches „Hitlers Kontrahenten in der NSDAP“ vorgelegt.

Jedes Forschungsvorhaben, welches fern der akademischen Futtertröge Grundlagenforschung betreibt, muss den Spagat zwischen wissenschaftlicher Sorgfalt und denjenigen Anforderungen bewältigen, welche das populärwissenschaftliche Publikum an die Lesbarkeit stellt. Werner Bräuninger gelingt dies mit seinem zuerst 2004 erschienenen Buch „Hitlers Kontrahenten in der NSDAP“, dessen überarbeitete und erweiterte Ausgabe kürzlich im Arnshaugk Verlag veröffentlicht wurde.

Bemängeln muss man hier lediglich, dass der Verlag sich, wohl um eines flüssigen Textbildes willen, gegen die Verwendung von Fußnoten und für einen Endnotenapparat entschieden hat. Das ist bedauerlich, weil Bräuninger vielfach neues Forschungsgebiet anhand von Primärquellen erschlossen hat. Weiterführende Lektüre oder gar Forschung sollte nicht durch die Krätze der Arbeit mit einem Endnotenapparat abgeschreckt werden. Auch die zahlreichen und gelungenen Kurzbiographien wichtiger, aber heute oft vergessener Akteure, verdienten einen Platz, an dem sie gelesen werden.

Präzises Quellenstudium

Die bei minimaler Menschenkenntnis absurde Vorstellung eines monolithischen NS-Systems, in der alles durch den Willen des großen Diktators gelenkt wurde, ist zwar in historischen Fachkreisen weitgehend überwunden, in der breiteren Öffentlichkeit halten sich jedoch die vom inhaltsleeren Schlagwort „Totalitarismus“ erzeugten Assoziationen. Bei der Richtigstellung dieses Irrtums geht Bräuninger weit über den Titel seines Buchs hinaus. Er schildert mehr als bloße Opposition gegen die Person oder Politik Adolf Hitlers. Vielmehr erzählt er, wenn auch bloß pars pro toto, die vielfältigen Geschichten derjenigen, die in den inneren Machtkämpfen der NSDAP unterlagen.

Die Palette reicht von Intellektuellen aus dem NS-Studentenbund, die sich nicht der Parteidisziplin unterordnen wollten, bis zu homosexuellen Gewaltmenschen in der SA. Die politisch Gescheiterten waren Reformer, Opfer von Parteiintrigen oder Elemente wie Gauleiter Wilhelm Karpenstein, der 1934 wegen Kriminalität und Korruption abgesetzt wurde. Gleiches geschah, was kaum bekannt ist, mit Julius Streicher, nachdem er sich während der Pogrome 1938 persönlich bereichert hatte, wenn auch unter Beibehaltung seines Blattes „Der Stürmer“ sowie des Gauleitertitels (was kein einmaliger Vorgang bei der Entlassung alter Kämpfer war).

Vergessene Details kommen in Erinnerung

Dazu gab es auch eine Reihe kurioser Käuze wie den zeitweiligen Reichsmusikmeister Wilhelm Hillebrandt oder den „Parteigenossen Friedrich aus Baden“, der Hitler Ende der 20er mit ständigen Beschwerdebriefen das Leben sauer machte. Wie in allen Parteien, gab es auch solche Gestalten in der NSDAP.

Bräuninger bringt eine Fülle vergessener Details über eine Epoche in Erinnerung, über die oft nur in Stereotypen gedacht wird. So über die an modernen Politaktivismus erinnernde Tätigkeit des Wiener Gauleiters Alfred Frauenfeld, dessen Gruppe während der Verfolgung der Nationalsozialisten durch Engelbert Dollfuß einen humorvollen Einfallsreichtum entwickelte, wenn es darum ging, Hakenkreuzbanner an öffentlichen Gebäuden anzubringen und den Regierungsmitgliedern papierene Hakenkreuze in die Auspuffrohre ihrer Dienstwagen zu stopften.

Ein guter Teil der von Bräuninger behandelten Personen fällt in die Kampfzeit, in der Hitlers Führungsanspruch noch keineswegs so gesichert war, wie später. Doch bei weitem nicht jeder Konflikt war eine Auseinandersetzung zwischen Hitler und aufsässigen Untergebenen. Meist waren es Machtkämpfe innerhalb einzelner Parteigruppen zu denen er – wenn, dann – als eilig informierter Schiedsrichter gerufen wurde. Neben ihm gab es auch noch eine Parteigerichtsbarkeit und das Ausschlussverfahren war ein geradezu inflationär eingesetztes Mittel des innerparteilichen Konkurrenzkampfes.

Der Konflikt um die SA

Ein Kapitel für sich ist der Konflikt zwischen politischer Organisation und SA. Zwischen beiden kriselte es ständig und schon lange vor dem Röhm-Putsch. Mehr als ein Funktionär der NSDAP musste die Polizei des verhassten Weimarer Staates rufen, weil erboste SA-Männer seine Büroräume besetzt hatten.

Bräuninger sieht die Ursachen dafür einmal darin, dass die SA, deren Mitglieder die größten persönlichen Opfer gebracht hatten, Anteil an Posten und Pfründen in Reichs- und Landtagen forderte – andererseits in dem unmöglichen Widerspruch, den Hitler einer Organisation auferlegte, von der er gleichzeitig politisches Soldatentum und Gesetzestreue gegenüber dem Weimarer System verlangte. Die Revolutionsromantik erzog Persönlichkeiten, die eine friedliche und legale Machtergreifung gar nicht wollten.

Am anderen Ende des Gewaltspektrums standen religiöse Streitfragen. Über sie stürzte Dr. Artur Dinter, Begründer eines sogenannten Geistchristentums, ebenso wie der katholische Gauleiter Josef Wagner.

Ersterer wurde von Hitler wegen des Versuchs geschasst, aus der NSDAP eine religiöse Reformbewegung zu machen. Letzterer versuchte seiner Tochter zu verbieten, einen aus der Kirche ausgetretenen SS-Offizier zu heiraten, von dem sie bereits schwanger war. Konkurrenten Wagners bekamen einen Brief seiner Frau in die Hände, in der sie ihrer Tochter die Verstoßung aus der Familie androhte, was zu seiner Entlassung durch Hitler führte.

Die Frage der Religion

Religion war ein wundes Thema. Die innere Krise des Christentums, die Anfang des 20. Jahrhunderts zu zahlreichen religiösen Reformbewegungen bei gleichzeitig steigender Säkularisierung führte, zog sich auch durch die NSDAP.

Der Abschluss des Buches behandelt die während des Krieges entstandenen Reformvorhaben. Neben dem bereits erwähnten Gauleiter und späteren Generalkommissar der Krim, Alfred Frauenfeld, steht hier dessen Kollege Carl Röver, sowie die Führungszeitschrift der Hitlerjugend „Wille und Macht“ um Günter Kaufmann.

Die Niederlage im internen Kampf ist die einzige Gemeinsamkeit der von Bräuninger behandelten Personen. Deshalb ist es nicht möglich – was Bräuninger ein Stück weit versucht – aus ihnen eine  Reformbewegung innerhalb des Nationalsozialismus zu konstruieren. Im Schlusswort führt dies dazu, Hitler gleichzeitig vorzuwerfen, sich mit den alten Eliten gegen die Sozialrevolutionäre gestellt und die NSDAP nach der Machtergreifung als Bürgerkriegsbewegung belassen zu haben.

Bräuningers Stärke ist nicht die politische Kritik, sondern die historische Darstellung. Der Nationalsozialismus ist vor allem als Projektionsfläche der Ängste späterer Epochen in den Köpfen geblieben. Bräuninger gelingt es, die Personen und Ereignisse aus ihrer Zeit darzustellen.


Werner Bräuninger: Hitlers Kontrahenten in der NSDAP, 1921-1945, Anshaugk Verlag, 2. völlig überarb. u. erw. Edition (2022), gebunden, 375 Seiten

Über den Autor

Johannes K. Poensgen

Johannes K. Poensgen, geboren 1992 in Aachen, studierte zwei Semester Rechtswissenschaft in Bayreuth, später Politikwissenschaft und Geschichte in Trier. Erreichte den Abschluss Bachelor of Arts mit einer Arbeit über die Krise der Staatsdogmatik im Deutschland des 20. Jahrhunderts. Befasste sich vor allem mit den Werken Oswald Spenglers und Carl Schmitts. Er bloggt auf seiner Netzseite „Fragen zur Zeit“.

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