„Ringe der Macht“: Abgeklärt und ohne Patzer

Kann die neue Amazon-Serie aus dem Tolkien-Universum überzeugen? Bislang ohne Patzer, sagt Joachim Paul – „Die Ringe der Macht“ erzählen abgeklärt die Geschichte vor dem Ringkrieg.
Kommentar von
5.9.2022
/
5 Minuten Lesezeit
„Ringe der Macht“: Abgeklärt und ohne Patzer

Benjamin Walker (Gil-galad), Morfydd Clark (Galadriel), Robert Aramayo (Elrond), (c) Amazon Studios / Ben Rothstein / Prime Video

Kann die neue Amazon-Serie aus dem Tolkien-Universum überzeugen? Bislang ohne Patzer, sagt Joachim Paul – „Die Ringe der Macht“ erzählen abgeklärt die Geschichte vor dem Ringkrieg.

Seit Wochen wird über die Piloten der Amazon-Serie „Die Ringe der Macht“ („Rings of Power“) debattiert – teure Ramschware mit wenig Tiefgang und zahlreichen Zugeständnissen an den linksliberalen Zeitgeist, der unter dem Attribut „woke“ firmiert oder würdige, überwiegend in der Erzähl- und Geistestradition Tolkiens stehende Verfilmung, die die Zeit vor dem Dritten Zeitalter („Herr der Ringe“) anspruchsvoll beleuchtet? So in etwa stellen sich die Pole des Diskurses dar, in den sich zuletzt viele Befürchtungen und voreilige Schlüsse mischten. Tatsächlich spiegelt das gesamte Werk Tolkiens eine konservative Geisteshaltung wider, die gerade weil sie ohne Weiteres in die Breite wirkt, von besonderem Wert für den zeitgenössischen Konservatismus ist. Die Protagonisten im „Herrn der Ringe“ kämpfen für eine Sache, die größer ist als sie selbst, die Heimat, den Fortbestand ihrer Kultur, eine gerechte Ordnung, die Abwehr einer Weltgefahr. Sie sind bereit, ihr Leben dafür aufs Spiel zu setzen. Auch wenn sie sich frei für diesen Weg entscheiden, spüren sie eine tiefe Verpflichtung ihrem Volk, ihrer Kultur, ihren Vorvätern gegenüber.

Frodo, Legolas, Aragorn, Boromir, Theoden: Sie sind sich ihrer Ahnenreihen, von denen der Leser umfassend erfährt, eindringlich bewusst und sehen sie förmlich als Mandate an. Einmal als Bürde, weil sie das einstige Versagen der Vorväter ausgleichen müssen oder als leuchtendes Vorbild, das nun den Weg weist. Gandalf ist Hierarchie und Ethos seines Ordens unterworfen, was sein Handeln sehr stark beeinflusst. Frodo, der geistig stärkste, weil selbst in desolater Lage nicht korrumpierbar, wird von Bilbo an seine Vorfahren erinnert, die größer und wagemutiger waren, als die anderen Hobbits. Die gefährliche Queste liegt mir, dem Finder des Rings, und dir, dem künftigen Träger, im Blut. Das ist Bilbos Botschaft. Darüber hinaus würdigt der „Herr der Ringe“ das kriegerische Ethos, das insbesondere von Boromir verkörpert wird. Zwar ist er politisch minderbegabt, sein Selbstbehauptungswillen kann aber nicht überwunden werden. Darüber hinaus beinhaltet die – wenn man so will – tolkiensche Tugendlehre die grundsätzliche Achtung vor der geistigen Welt.

Die Tragödie des menschlichen Daseins

Sauron samt Attributen, Elben, Zwerge und die menschlichen Kulturen des Zentrums von Mittelerde sind entweder dem germanischen oder zu Teilen dem keltischen Mythos entlehnt oder schöpfen aus den früh- oder hochmittelalterlichen Kulturen Europas. Auch an die „Ringe der Macht“ darf deshalb ein Anspruch auf eine signifikante kulturelle Werktreue, die über Handlung und Motive hinausgeht, gestellt werden. Vorweggenommen: Die Zugeständnisse an den Gedanken „woker“ Diversität bleiben in den ersten zwei Folgen der Serie eher flüchtige Randerscheinungen. Vielmehr sind die Beziehungen der Völker untereinander stärker ausdifferenziert worden. So treten Spannungen zwischen den rastlosen, nach den verbleibenden Dienern Morgoths fahndenden Elben und einem Teil der ruralen, einst eher den dunklen Mächten zugetanen Menschenbevölkerung Mittelerdes, offen zu Tage. Die einstmals Besiegten wollen endlich von den „spitzen Stiefeln“ ihrer Besatzer befreit werden. Bei dieser Gelegenheit: Die militärischen Kurzhaarschnitte der Elben gefallen mir besser als die rockstarhafte Langhaarpracht ihrer Nachfahren im „Herrn der Ringe“. Auch die Schiffbrüchigen auf dem Trennenden Meer erblicken nicht in jeder angespülten Elbe (Gadriel) eine Lichtgestalt. Es ist in Folge sogar der grobe und von Galadriel (Morfydd Clark) wegen seines rücksichtslosen Umgangs mit den menschlichen Gefährten gescholtene Halbrand, der die zu verzweifeln beginnende und in die Tiefe der See hinab sinkende Elbenkriegerin rettet. Die „Ringe der Macht“ wären aber keine Verfilmung der Werke Tolkiens, wenn das erfrischende menschliche „Empowerment“ nicht zugleich Gefahr heraufbeschwören würde. Gut illustriert an den zwei durchaus sympathischen Bauernjungen, die das Bruchstück, also Knauf, Heft und Parierstange eines Schwertes hüten, das wohl einst ein hochrangiger Diener Morgoths geführt hat. Ihre immer stärkere Hinwendung zu diesem zugleich bewunderten und gefürchteten Fetisch, dessen eingraviertes und aufflammendes Symbol verführend auf sie einwirkt, wird vor dem Hintergrund von Ohnmacht und Zurückweisung plausibel. Es ist unter anderem diese fortschreitende Korrumpierbarkeit der Gernegroße und Habenichtse, die der Rückkehr des Feindes den Weg bahnt. Einmal mehr offenbart sich die tragische Existenz der leicht verführbaren Menschen, die schuldlos schuldig die Geschichte antreiben.

Auf mich wirken viele Handlungsstränge und Dialoge differenzierter, ja ausgereifter als in Jacksons „Herrn der Ringe“. So besitzt das Ringen zwischen Galadriel und dem Hohen Elbenkönig eine geradezu politische Dimension. Wie soll in der Vielvölkerwelt Mittelerde, die sich so fundamental von Valinor, dem friedlichen Elbenreich in Übersee, unterscheidet, mit dem Erbe des Krieges umgegangen werden? König Gil-Galad (Benjamin Walker) will einen Schlussstrich ziehen, der Kunst zu ihrem Recht verhelfen, sich einer offenkundig kriegsmüden Gesellschaft zu Gunsten eines „Sonnenaufgangs“ zuwenden. Diese neue Ära wird durch den Meisterschmied der Elben, Celebrimbor (mit hartem „K“ ausgesprochen; Charles Edwards) repräsentiert, der – nicht ohne einen Anflug von Überheblichkeit – von Eregion aus neue und größere Kunstwerke zu Gunsten der Verfeinerung der Gesellschaft, als soziale Arbeit auf Mittelerde, anstrebt. Celebrimbor glaubt an die Wirkmacht des Schönen und Reinen bei allen Völkern. Selbst das Böse könne ihm nicht entsagen, sofern die hohe Kunst vollends und im ganzen Glanze zur Geltung komme.

Differenzierte Handlungsstränge und Dialoge

In der Frage, wer nunmehr gesellschaftlich dominieren soll, Künstler oder Krieger, stellt sich Elrond (Robert Aramayo) auf die Seite des Herrschers. Deutlich wird das in dem Dialog mit Galadriel, der durchaus tiefgründig ist. Aus Galadriel spricht ehernes Pflichtbewusstsein, aber auch eine Sinnkrise, die sich nach Ausrufung der „Zeit des Friedens“ für eine zaubernde Kriegerin dieses Formats einstellen muss. „Was wird aus meinem Schwert und mir?“, fragt sie in die Runde der schon länger Regierenden. Morfydd Clark erweist sich nicht nur hier als würdige Vorgängerin von Cate Blanchett, die Galadriel als arrivierte Elbenkönigin verkörpert.

Doch Kassandra ist mittlerweile heiser: Galadriels Warnungen vor Sammlung und Rückkehr der dunklen Macht werden nicht mehr für voll genommen, sie willigt in Folge ein, sich in das Veteranenheim der Grauen Anfurten zurückzuziehen. Nicht unbedingt originell, aber sehr effektiv zeigen die ersten Folgen, wie das Böse zurückkriecht, sich Schritt um Schritt einnistet. Und zwar genau dort, wo schon immer ein Schatten über einem Menschenschlag lag. Tolkiens konservative Sicht, dass insbesondere die Vorfahren das eigene Schicksal bedingen, der Apfel eben nicht weit vom Stamme fällt, kommt einmal mehr als kühle und eherne Lebenslehre zum Tragen. Die im Wortsinne weitsichtigen Zuschauer fühlen sich bald mit Galadriel bestätigt: Müßiggang ist des Teufels Werkbank, oder: Wer Frieden will, rüste zum Krieg. Unterdessen sollen die Zwerge „Khazad-dûm“ (Moria) über Elrond in die Errichtung einer Großschmiede und der folgenden Geschmeideproduktion des elbischen Meisterschmieds beteiligt werden. Dem Joint Venture stehen aber zunächst Befindlichkeiten des polterndem Zwergenprinzen Durin (u.a. Owain Arthur) entgegen, der die notwendigerweise auftretenden Spannungen zwischen den beiden Völkern, die sich aus den unterschiedlichen Lebenszirkeln ergeben, auf den Punkt bringt: „Jahrzehnte sind für Euch nur ein Wimpernschlag, für uns hingegen ein ganzes Leben“. Wer die Zwergenbinge aus dem „Herrn der Ringe“ und „Der Hobbit“ kennt, wird nun wahrscheinlich enttäuscht sein, zu glatt, zu sauber, zu rund und perfekt erstrahlt das Zwergenreich in „Die Ringe der Macht“. Das gleichen Durin und seine Gemahlin aber durch authentisch zwergenhafte Sturheit und Temperament wieder aus. Großartig: Sophie Nomvete, die als Disa zu einer Shirley Bassy der Zwergenkultur werden könnte. Die Beziehungen zwischen Mann und Frau Zwerg blieben im „Herrn der Ringe“ eher steril, in jedem Fall aber unterentwickelt. Es tut dem Großen und Ganzen gut, dass hier nachgebessert worden ist. Erstes Fazit: Die ersten zwei Folgen zeigen meines Erachtens ein größeres Potential der Serie an, die die nicht leichte Herausforderung meistern will, auf Grundlage verschiedener Texte und Werke Tolkiens spannend und mitreißend die lange Vorgeschichte des Dritten Zeitalters zu erzählen. Bislang gelingt dieses Unternehmen ohne Patzer.


Der Autor verschenkt 10 Exemplare des Taschenbuchs „Mittelerde – Tolkien und die germanische Mythologie“. Rudolf Simeks umfassende Analyse gilt mittlerweile als Standardwerk.

Kontakt: [email protected]


Zur Person:

Joachim Paul ist Abgeordneter für die AfD im Landtag Rheinland-Pfalz. Der Lehrer interessiert sich für die Digital- und Bildungspolitik.


Eine andere Ansicht vertritt Bruno Wolters. Die Serie überzeugt ihn nicht: „Mutig, zugleich aber seelenlos“

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