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Till Röckes „Dreckswelt“ – Literatur aus Dreck und Schmerz?

Ein Roman wie ein Faustschlag: In Dreckswelt zieht Till Röcke alle Register der Verstörung. Schmerz, Scheitern und sprachliche Wucht formen eine literarische Erfahrung, die den Leser nicht unberührt lässt – im besten wie im schlimmsten Sinne.

Kommentar von
19.4.2025
/
3 Minuten Lesezeit
Till Röckes „Dreckswelt“ – Literatur aus Dreck und Schmerz?

„Dreckswelt“ von Till Röcke ist Anfang April im Castrum Verlag erschienen.

© FREILICH

Der Titel – provokant, der Klappentext – verführerisch, und ein Autor mit Hang zum Abgründigen. Das jüngste Werk aus der Feder des Schriftstellers Till Röcke liest sich wie ein Schlag vor den Kopf: Erst kommt der Blitz, dann der Donner – am Ende bleiben Überraschung, Verwirrung und ein ordentlicher Schmerz. Nach seinem Studentenroman „Schlund“ (2023) könnte der Protagonist von Dreckswelt, das Anfang April im Wiener Castrum Verlag erschienen ist, genau diesen Namen tragen: Schmerz.

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Es ist der Schmerz des Außenseiters, eines vom Schicksal, der eigenen Psyche und dem eigenen Aussehen gegeißelten Mitarbeiters einer Werbeagentur, die ihn regelmäßig zu Aufträgen an den Rand seiner kleinen Welt schickt. Statt Abenteuer hält das Unbekannte für den Protagonisten nur die immer wiederkehrende Bestätigung der eigenen Unzulänglichkeit und Überforderung mit der Welt und sich selbst bereit. Aber auch in der eigenen Wohnung und selbst während der Fahrt in seinem treuen Ford Mondeo verfolgt ihn dieses Elend, und der Leser merkt schnell, dass Röckes Dreckswelt keine leichte Abendlektüre ist.

Sprachbilder zwischen Abgrund und Alltag

Nihilprosa – das ist die Bezeichnung, die Röcke selbst für seine Texte wählt und die ich ungeniert als Schlagwort für den Eintrag in meinem digitalen Bücherkatalog übernommen habe. Eine Erzählung über die Desillusionierung der eigenen Existenz, durchsetzt von der bürgerlichen Trägheit der Bonner Republik: „Da gab es sie noch, die dicke Soße, die über den Braten floss und die so dick war, dass man sie am besten mit der Gabel aß. Bonn. Das blubberte langsam. Das blubberte nach unten weg und schlug dumpf gegen Topfboden.“

Wüsste man nicht von anderen Texten des Autors, könnte man hinter dem Titel „Dreckswelt“ einen weiteren Schizoid Man vermuten oder die x-te Dystopie-Erzählung, die zwar fiktiv daherkommt, aber doch mehr Gemeinsamkeiten mit real existierenden Zuständen hat, als angenehm ist. Doch der politische Kommentar ist Beiwerk, fast so nebensächlich, dass man ihn über weite Strecken des Textes sucht, um dann von seiner Deutlichkeit überrascht zu werden.

Als der Protagonist Zeuge eines Unfalls wird, bei dem ein älterer Mann ums Leben kommt, ist seine Reflexion einzigartig: „So waren sie, diese Senioren. Sie hatten ein ganzes Leben in Frieden und Wohlstand verbracht. Warum sollten sie sich ernsthaft grämen? Jetzt fehlte halt einer, aber all die anderen waren immer noch da. Und wer da ist, ist gut. […] Niemand befand sich unter ihnen, der nicht ohne Zuversicht sein E-Bike schob. Die Alten waren im Recht. Das Gute hört niemals auf. Das Gute ist immer da. BRD-Rentner kennen keinen Schmerz. BRD-Rentner sterben immer wieder“. Das erinnert an die Wutausbrüche eines Patrick Bateman („American Psycho“) und dürfte auch Liebhabern der Bücher von Röckes Verlagskollegen Sebastian Schwaerzel gefallen.

Protagonist ohne Halt, Lektüre ohne Schonung

Die Lektüre von Dreckswelt ist anstrengend, das Leiden des desolaten Protagonisten macht zunächst betroffen, dann müde und schließlich vor allem wütend. Man möchte ihn packen, schütteln, aus seinem Selbstmitleid und seiner Lethargie reißen, trotz aller angedeuteten Schicksalsschläge sträubt sich jede Zelle gegen den leibhaftigen Wurm, dem Röcke mit seinem Roman ein Denkmal gesetzt hat.

Doch gleichzeitig erlebt der Leser immer wieder Momente der Wiedererkennung, in dem universalen Leid und Schmerz der Dreckswelt ein Fraktal seiner selbst. Offensichtlich ist der Namenlose kein Vorbild, aber er taugt auch nicht als eindimensionale Schreckensschablone – er entzieht sich einer eindeutigen Zuordnung. Diese Deutungsoffenheit fordert heraus, und es ist nicht sicher, ob der Leser nach der Lektüre klüger ist als vorher. Frei nach Nietzsche könnte man formulieren: Wer zu lang in der Dreckswelt von Till Röcke liest, der läuft Gefahr, ein Teil von ihr zu werden. Wer es aber nicht tut, der verpasst einen einmaligen Blick in die Abgründe des menschlichen Seins und eine Literaturerfahrung, die ohne Zweifel einzigartig ist!


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Über den Autor

Mike Gutsing

Mike Gutsing, Jahrgang 1999, hat Geschichte studiert und lebt in Mitteldeutschland. Das besondere Interesse des Korporierten gilt der deutschen Geschichte und Kultur.

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