Wir Germanen – „SPIEGEL“ nunmehr stabil
Was sonst gerne als unwissenschaftliche „Germanentümelei“ der „rechten Szene“ abgetan wird, steht so in einer aktuellen Ausgabe des SPIEGEL (47/2022). Expressis verbis. Oder besser: schwarz auf weiß. Ironie aus.
Tatsächlich wird um die Germanen und ihr Bild in der Geschichte noch immer gerungen. Letzter Schauplatz war die Ausstellung Germanen. Eine archäologische Bestandsaufnahme (2021) auf der Berliner Museumsinsel, die der Öffentlichkeit eine Auswahl archäologischer Funde bieten konnte, eine zusammenfassende wie gleichermaßen weiterführende Botschaft jedoch schuldig blieb.
Die Germanen verschwinden aus Schulbüchern
Nach der maßlosen Überhöhung und propagandistischen Zurichtung im Dienste der Ideologie des „Dritten Reiches“, das im Übrigen nicht nur architektonisch eher an die römische imperiale Antike anknüpfte, schlug das Pendel vielfach in die andere Richtung aus. Es folgte eine in weiten Teilen gehässige und ebenso maßlose Dekonstruktion, die unter anderem in der Forderung gipfelte, die Bezeichnung Germanen aus der Wissenschaft zu streichen, weil man nicht davon ausgehen könne, dass ein die Stämme übergreifendes gemeingermanisches Bewusstsein geherrscht habe.
Demnach hätten lockere Gesellschaftsverbände zwischen Donau und Belt ihre kulturelle Identität im Wesentlichen aus der Abgrenzung von den Römern und ihrer mit den Legionen nach Norden vordringende Kultur bezogen. Gleichermaßen abwegig wie absurd.
Erfreulich, dass der SPIEGEL mit einer identitären Beschwörungsformel kontert:
„Die Germanen waren zufrieden mit dem was sie hatten, sie wollten bleiben was sie waren, unbeeindruckt vom römischen Lebensstil. Sie lehnten die Romanisierung ihrer Lebensbereiche konsequent ab, der römische Imperialismus ist (vielmehr) viele Jahre überdeutlich positiv dargestellt worden (…) unterschlagen werde dabei, dass die Römer bei ihren Feldzügen Hunderttausende Männer, Frauen und Kinder massakrierten. In vielen Schulbüchern wird ihr Kampf gegen Rom jedoch verdammt.“
Diese Ehrenrettung kommt gerade noch rechtzeitig, denn nach bildungspolitischen Scherbengerichten verschwinden die Germanen langsam aus Lehrplänen und Schulbüchern. Im Jahr 2019 hat sich die FAZ mit diesem Phänomen befasst, zu Wort kam unter anderem der Didaktiker Lars Deile. Er wies auf die ungebrochene populärkulturelle Begeisterung für unsere Vorfahren hin, die zu berücksichtigen sei.
Neue Erkenntnisse dank neuer Technologien
Mit den immensen technologischen Fortschritten, die seit jüngster Zeit die Archäologie beflügeln, steigen Zahl und Erträge der Bodenfunde dramatisch und eröffnen große Spielräume im Hinblick auf eine Neubewertung von Völkern und Schicksalen.
So hat das in Deutschland erfundene und (wieder einmal!) in durch US-amerikanische Universitäten in spektakulärer Breite eingesetzte Luft-Boden-Radar LiDAR den undurchdringlichen Dschungel der Yucatan-Halbinsel ausgeleuchtet.
Ergebnis: Das Volk der Maya muss angesichts der im Radarbild erkennbaren, aber noch im Boden schlummernden Monumentalbauten um mehrere Millionen Köpfe größer gewesen sein. Die bereits ausgegrabenen und wiederhergestellten Mayatempel in Tikal, Chichén Itzá oder Palenque repräsentieren somit wohl nur etwa 30 Porzent aller Bauten.
Es liegt auf der Hand, dass sich aus den zukünftigen Ausgrabungen weiterführende Erkenntnisse über das präkolumbianische Volk, das so geräuschlos aus der Geschichte schied, ergeben werden.
In einer Antwort auf meine Anfrage (Drucksache 18/1327) teilte die Landesregierung Rheinland-Pfalz mit, dass
„LiDAR-Daten auch im Rahmen von Forschungsprojekten eingesetzt werden, wobei sie ganz konkret die Ergebnisse bereichern können, egal ob sie Themen aus dem Neolithikum, der Bronzezeit, der vorrömischen Eisenzeit, der römischen Kaiserzeit zum Gegenstand haben.“
Der metallurgische Fingerabdruck einer Legion
Auch unseren Germanen, genauer den Cheruskern und ihren Bündnern, sprang nun die Hochtechnologie identitätsstiftend zur Seite. Eine Chemikerin des deutschen Bergbaumuseums Bochum untersuchte jüngst die 340 Schlachtfeldreste, darunter Gewandnadeln und Schmuck, die man seit 1987 in Kalkriese im Osnabrücker Land ausgegraben hatte.
Eine römische Legion führte in ihren Reihen immer auch Handwerker, insbesondere Schmiede, mit sich. Sie erwarben gemeinsam Rohmaterial, reparierten Eisenwaren oder metallenen Schmuck, indem sie ihn einschmolzen und neugestalteten. Der metallurgische Fingerabdruck einer Legion ist deshalb einzigartig, er lässt sich an den Metallfunden, die man am vermuteten Schauplatz der Varusschlacht (9 n. Chr.) ausgegraben hatte, ablesen und von anderen Legionen abgrenzen.
Befund des Massenspektrometers: die Legionäre, die in Kalkriese verzweifelt um ihr Leben kämpften und dabei ihre Habseligkeiten verloren, gehörten ausnahmslos, ja „gerichtsfest“ (zu 98 Prozent) den Legionen des Publius Quinctilius Varus an. Sie weisen nämlich die gleiche chemische Zusammensetzung wie die metallenen Überreste des historisch dingfest gemachten Varus-Lagers in Haltern, Westfalen, auf.
Die Varusschlacht
Der niedersächsische Fundort ist damit tatsächlich Schlachtfeld und Schauplatz der größten Niederlage Roms nördlich der Alpen. Die Zeit wäre reif, die clades variana endlich nach dem Sieger, dem Freiheitskämpfer Arminius zu benennen.
Seine kluge Strategie, die Legionen daran zu hindern, sich in geordneter Formation zu entfalten und die Schlacht in viele Einzelgefechte und Zweikämpfe aufzulösen, erwischte Varus auf falschem Fuß und besiegelte das Schicksal von 15.000 römischen Kämpfern.
Die Folgen waren ungemein weitreichend: Rom verwarf alle Pläne, das Freie Germanien zu unterwerfen, dem Norden Deutschlands blieb die römische Kolonisierung erspart.
Folge: die frühen Deutschen sprachen mit thiutisk (althochdeutsch „zum Volk gehörig“), eine germanische und eben keine romanische Sprache.
Da die Anzahl der schriftlichen Quellen, ohnehin von Zeitgeist und Standpunkt des Urhebers gefärbt und beeinflusst, wohl nicht mehr steigen wird, obliegt es der Archäologie mittels fortschreitender Technik Funde und Erträge beizusteuern.
So wie Heiko Steuer. Auf über 1.600 Seiten entwirft der Archäologe nun ein Bild der Germanen auf Grundlage alter und vor allem neuer Funde („Germanen“ aus Sicht der Archäologie, De Gruyter, 2022). Der Verlag besteht darauf, dass diese Gesamtschau Vorurteile und Topoi antiker Quellen entlarven werde.
Die Erträge im Überblick:
- Die ‚Industrie‘ der germanischen Eisenverhüttung war beachtlich und stand der römischen nicht nach, der Überschuss germanischen Eisens wurde weit ins Imperium exportiert,
- Zwar bestand das gemeingermanische Wegenetz insbesondere aus Holzbohlen, es beruhte aber auf einer Stämme übergreifenden Planung und Zusammenarbeit und erstreckte sich viel weiter als bislang vermutet,
- Entsprechend belegen zahlreiche Zeugnisse einen ausgedehnten und umfangreichen Handel, der dafür sorgte, dass Güter aus den fernsten Gegenden des Imperiums nach Germanien geliefert wurden, in dem wiederum ein Kunsthandwerk blühte, das anspruchsvollen Schmuck wie feine Zierbleche herstellte,
- Die germanische Gesellschaft war viel hierarchischer aufgebaut als angenommen, ablesbar z.B. an dem Metallschmuck in Bronze, Silber und Gold an z.B. Schilden und Waffen, die keineswegs immer Beutegut waren,
In Germanien müssen viel mehr Menschen gelebt haben, als die ältere Forschung geschätzt hat. Tatsächlich stellten die Stämme große, gut gerüstete und schlagkräftige Kriegerverbände auf, deren Anführer oder Fürsten ihr Wissen aus der Zeit des Dienstes bei den Römern weitergaben – so wie Cheruskerfürst Arminius.
Diese Befunde eröffnen nun die Gelegenheit, sich den Germanen ungetrübt von politischen Vorzeichen zu nähern, das schwankende Bild endlich auf die Füße zu stellen.
Angesichts der harschen Selbstkritik, die dieser neuen Sicht zur Seite gestellt wird, dürften sich einige verwundert die Augen reiben:
„Viele Medien beförderten lange den Eindruck, dass die deutschen Ahnen vor allem rückständige Hinterwäldler waren, denen die Kolonisation durch die Römer gutgetan habe. Der ‚SPIEGEL‘ schrieb noch Mitte der Neunzigerjahre von ‚grobschlächtigen Archaikern‘, die ohne den Einfluss römischer Herrschaft im ‚Ostblock der Antike‘ verharrt hätten“.
Das geht runter wie Met.
Zur Person:
Joachim Paul ist Abgeordneter (AfD)im Landtag Rheinland-Pfalz. Der Lehrer ist Sprecher der Fraktion für Digital- und Bildungspolitik und beschäftigt sich in der laufenden Legislatur zudem mit Forschung und Entwicklung.