Autorin Charlotte Gneuß zum Bombenterror: „Dresden war nicht unschuldig“
Zum 80. Jahrestag der Bombardierung Dresdens sorgt die Autorin Charlotte Gneuß mit einer provokanten These für Aufregung. Demnach waren die Dresdner selbst Schuld an der Bombardierung ihrer Stadt.
Eine „aktive Zivilgesellschaft“, so Gneuß, hätte die nationalsozialistischen Verbrechen und die Zerstörung Dresdens verhindern können.
© IMAGO / STAR-MEDIADresden. – Am 13. Februar jährte sich zum 80. Mal die Zerstörung Dresdens durch alliierte Luftangriffe. Bis heute ist die Bewertung dieses Ereignisses umstritten. War die Bombardierung ein Kriegsverbrechen oder ein notwendiger Schlag im Kampf gegen das Dritte Reich? Charlotte Gneuß, die 2024 Stadtschreiberin in Dresden war, bezieht in einem MDR-Gastkommentar eine kontroverse Position. Sie argumentiert, dass Dresden nicht unschuldig war und unterstellt der damaligen Stadtgesellschaft eine tiefe Verstrickung in das NS-System.
Demnach sei Dresden nicht nur ein wichtiger Militär- und Industriestandort des NS-Regimes gewesen, sondern auch eine Hochburg antisemitischer Strukturen. Gneuß vertritt die Ansicht, dass eine „aktive Zivilgesellschaft“ sowohl die Verbrechen der Nationalsozialisten als auch die Bombardierung der Stadt hätte verhindern können. Damit stellt sie indirekt die These auf, dass die Stadt selbst für ihre Zerstörung verantwortlich war.
Antisemitismus und NS-Verstrickung
Die Autorin verweist auf verschiedene Aspekte der NS-Verstrickung Dresdens: Die Stadt war Gauhauptstadt, Regierungssitz und Zentrum nationalsozialistischer Organisationen. In den 1930er-Jahren habe sie sich außerdem zu einem der wichtigsten Rüstungsstandorte des Reiches entwickelt. Täglich passierten bis zu 20.000 Soldaten den Bahnhof Dresden-Neustadt, der Güterbahnhof sei zentraler Ausgangspunkt für die Deportation der Juden gewesen.
Aber nicht nur die politische Elite, auch die Bevölkerung sei tief in das System verstrickt gewesen. Gneuß erinnert daran, dass sich Dresden schon früh antisemitisch radikalisierte. Am Weißen Hirsch, dem Dresdner Villenviertel, habe man sich bereits 1933 gerühmt, „judenfrei“ zu sein, erklärt sie. Auch die Ausstellung „entartete Kunst“ in Dresden 1937 sei massenhaft besucht worden.
Opportunismus in der Stadtgesellschaft
Neben der NS-Ideologie sei auch die wirtschaftliche Infrastruktur der Stadt eng mit dem Regime verbunden gewesen. Bis zu 20.000 Zwangsarbeiter, 12.000 Kriegsgefangene und 4.400 KZ-Häftlinge arbeiteten laut Gneuß in Dresden. Sie seien im Stadtbild allgegenwärtig gewesen, aber es habe kaum Widerstand gegen ihre Ausbeutung gegeben. Fast jedes Unternehmen und jeder landwirtschaftliche Betrieb habe Zwangsarbeiter beschäftigt. Dresden sei keine „Stadt des Widerstands“ gewesen, betonte Gneuß, auch wenn es kleine Gruppen gegeben habe.
Die Stadtschreiberin argumentiert, dass der Grundstein für diese Entwicklung lange vor 1933 gelegt worden sei. Aus dieser historischen Entwicklung zieht Gneuß eine brisante Schlussfolgerung: Hätte Dresden eine engagiertere Zivilgesellschaft gehabt, wäre das NS-Regime vielleicht nicht an die Macht gekommen – und die Stadt nicht bombardiert worden. „Das alte Dresden stünde heute noch“, sagt sie.