Bärendienst an der Tradition: Das „Tanzverbot“ ist kontraproduktiv

Alljährlich entbrennt die Debatte um die Sinnhaftigkeit des „Tanzverbotes“ vor allem am Karfreitag. Will man die Jugend für traditionelle Werte begeistern, sollte man es dennoch – entgegen der ersten Intuition – kippen. Der Journalist Julian Schernthaner und der FPÖ-Politiker Florian Meilinger diskutieren die Frage, wie die Rechte zum Tanzverbot und zum Glauben stehen sollte.

Julian Schernthaner
Kommentar von
29.3.2024
/
5 Minuten Lesezeit
Bärendienst an der Tradition: Das „Tanzverbot“ ist kontraproduktiv

Demonstration gegen das Tanzverbot

© IMAGO / aal.photo

Tradition ist bekanntlich nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe der Fackel. Bräuche und Sitten sollte man pflegen, weil ihnen ein tieferer Sinn innewohnt. Dies gilt für kaum ein Fest so klar wie für Ostern. Die Glocken „fliegen nach Rom“, der Gründonnerstag und Karfreitag gelten als strenge Fastentage. Man bemalt, versteckt und sucht Eier, trifft sich mit seinen Liebsten, nimmt vielleicht gar an einem Osterfeuer teil. Und egal, ob man als Christ die Kreuzung und Auferstehung Jesu oder als Heide die Wiederkehr der Sonne nach dem Winter feiert: Es ist ein hohes Fest, in dessen Kern sich der Kreislauf von Leben und Natur widerspiegelt.

Strafbewehrt verordnete Stille

All diese Rituale haben tiefgründige Wurzeln. Die fleischlose bis karge Kost an den Kartagen und die schweigenden Glocken rühren etwa von der Vorstellung her, dass sich der erste Teil des Osterfestes der Trauer und Andacht widmet, in deren Mittelpunkt die Leiden Jesu stehen. Die Ratschen im Alpenraum mögen „Heidenlärm“ erzeugen, sollen aber die Stille nicht brechen, sondern ursprünglich die Gläubigen ans Gebet erinnern. Erst am Ostersonntag kehren die Glocken zurück, wenn mit der Auferstehung Christi die Trauer einem freudigen Anlass weicht.

An diesen Gedanken knüpft sich auch das Tanzverbot am Karfreitag und Karsamstag an. Er dürfte der Grund sein, weshalb es an diesen Tagen weiterhin – gerade in katholischen Gebieten Deutschlands – besonders streng gilt. In Bayern ist dann sogar jede Form von musikalischer Darbietung in Schankbetrieben grundsätzlich verboten. Wer sich beim Gstanzl im Wirtshaus erwischen lässt, riskiert bis zu 10.000 Euro Strafe. Also theoretisch, denn ein halbwegs gottesfürchtiger Bayer am Land käme ohnehin nicht auf die Idee. Der Konsens ist: Es schickt sich einfach nicht.

Einladung zur Trotzreaktion

Doch genau hier liegt das Problem: Je städtischer und „weltoffener“, desto eher folgt bundesweit der offene Protest gegen das strikte Tanzverbot. Atheistische Gruppen veranstalten an „stillen Tagen“ alljährlich große Partys, die sich gezielt gegen den besinnlichen Charakter des Tages richten. Sie können sich als Rebellen inszenieren, sehr zur Freude der Mainstream-Presse, die darüber genüsslich berichtet. Vor einigen Jahren störten 1.500 tanzende Jugendliche in Hessen mit einem Flashmob dabei sogar – wenn auch unbeabsichtigt – eine Karfreitagsprozession.

Ohne Not züchtet man sich also ein Protestpotenzial heran, das die Tradition als repressive Hürde für die Feierlaune junger Menschen sieht. Der Tanz, eigentlich ein uralter Volksbrauch, wird zum Politikum gegen das Brauchtum. Die hedonistische Feier des immerwährenden Konsums wird zur Waffe gegen den Feiertag. Junge Studenten, die im Heimatdorf vielleicht eine Balance zwischen obligatem Kirchenbesuch und schaumgebremstem Umtrunk mit den engsten Freunden gesucht hätten, werden in der Stadt zur kritischen Masse gegen die Andacht.

Lockerungswunsch kaum Gesinnungsfrage

Mit dem Tanzverbot stößt man junge Menschen somit vom sinngebenden Anker der Tradition weg. Zieht man die Jugend zu anderen Jahreszeiten zwischen Blasmusik-Festival, Volksfest und Schützenaufmarsch in den Bann, so wirft man die dabei gehegte Fackel am Karfreitag quasi ins stille Wasser, um sie ungewollt zum Erlöschen zu bringen. Im Glauben, jede Tradition sei automatisch gut, springen auch Rechte dafür in die Bresche. Sie wollen retten, was nicht zu retten ist: Waren bei Befragungen in den Jahren 2016 und 2017 die Befürworter noch in der Überzahl, hat sich das Blatt laut der jüngsten YouGov-Umfrage gewendet: Inzwischen ist eine Mehrheit für eine Lockerung.

Je jünger die Menschen sind, desto eher halten sie das Tanzverbot für zu streng. Eine Überraschung gibt’s bei den politischen Präferenzen: Jeder zweite AfD-Wähler begrüßt eine Lockerung, jeder Dritte sogar „voll und ganz“. Sogar unter CDU/CSU-Wählern, die noch am ehesten daran festhalten, sind die Tanzverbot-Fans bereits in der relativen Minderheit. Auf den Achsen Arm/Reich, Mann/Frau und West/Ost gibt es hingegen kaum Unterschiede. Zur Erinnerung: Als die Tanzverbot-Fans zuletzt in der Mehrheit waren, saß die AfD noch nicht im Bundestag. Wenn jemand tanzte, waren Merkels Gäste in belästigender Manier zu Silvester auf der Kölner Domplatte.

Die wachsende Ablehnung des Verbots ist also gewiss kein Indiz für einen Abbau heimatverbundener Werte oder eines allgemeinen Sittenverfalls: Heute ist die oppositionelle AfD im Aufwind, das Bekenntnis zum Eigenen wird trotz zunehmender Repression durch das Altparteienkartell für breite Teile des Volkes sagbar. Und doch wirkt das Tanzverbot plötzlich inmitten dieses neuen patriotischen Aufbruchs auch für diese Leute antiquiert.

Corona als Lehre des übergriffigen Staates

Ob dieser Sinneswandel auch mit den Verboten der Corona-Zeit zu tun hat, als Tanzen wochenlang ausdrücklich verboten war? Gut möglich: Viele Menschen mussten erstmals täglich erleben, wie es ist, wenn ein übergriffiger Staat bis ins Wohnzimmer hineinregiert und ihnen sogar vorschreibt, wie viele Haushalte sich zu Weihnachten oder Ostern treffen durften. Zugleich gab es als Gegenbeispiel das lockerere Corona-Regime in Schweden, wo sich die Bürger kurioserweise an die (trotzdem objektiv sinnlosen) Empfehlungen ihrer Regierung hielten.

Eine Lehre für alle Seiten: Wer mit Verboten und Zwängen agiert, erreicht oft das Gegenteil seiner Absichten. Vorschriften, die weder zweckmäßig noch sinnvoll noch logisch erscheinen, werden ignoriert. Nichts machte die Jünger Coronas wilder als kritische Bürger, die trotz Demoverboten auf die Straße gingen oder die späteren Lockdowns missachteten. Die österreichische Impfpflicht war der effektivste Schritt, um die umstrittenen mRNA-Spritzen endgültig zum Ladenhüter zu machen. Auf die letzten verbliebenen Panikmachern hört heute keiner mehr.

Abschaffung führt nicht zu Sündenpfuhl

Wer nicht will, dass am Karfreitag getanzt wird, sollte diese psychologische Lehre vielleicht verinnerlichen. Er hat sogar einen Vorteil: Denn Verzicht und Bräuche an bestimmten Tagen halten traditionsbewusste Bürger üblich sogar für sinnvoll. Für sie braucht es auch keine staatliche Vorschrift, um am Aschermittwoch oder Karfreitag auf Fleisch zu verzichten. Am Heiligen Abend und 1. Weihnachtstag sind sogar großstädtische Kneipen leer, obwohl die Tanzverbote an letzterem Tag in keinem deutschen Bundesland bis in die Abendstunden reichen.

Das Volk hat einen gesunden Moralkompass, was „sich gehört“. Das zeigt sich auch in Österreich, wo die letzten bestehenden Tanzverbote in Tirol (2004) und Oberösterreich (2007) vor Jahren gekippt wurden. Trotzdem wurde unser Land – wo der Karfreitag ohnehin kein gesetzlicher Feiertag ist – nicht zum Sündenpfuhl, gerade im Vergleich mit dem deutschen Nachbarn. Wir pflegen unser Brauchtum: Die Tracht ist ein Lebensgefühl und Traditionsfeuer zu Ostern und zur Sonnwende, in der Bundesrepublik als „rechtsextrem“ gebrandmarkt, sind hier selbstverständlich.

Patriotische Wende: Überzeugung statt Zwang

Konservativ-patriotische Wertvorstellungen sind ein hohes Gut und haben den Vorteil, sich über Jahrhunderte bewährt zu haben. Bei sorgsamer Pflege bedarf es daher keiner Verbote und Zwänge, um sie zu erhalten. Andernfalls verlören sie ihren Wert als organischer Ausdruck des Volksempfindens. Schaffen wir das unselige Tanzverbot ab und nehmen damit den linksliberalen Marktschreiern den Wind aus den Segeln. Gehen wir aber zugleich in die Offensive und bringen unseren Mitmenschen jene Ansichten und Bräuche näher, die uns wert und teuer sind.

Dazu gehört sicher auch der andächtige Umgang mit bestimmten Anlässen im Jahreskreis. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass eine traditionsbewusste Jugend, so man sie lässt, gar nicht das Bedürfnis hat, am Karfreitag auf den Putz zu hauen, wenn der Freundeskreis das für unschicklich hält. Im besten Fall nehmen sie die soziale Erwartung aus freien Stücken auf und bringen sie später auch ihren Kindern bei. Im schlimmsten Fall ist es für sie ein Freitag wie jeder andere. Das ist auch kein Beinbruch: Im nächsten Jahr können sie sich erneut besinnen. Ein gütiger Gott wird ihnen dann den Ausrutscher vom letzten Mal gewiss vergeben.


Zur Person:

Der studierte Sprachwissenschafter wurde 1988 in Innsbruck geboren und lebte sieben Jahre in Großbritannien. Vor kurzem verlegte er seinen Lebensmittelpunkt ins malerische Innviertel, dessen Hügel, Wiesen und Wälder er gerne bewandert. Der Kenner alter Schriften und Kulturen schmökert leidenschaftlich in seiner ausgiebigen Bibliothek und ist passionierter Teetrinker und Käseliebhaber. Als ehemaliger Wachmann war der Freund harter Klänge schon immer um kein Wort verlegen. Seine Spezialität sind österreichische Innenpolitik sowie schonungsloser gesellschaftlicher Kommentar.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
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