Die AfD nach der ID-Mitgliedschaft – wohin treibt es die deutsche Rechtspartei?
Es war nicht das erste Mal, dass sich zwischen dem Rassemblement National und der AfD Spannungen aufbauten, allerdings blieben die vorherigen Auseinandersetzungen ohne ernsthaftere Konsequenzen. Doch nun möchte der RN die AfD nicht mehr in der gemeinsamen ID-Fraktion im Europäischen Parlament wissen. In seiner Analyse für FREILICH zeichnet Marvin Mergard nach, welche Möglichkeiten die AfD nun hat.
Der genaue Beobachter konnte bereits über einen längeren Zeitraum die Zerwürfnisse zwischen diesen Parteien verfolgen und die sich verstetigende Distanz wahrnehmen. Während Marine Le Pen mit ihrer Partei seit 2011 den Weg der Entdämonisierung betrat und hierfür 2018 die Partei von Front National in Rassemblement National umbenennen ließ, konnte diese Entwicklung in zweifacher Weise bewertet werden.
Politische Entfremdung und der Wille zur Macht
Zuerst war dies ein gelungener Schritt aus der politischen Isolation hin auf die politische Bühne Frankreichs. Gleichwohl scheint die Entwicklung zur Mitte inzwischen so weit voranzuschreiten, dass die Nähe zur rechtskonservativen EKR-Fraktion ausgebaut und eine mögliche Zusammenarbeit mit der christdemokratischen EVP angedacht wird, in der sich unter anderem CDU und CSU in leitender Position befinden.
Für diese machtpolitische Annäherung zwischen EVP und EKR einerseits und EKR und ID andererseits müssen selbstverständlich Hindernisse abgeräumt werden. Die EKR unter Meloni hat zwar mehr klassische Rechtsparteien inkludieren können als die EKR zuvor (beispielsweise Vox aus Spanien, AUR in Rumänien), dennoch hat sie es geschafft, diese Mitgliedsparteien unter eine Agenda zu vereinen, die sich kaum von der EVP unterscheidet.
Die nationalkonservative Position verliert sich vor allem im Italien Melonis in der Fortführung aller außenpolitischen Prinzipien des Establishments. Dazu gehört die uneingeschränkte Unterstützung der Ukraine, der NATO, der EU und die fehlende Abkehr von der Massenmigration, wie sie vielfach bei ihrem Amtsantritt hoffnungsvoll erwartet wurde. Einzig die konservative Kulturpolitik zeichnet andere Akzente, doch was ist eine nationalkonservative Koalition in Italien oder eine nationalkonservative Fraktion wert, wenn sie keine „Festung Europa“ aufbaut?
In dieses Bild fügt sich die Annäherung von Le Pen, stellvertretend für die ID, an die EKR und Meloni an. Hervorzuheben ist die vorangegangene Auseinandersetzung zwischen RN und AfD bezüglich des Schlagworts und Konzepts Remigration. Während das politische Vorfeld den Begriff mit einer Konzeption versehen hat, das als Antwort auf die sich verstetigende Überfremdung dient, will der RN nichts von Remigration wissen.
Auch da wissen wir spätestens seit dieser klaren Positionierung, dass die notwendige Wende in der Migrationspolitik mit Le Pen nicht zu erwarten ist – eine französische Meloni mit der Sehnsucht nach Macht auf Kosten rechter Kernforderungen.
Neue Legislaturperiode – neue Möglichkeiten?
Nun ist der Ausschluss der AfD aus der gemeinsamen ID-Fraktion beschlossene Sache und eine Aussöhnung mit dem RN unter der Führung Le Pens aussichtslos. Darüber hinaus stellt sich jetzt die Frage: Sollte die AfD überhaupt unter diesen Umständen zurück in die ID wollen? Welche Optionen stehen ihr derzeit zur Verfügung und welche sind realistisch?
Option 1 – Versöhnung und Wiedereingliederung in die ID
Zwar besteht zwischen Le Pen und der AfD ein tiefgreifender Streit, dennoch ist es nicht ausgemachte Sache, dass sich die AfD-Führung nicht doch einen Kompromiss mit dem RN schließen kann. Allerdings müsste die AfD dem Wunsch Le Pens entsprechend und ihren eigenen Abgeordneten in den Rücken fallen und sie hierfür aus der AfD-Delegation für die ID-Fraktion entfernen. Darunter würde angeblich nicht nur Maximilian Krah (Listenplatz 1) fallen, sondern mindestens darüber hinaus Petr Bystron (Listenplatz 2) und René Aust (Listenplatz 3) umfassen.
Ein derartiges Vorgehen wäre ein Gang nach Canossa und ein Zeichen der Unterwerfung auf Kosten der eigenen Abgeordneten. Weder ein empfehlenswerter noch ein erfolgversprechender Weg.
Option 2 – Die Akzeptanz der Fraktionslosigkeit
Derzeit befinden sich 61 von 705 Europaabgeordneten nicht in einer Fraktion. Darunter die italienische Fünf-Sterne-Bewegung oder der ungarische Fidesz von Viktor Orbán.
Zwar verringern sich die politischen Gestaltungsmöglichkeiten außerhalb einer Fraktion, jedoch besteht der große Vorteil in der vollkommenen Unabhängigkeit. Es besteht keine Notwendigkeit, sich externen Partnern unterzuordnen und von eigenen Prinzipien abzuweichen.
Sonderlich attraktiv ist diese Option dennoch nicht. Die Fraktionen erhalten finanzielle Mittel, die in der Form der AfD nicht zur Verfügung stehen würden. Darüber hinaus dienen Fraktionen der länderübergreifenden Kommunikation und Unterstützung. Für eine gesamteuropäische Wende ist die Vereinzelung der patriotischen Parteien hinderlich und sollte nach Möglichkeit eine temporäre Ausnahme und nicht die Regel darstellen. Nichtsdestoweniger könnte die AfD vorerst mit dieser Option freiwillig oder unfreiwillig vorliebnehmen müssen.
Option 3 – Die Gründung einer weiteren rechten Fraktion
Als Maximilian Krah zum Spitzenkandidaten gewählt wurde, war sein Credo: Die ID müsse zur ID-Plus erweitert werden. Seine Idee sah vor, dass nach der Europawahl die Neuzugänge rechts der Mitte in die ID einbezogen werden und damit die ID erheblich gewachsen wäre. Damit hätte sich die ID besonders in den osteuropäischen Raum erweitern können und die Fraktion breiter aufgestellt.
Der Traum der ID-Plus scheiterte jedoch nicht erst mit dem Ausschluss der AfD. Bereits die aufstrebende bulgarische Rechtspartei Wasraschdane unter ihrem Vorsitzenden Kostadin Kostadinow trat kurz nach ihrem Eintritt in die ID-Partei wieder aus. Der Grund hierfür: Der RN störte sich angeblich daran, dass die Wasraschdane an einem Treffen in Russland teilnahm. Da der RN eine Suspendierung aussprechen wollte, entschloss sich die Wasraschdane dem zuvorzukommen und aus der ID auszutreten.
Nach dem Ausschluss der AfD aus der ID-Fraktion hat sich Kostadin Kostadinow auf Twitter unverzüglich solidarisch mit der AfD gezeigt und zur Zusammenarbeit in einer neuen Fraktion aufgerufen.
Er schrieb unter anderem: „Unsere deutschen Freunde können auf uns zählen, ebenso wie alle anderen europäischen politischen Kräfte, die wie wir denken. Einigkeit macht stark!“
Die Hand wurde gereicht – wird die AfD annehmen?
AfD, Wasraschdane und wer noch?
Selbstredend können zwei Landesdelegationen keine ausreichende Basis für eine Fraktionsbildung bilden. Hierfür wären mindestens 23 Abgeordnete aus mindestens einem Viertel der EU-Staaten notwendig. Daher sind zumindest sieben verschiedene Landesdelegationen vonnöten.
Dieser Schritt würde jedoch die aktuelle politische Isolation der AfD aufbrechen und mit neuen Bündnispartnern aus der aktuellen Position der Schwäche eine der Stärker ermöglichen. Vor allem, da die AfD unbestritten die größte Delegation entsenden würde und damit die Geschicke der Fraktion maßgeblich mitgestalten kann.
Könnte also die AfD geeignete Partner finden, um eine neue Fraktion zu bilden? Welche potenziellen Partner stehen der AfD hierfür zur Verfügung? Diese Fragen sollen im nächsten Artikel ihre Antworten finden.
Zur Person:
Marvin Mergard, Jahrgang 1994, betreibt den Blog Vera Europa. Dort setzt er sich mit der politischen Rechten in Europa und der europapolitischen Lage aus rechter Perspektive auseinander.