Die vierte Lesung: Das Ende von Ende-zu-Ende
Robert Willacker sieht in den Plänen der österreichischen Regierung, Messenger-Dienste zu überwachen, weniger eine Sicherheitsmaßnahme als vielmehr eine Gefährdung verschiedener Bereiche.
In anderen Staaten ist die Überwachung von Messengern bereits Standard, nun soll sie auch in Österreich kommen.
© IMAGO / DepositphotosDie österreichische Bundesregierung plant, Messenger-Dienste wie WhatsApp, Signal oder Telegram staatlich überwachen zu lassen. Das ist das Ergebnis einer zweitägigen Klubklausur, an deren Ende gestern der entsprechende Begutachtungsentwurf vorgestellt wurde. Vorrangig geht es dabei um sicherheitspolitische Maßnahmen gegen organisierte Kriminalität und Terrorismus. Man könnte meinen: ein Schritt, der längst überfällig ist, immerhin ist Österreich eines der letzten Länder Europas, in dem eine Überwachung von Messengerdiensten bisher rechtlich nicht möglich ist.
So einfach ist das Ganze jedoch nicht. „Die anderen machen es aber auch“, ist ein Totschlag-Argument, das man als Elternteil den eigenen Kindern in der Regel nicht durchgehen lässt. Darum sollte man als mündiger Bürger auch den Staat nicht ohne weiteres damit durchkommen lassen. Die Messengerüberwachung entpuppt sich bei näherem Hinsehen nämlich als tiefgreifender Angriff auf grundlegende Freiheitsrechte – und als gefährlicher Präzedenzfall für den Umgang mit digitalen Kommunikationsräumen.
Privatsphäre als Rückgrat der freien Gesellschaft
Auch wenn die Politik es einem oft und gerne einreden möchte, Privatsphäre ist kein romantischer Luxus des digitalen Zeitalters, sondern ein unveräußerliches Grundrecht – das Rückgrat einer freien Gesellschaft. Sie schützt nicht nur die intimen Geheimnisse des Einzelnen, sondern auch das Politische, das Kreative, das Kritische. Wer beginnt, Kommunikationskanäle flächendeckend zu überwachen, reißt die schützenden Wände ein, hinter denen Meinungsbildung und geistige Autonomie stattfinden.
Der Gedanke, dass staatliche Behörden in private Nachrichten Einblick nehmen können, widerspricht diametral den Prinzipien eines liberalen Rechtsstaates. Es ist ein autoritärer Reflex auf eine Welt, die komplexer und unübersichtlicher geworden ist. Natürlich, so die Befürworter einer Messengerüberwachung, dürfe das Instrument nur bei Vorliegen konkreter Verdachtsmomente angewandt werden. Es stelle somit keine Bedrohung für den Datenschutz des Normalbürgers dar.
Ethische und sicherheitspolitische Bedenken
Wer wissen möchte wie das in Österreich mit der Anwendung von angeblich eng gefassten Gesetzen in der Praxis so funktioniert, dem sei die Nachlese des Wiener Neustädter Tierschützerprozesses und der „Operation Spring“ nahegelegt. In beiden Fällen kam der „Mafia-Paragraph“ zur Bildung einer Kriminellen Organisation nach § 278a StGB zur Anwendung – ein Gesetz, das eigentlich nie für solche niederschwelligen Fälle konzipiert worden war.
Doch auch abseits der ethischen Dimension offenbaren sich auf den zweiten Blick massive technische und sicherheitspolitische Bedenken. Um verschlüsselte Messenger zu überwachen, müssten Sicherheitslücken entweder bewusst offengelassen oder gar geschaffen werden – Einfallstore, die nicht nur dem Staat, sondern auch Cyberkriminellen offenstehen könnten.
Weg zur aktiven Selbstsabotage
Was als Mittel zur Schaffung von mehr Sicherheit für die Bürger beworben wird, schwächt am Ende die digitale Infrastruktur für alle. Das ist kein verbesserter Schutz, sondern aktive Selbstsabotage. Zudem bleibt die Frage nach der Wirksamkeit solcher Maßnahmen insgesamt ungeklärt. Vor allem die österreichischen Nachrichtendienste haben in der Vergangenheit unter Beweis gestellt, dass sie schon öffentlichen Anschlagsdrohungen, etwa auf Telegram, entweder gar nicht oder nur völlig unzureichend begegnen können. Im vergangenen Jahr wurde etwa in Innsbruck eine per E-Mail an die Polizei versandte Bombendrohung gegen den Hauptbahnhof erst Stunden nach dem angedrohten Anschlagszeitpunkt entdeckt.
Hinzu kommt, dass sich Kriminelle oder Terroristen früher oder später kommunikative Alternativen suchen oder auf analoge Wege ausweichen. Was bleibt, ist die potenzielle großflächige Erfassung unbescholtener Bürger – ein kollektiver Generalverdacht, der nichts mit gezielter Verbrechensbekämpfung zu tun hat. Natürlich ist die digitale Sphäre kein rechtsfreier Raum, aber sie darf auch kein gläsernes Gefängnis werden. In einer freien Gesellschaft müssen Freiheitsrechte auch dann gelten, wenn sie unbequem erscheinen – gerade dann. Denn die Privatsphäre ist die letzte Bastion persönlicher Würde in einer zunehmend entgrenzten Welt.