Die vierte Lesung: Hochrechnungen im Hochwasser
In Deutschland, Österreich und anderen Ländern kämpfen die Menschen mit zum Teil dramatischen Hochwassersituationen. Für die Politik ist in solchen Situationen Fingerspitzengefühl gefragt, wie der Politikberater Robert Willacker in seinem Kommentar für FREILICH anhand von Beispielen aus der Vergangenheit erläutert.
Das Hochwasser ist in Österreich ein altbekannter Gast. Dennoch sind die damit einhergehenden Bilder jedes Mal aufs Neue betrüblich und erschreckend. Aktuell gibt es vielerorts nicht nur materielle Verluste zu beklagen, sondern vereinzelt auch Menschenleben. Naturkatastrophen dieser Tragweite sind immer auch ein Politikum. Dabei ist es für Politiker alles andere als einfach, in einer solchen Situation das Richtige zu tun.
Fingerspitzengefühl gefragt
Wer sich als Abgeordneter, Minister oder Kanzler in Gummistiefeln neben einem Sandsack fotografieren lässt, wird schnell mit dem Vorwurf konfrontiert die Krise zur eigenen Profilierung zu nutzen. Verzichtet man auf Besuche im Hochwassergebiet, stehen Empathielosigkeit und Teilnahmslosigkeit im Raum. Im multimedialen Umgang mit dem Hochwasser ist also Fingerspitzengefühl gefragt.
Wie man es nicht macht, hat in der jüngeren Vergangenheit der einstige CDU-Kanzlerkandidat und ehemalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, vorgezeigt. Während einer Rede des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier in dem 2021 vom Hochwasser zerstörten Ahrtal feixte und lachte Laschet im Hintergrund minutenlang. Die Fernsehkameras fingen diesen Moment ein und die Umfragewerte der CDU sanken unmittelbar danach rapide. Es war das frühe Ende von Laschets Chance auf das Kanzleramt.
Schmidts Ansehen stieg über Nacht
Es geht jedoch auch anders: Das herausragende Krisenmanagement des damaligen Hamburger Innensenators und späterem deutschen Bundeskanzlers Helmut Schmidt bei der Sturmflut 1962 an der Nordseeküste verhalf ihm trotz 315 Todesopfern in der Hansestadt quasi über Nacht zu einer ungeheuren Popularität und bundesweitem Ansehen.
Auch das Hochwasser in Mitteleuropa von 2002 hatte weitreichende politische Auswirkungen. Die Flut kam ebenfalls mitten im Bundestagswahlkampf und bescherte Gerhard Schröder einen hauchdünnen Vorsprung vor der Union und damit die Fortsetzung seiner Kanzlerschaft.
Auswirkungen auf Nationalratswahl
Was heißt all das nun für die in Österreich anstehende Nationalratswahl am 29. September? Bei der Kanzlerpartei ÖVP hofft man zweifellos, durch ein gutes Hochwassermanagement noch den einen oder anderen FPÖ- oder SPÖ-Wähler auf die eigene Seite ziehen zu können. Es wird wohl Wechselwähler geben, bei denen während und nach einer solchen Naturkatastrophe der Wunsch nach politischer Kontinuität den eigentlichen Willen nach Veränderung überwiegt. Ob dieser Wählertypus jedoch in nennenswerter Zahl vorhanden ist, darf als fraglich beurteilt werden. Nach Corona, Teuerungskrise und einer Rekordzahl an migrantischen Messerattacken sind die gesellschaftlichen Gräben tief; die Wahlentscheidung dürfte diesmal bei den meisten Wählern schon unverrückbar feststehen.
Vielen wird auch noch der Auftritt des ehemaligen Bundeskanzlers Viktor Klima beim Hochwasser im niederösterreichischen Hirtenberg in Erinnerung sein. Per Helikopter ließ er sich 1997 ins vergleichsweise harmlos anmutende Hochwassergebiet fliegen und watete kamerawirksam in gelben Gummistiefeln durchs Wasser. Diese bemühte Inszenierung wurde von der Bevölkerung deutlich negativ aufgenommen und schuf eine kollektive Erinnerung, die in den Überlegungen der Social-Media-Abteilungen der Parteien heute zweifellos eine Rolle spielen wird.
Am intensivsten wird die aktuelle Hochwasserkrise indes von den Grünen bewirtschaftet. Von der österreichischen Klimaministerin Leonore Gewessler bis zur deutschen Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang war man sich schnell einig: Schuld hat der Klimawandel. Mit dem Wahltag vor Augen nimmt es die grüne „Hört auf die Wissenschaft“-Truppe mit selbiger dann auch gar nicht mehr so genau. Der wissenschaftliche Konsens, wonach Einzelwetterereignisse nicht seriös mit dem Klimawandel in ursächlichen Zusammenhang gestellt werden können, war jedenfalls schnell über Bord geworfen.