Exklusiver Buchauszug: Der Weg ins Volk – Die FPÖ unter Jörg Haider
Raus aus dem eigenen Lager: Mit Haider werden die Freiheitlichen von einer „Honoratiorenpartei“ zur modernen populistischen Rechtspartei. Zum Geburtstag Haiders veröffentlicht FREILICH einen Auszug aus dem neuesten Buch von Lothar Höbelt über die Geschichte der Freiheitlichen.
FREILICH: Jörg Haider passiert der FPÖ 1986. Steger ist gerade in der Koalition mit der SPÖ. Dann kommt es zum „Putsch“. Wieso erhebt sich die FPÖ so konsequent gegen die eigene Regierungsmannschaft?
Lothar Höbelt: Es sagt recht viel aus – nicht über die FPÖ, sondern über die sogenannte „politische Kultur“ in Österreich – dass gerade der Innsbrucker Parteitag oft als „Putsch“ ausgeschildert wird. Es gab kaum einen Parteitag, egal welcher Partei, wo innerparteiliche Demokratie besser praktiziert – und dann ja auch vom Wähler abgesegnet worden ist. Da sehe ich sogar einen gewissen Zusammenhang: Die beiden Parteichefs, die als einzige in Österreich je eine absolute Mehrheit erzielt haben, Klaus und Kreisky, sind auch in einer Kampfabstimmung gewählt worden. Auch bei Klaus gab es da 1963 Gegner, denen sofort der Vergleich mit dem „Führer“ eingefallen ist. Und Benya hat Kreisky auf dem Parteitag 1967 ziemlich offen „foul play“ vorgeworfen. Da stößt man – in allen drei Fällen – auf eine schizophrene Stimmung unter den Funktionären – die sind auf der einen Seite verschreckt, fürchten eine Spaltung und vielleicht auch, dass sie sich persönlich falsch, nämlich für den Verlierer entscheiden könnten; auf der anderen Seite sind sie jetzt zur Abwechslung einmal tatsächlich gefragt und nicht bloß Befehlsempfänger, sondern können wirklich Entscheidungen treffen. Schematisch gesagt: Das freut vermutlich die einfachen Delegierten, aber es irritiert die Spitzenfunktionäre, deren Karriereplanung in Gefahr gerät.
Auch in den Führungsgremien der FPÖ sind in den Monaten vor dem Innsbrucker Parteitag unzählige Varianten überlegt worden, wie denn eine Kompromisslösung aussehen könnte, die mehr oder weniger alle zufriedenstellt. Man kann da nicht einmal von Intrigen sprechen, sondern Norbert Gugerbauer hat sich von seinem Parteivorstand in Oberösterreich ganz offiziell den Auftrag geben lassen, nach einer Alternative zu Steger zu suchen. Ich hatte Gugerbauer damals schon gekannt und durfte als Zaungast bei dem einen oder anderen Gespräch dabei sein, einmal auch zusammen mit Sektionschef Elmar Walter, einer in vieler Beziehung außergewöhnlichen Persönlichkeit, der mit einer Kollegin von mir verheiratet war. Haider war bei Gott nicht die einzige, vielleicht nicht einmal die erste Wahl – der eigentliche „Haider-Macher“ war Steger selbst. Viele Obmänner in seiner Position hätten vermutlich einen Tausch vorgeschlagen: Sie treten selbst zwar nicht mehr an, bekommen dafür aber ein Vetorecht bei der Wahl des Nachfolgers. Steger hat erst in Innsbruck selbst einen ähnlichen Vorschlag lanciert, aber da war es bereits zu spät – da hatten sich schon alle rückversichert. Aber offen gegen ihn antreten wollte eben auch niemand – da blieb zum Schluss nur Haider übrig.
Insofern ist Haider der Partei „passiert“, aber natürlich muss man auch den Kontext berücksichtigen. Entscheidend für den Sturz Stegers waren die Umfragen, die Rot-Blau einfach keine Perspektive mehr eröffneten: Da lag die ÖVP vor der SPÖ, die Grünen vor den Blauen. Und Haider war der einzige Landeschef, der in der Ära Steger Wahlen gewonnen hat – und zwar für damalige Verhältnisse gewaltig: von zehn Prozent auf 16 Prozent in Kärnten. Das hat gegen alle Bedenken wohl den Ausschlag gegeben. Denn die Partei musste sich damals ja wirklich Sorgen machen, ob sie es ohne das Kärntner Grundmandat noch einmal ins Parlament schafft – bei all den „Unschärferelationen“, die gerade bei Kleinparteien mit solchen Vorhersagen verbunden sind. Wenn es 1986 einen innerparteilichen „Putsch“ gegeben hat, dann möglicherweise bei der SPÖ, als Vranitzky nach dem Innsbrucker Parteitag die Koalition aufgekündigt hat. Da steht Aussage gegen Aussage: Führende Genossen wie Gratz, Wagner und Kreisky haben später alle versichert, sie waren gegen diesen Bruch mit der FPÖ. Vranitzky hingegen schreibt in seinen Memoiren, er habe am Sonntagabend mit ihnen gesprochen und nichts davon mitbekommen. Freilich, auch in dem Fall gilt: Ein Parteitag hätte diese Entscheidung gegen alle Bedenken der Parteigranden mit ziemlicher Sicherheit ratifiziert.
In der ÖVP hat damals ein ehemaliger Generalsekretär gesagt: Jetzt sind uns mit Sinowatz und Steger die beiden idealen Gegner abhanden gekommen. Die rot-blaue Scheidung von Tisch und Bett hat in dieser Beziehung beiden Partnern genützt. Die SPÖ hat zumindest die relative Mehrheit noch bis zur Jahrtausendwende gehalten. Und Haider – der ja in der Regierung bleiben wollte – wurde zu seinem Glück geradezu gezwungen: Als Juniorpartner, egal mit wem, hätte er viel weniger Bewegungsfreiheit gehabt. Das gilt auch für die Variante Schwarz-Blau, die Mock nach der Wahl gerne verwirklicht hätte, sich von seiner Partei aber dann doch anders überreden ließ. Robert Lichal als Wortführer der sogenannten „Stahlhelmfraktion“ hat damals zu Protokoll gegeben: „Wenn wir den Mut zur kleinen Koalition haben, sollten wir sie machen. Wenn der Mut fehlt, dann nicht.“ Aber inhaltlich hat die SPÖ bei den Regierungsverhandlungen 1986 auf der ganzen Linie nachgegeben. Deshalb sah zum Schluss kaum mehr jemand in der ÖVP die Notwendigkeit einer kleinen Koalition. Wie sich die Dinge entwickelt hätten, wenn diese Weichenstellung anders ausgefallen wäre, ist eine spannende Frage – aber wie all diese Was-wäre-wenn-Gedankenspiele seriöserweise eben nicht zu beantworten.
Haider ist kein Nullgruppler, er kommt aus einer recht klassischen freiheitlichen Familie. Aber was ist neu und anders an Jörg Haider?
Er kommt sogar aus einer sehr klassischen freiheitlichen Familie. Ich hatte lange nach dem Buch über Haider für einen amerikanischen Verlag (Defiant Populist) auch einmal vor, eine Kurzbiographie über Haider zu verfassen. Typischerweise hat der Herausgeber – übrigens ein durchaus vernünftiger und freundschaftlicher Kollege – unbedingt hineinreklamiert, dass Haiders Vater in den 30er-Jahren als „Illegaler“ bei der Österreichischen Legion war. Dafür hat ihn nicht interessiert, dass der Vater ab 1956 hauptamtlicher Sekretär der FPÖ in Oberösterreich war. Nur, in der Österreichischen Legion waren über Zehntausend Österreicher, hauptamtliche Angestellte der FPÖ in den 50er-Jahren gab es vielleicht ein, zwei Dutzend. Wo liegt da wohl das Besondere? Dazu kommt dann noch Hermann Foppa als Taufpate, der letzte Obmann der Großdeutschen Volkspartei, der ein Freund der Familie von Haiders Mutter war. Plus Goisern als Geburtsort – das ist zwar eine „rote“ Gemeinde, aber es war auch der Geburtsort von Sepp Straffner, dem großdeutschen Nationalratspräsidenten – und der Ort, wohin sich Franz Langoth nach 1945 zurückgezogen hat. Da gibt’s wirklich Indikatoren im Überfluss.
Ein zweiter wesentlicher Faktor, der dazu ein wenig querliegt – von der politischen Begabung und dem schauspielerischen Talent einmal abgesehen – ist die „68er-Bewegung“ im weitesten Sinne. Über Napoleon ist oft gesagt worden, er sei der Vollender – und der Überwinder der Französischen Revolution gewesen. Etwas ganz ähnliches könnte man über Haider und die 68er sagen. Er ist in eine ganz andere Richtung gegangen und hat doch viel von ihrem Zugang aufgesogen, diesen stets aufmüpfigen, manchmal auch überflüssig provokanten und prinzipiell rebellischen Zug, der sich z. B. bemerkbar machte, wenn Haider bei einem Termin in der Industriellenvereinigung zu spät und im Tennisdress auftauchte. Die 68er waren stolz darauf, Tabus zu brechen – und haben auf „ihre alten Tag‘“ genau das dann Haider vorgeworfen. Das passt natürlich zu einer Oppositionspartei – und war vom Stil doch ganz anders als die bisherige FPÖ.
Christa Zöchling, die als ehemalige Kommunistin ein Gespür für soziale Gegensätze mitbringt – und deren Buch über Haider weit über dem Dünnbrettbohrer-Niveau der Scharsach et tutti quanti liegt – hat die These aufgestellt, da revoltiert ein Vertreter des „kleinen Mannes“ gegen die privilegierte Oberschicht des eigenen Lagers – aber nicht ohne Koketterie und überraschenden Szenenwechsel. Sein Verhältnis zu Friedrich Peter hatte eine sehr ironische Note: Im Prinzip war Haider als moderner junger Mann ja der Politikertyp, den Peter ganz gern gegen die alte Garde der Partei mobilisieren wollte. Deshalb hat er ja auch den Attersee-Kreis ins Leben gerufen. Dort hat Haider aber keine tragende Rolle gespielt. Dafür hat er den Ring Freiheitlicher Jugend übernommen, der weniger elitär ausgerichtet war – und sich von Harald Prinzhorn, dem führenden „blauen“ Industriellen, der für Peter ein rotes Tuch war, eine Zeitung finanzieren lassen. Peter hat Prinzhorn dann auch gern für alle Allüren Haiders die Schuld gegeben. Haider hatte immer schon ein exzellentes Gespür für den „Zeitgeist“, bei aller Unschärfe des Begriffs. Während ein Teil des nationalen Lagers – und da nehme ich mich keineswegs aus – vermutlich dazu neigt, zuerst einmal instinktiv gegen alles zu reagieren, was sich hinter dem Begriff verbirgt, war Haider da immer viel offener – und hat sich überlegt, was man daraus machen könnte. Um wieder auf die alte Disraeli-Karikatur zurückzukommen: Er hat immer wieder die Konkurrenz beim Baden überrascht und ist mit ihren Kleidern davongelaufen. Dazu kam dann die Idealkombination. Er hatte immer schon ein großes Interesse für Sozialpolitik – und war mit seinem Erbe jetzt auch Großgrundbesitzer. Zwischen diesen beiden Polen lässt sich sehr viel an Identifikationspotenzial unterbringen.
Ein letzter Punkt vielleicht noch: Haider war ja Universitätsassistent – bei Günter Winkler, einem Juristen, der bekannt war als Berater der ÖVP. Er hat aus dieser Zeit eine gewisse Vorliebe für juristische Spitzfindigkeiten mitgebracht. Aber im Großen und Ganzen sind ihm dabei wohl mehr die Beschränktheiten des akademischen Diskurses aufgefallen, glaube ich. Seine erste Redeübung war zwar einem klassischen nationalen Thema gewidmet, aber auf die Dauer sind ihm diese ständigen gebetsmühlenartigen Beschwörungen von Leerformeln mitsamt der sterilen Debatte von „liberal versus national“ wohl ziemlich auf die Nerven gegangen.
Er hat Begriffe wie „national“ und „liberal“ nicht als Fahnenfragen betrachtet, die irgendwelche Chefideologen oder Wertekataloge inspirieren sollen, mit den üblichen Verbeugungen vor dem Jahr 1848 und allem, was in unserem Lager so dazugehört, sondern er hat praktische Schlussfolgerungen daraus gezogen. Wirtschaftspolitisch war er lange Zeit viel radikaler liberal als alle seine Vorgänger – wobei ihm der Trend der Reagan-Thatcher-Jahre, den die europäischen Christdemokraten verschlafen haben, da natürlich zu Gute kam. Der Zusammenbruch des realen Sozialismus und der heimischen Verstaatlichten war da der beste Anschauungsunterricht. Und er hat das nationale Thema weggeführt von den historischen Debatten um Anschluss und Reichsidee, zur ganz praktischen Frage, wie es um unsere Kultur und um unsere Identität bestellt ist im Zeitalter der Massenzuwanderung.
Die FPÖ galt lange als „Honoratiorenpartei“ mit einer klar definierten Klientel aus dem Dritten Lager. Das wird sich jetzt ziemlich konsequent ändern. Was ist der neue Rechtspopulismus, dessen einer der wichtigsten Vertreter in Europa Jörg Haider sein wird?
Da würde ich mehrere Stufen sehen. Die erste war ganz einfach: Haider hat die größere Beweglichkeit der Wähler ausgenützt – und den Rückenwind, der sich mit Reagan und 'atcher ergeben hat. Andreas Khol hat oft bedauert, dass die ÖVP ihm dieses Feld nahezu kampflos überlassen hat. Diesen Trend hat man damals „neokonservativ“ genannt – noch ohne all die Differenzierungen und Polemiken, die sich später um den Begriff aufgebaut haben. Das hat auch gut gewirkt auf die klassischen bürgerlichen Randschichten. 1986/87 schnitt Haiders FPÖ in Wien in den Innenstadtbezirken am besten ab (heute am schlechtesten); am Land hat er dort gepunktet, wo es früher einmal ein starkes Drittes Lager gegeben hat. Mit dem Fall der Mauer 1989 gab es dann überhaupt eine Zeitlang eine Stimmung: Alles ist möglich – unter anderem eben auch ein blauer Landeshauptmann in Kärnten.
Der Bruch kam mit der Abwahl in Kärnten im Juni 1991, die ihn doch tief getroffen hat. Da war er anfangs sogar zu allen möglichen Konzessionen bereit, um diesen Fuß in der Tür zum „Establishment“ nicht zu verlieren. Da hatte er übrigens auch vom Zeitpunkt her Pech: Denn die ÖVP stand in dieser Woche gerade vor einer Zerreißprobe auf ihrem Parteitag, pro und contra Busek. Da hatte niemand die Autorität, die Kärntner ÖVP um Wurmitzer rechtzeitig einzubremsen. (Schüssel hat da später ganz anders durchgegriffen.) Binnen kurzem hat bei Haider dann die Trotzreaktion eingesetzt – und der Wille, das Beste aus der Situation zu machen. Vom schicken Erneuerer des Establishments wurde er jetzt erst so richtig zum Herausforderer. Und fand heraus, dass ihm dieser Karriereknick bei den Wählern überhaupt nicht schadet, ja dass er einem gewissen Robin-Hood-Image Vorschub leistet, als jemand, mit dem sich alle identifizieren können, die sich irgendwo unfair behandelt fühlen.
Die Schlussfolgerungen, die er daraus gezogen hat, lassen sich in dem Protokoll einer Klausurtagung nachlesen, die er im Jahr darauf veranstaltet hat, Mitte Juni 1992. Da war durchaus die Rede von der Lernfähigkeit der „Altparteien“, die es einem nicht mehr so leichtmachen würden wie bisher. Mit den bisherigen Randthemen, die vielleicht 20 Prozent der Wähler ansprechen – und über die sich die anderen deshalb nicht drübertrauen, käme man jetzt nicht mehr weiter. Dafür ergebe sich die Chance, nicht bloß bei Randschichten zu punkten, sondern wirklich in der Mitte – mit einem Selbstverständnis als „offene Bürgerbewegung“. Dafür müsse man dann aber auch andere Themen besetzen: Im Vordergrund stand damals für ihn übrigens nicht die Zuwanderung, sondern die EU, wo er eine Kehrtwende vorbereitete – die ihn dann auch viele seiner Kontakte in Deutschland kostete bei CSU und FDP. Gedacht war dabei übrigens zunächst noch nicht an eine Wende um 180 Grad, mehr an ein Lizit: Warum sollen wir für die Koalition die Kastanien aus dem Feuer holen – die soll zuerst einmal ihre „Hausaufgaben“ machen und Reformen durchführen, oder wie Haider es ausgedrückt hat: Man müsse die Angst der anderen ausnützen, dass die FPÖ dagegen sein könnte und mit dem Vehikel EU-Beitritt eine neue Republik erreichen oder zumindest erste Ansätze dafür. Da gab’s dann natürlich Kritik, z. B. von Gustav Zeillinger, aber auch von den Vorarlbergern wie Hubert Gorbach, die EWG-Mitgliedschaft sei doch über Jahrzehnte das klassische FPÖ-Thema gewesen, man könne doch nicht auf einmal behaupten, das war alles falsch. Haider hat seinen Leuten daraufhin die Rute ins Fenster gestellt: Wenn die Partei ohne Wenn und Aber für die EU eintrete, werde er sich einfach eine Zeitlang „beurlauben“ lassen. Als Klaus Mahnert ihn in einer kleineren Runde dann fragte, worauf er denn eigentlich hinauswolle, antwortete Haider: „Ganz einfach – ich will den Erfolg.“
Erst einige Monate später kam dann das „Ausländer-Volksbegehren“, nahezu als eine Art Postskriptum, nach den Sommerferien. Die Große Koalition wollte Haider damals in der Zuwanderungsfrage übrigens entgegenkommen, Heinz Fischer war bereit, deshalb einen eigenen Ausschuss einzuberufen und eine gemeinsame Lösung zu finden. Helene Partik-Pable hat mir erzählt, wie oft sie damals hin- und hergependelt ist mit immer neuen Angeboten. Da ergaben sich dann auch innerparteilich ganz interessante Konstellationen und Frontstellungen. Jemand wie Karin Praxmarer, eine Scrinzi-Anhängerin und sehr eingebettet in das Milieu der Korporationen, hat ganz entschieden dafür plädiert, den konstruktiven Weg zu gehen, um Probleme zu lösen, und keinen Justament-Standpunkt zu beziehen. Norbert Gugerbauer hatte damals ja schon das Handtuch geworfen, weil ihm die „Buberl-Partie“ auf die Nerven ging. Es war auch genau diese „Buberl-Partie“, die meilenweit von der klassischen Rechten entfernt war, wie z. B. Walter Meischberger, die gesagt haben: Nein, was in einem Ausschuss passiert, das interessiert keinen „Menschen draußen“. Wir müssen an die Öffentlichkeit gehen, wenn wir Wirkung erzielen wollen.
Das war Populismus in Reinkultur. Wobei der Begriff „Populismus“ inzwischen natürlich stark verbogen und ausgeschmückt worden ist. Ursprünglich hat sich das vermutlich mehr als ein terminologischer Notnagel ergeben: Wie sollte man dieses Phänomen denn charakterisieren? Alle möglichen Ideologen – mit oder ohne Pensionsberechtigung im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) – wollten Haiders Truppe natürlich immer schon als „rechtsextrem“ entlarven. Aber subkutan war den meisten schon bewusst, extrem – sprich: an den äußersten Enden des politischen Spektrums angesiedelt – kann eine Partei mit um die 20 Prozent per definitionem nicht sein. Außerdem hätten Haiders Wähler, die man ja zurückgewinnen wollte, solche Vorwürfe ja vielleicht als Publikumsbeschimpfung betrachten können. So einigte man sich zur Abgrenzung von den herkömmlichen Parteien der Rechten auf „populistisch“.
Ich gebe zu, ich habe den Ausdruck im Zusammenhang mit Haider in einem Brief an Erwin Hirnschall selbst schon 1981 oder 1982 verwendet, weil ich mich geärgert habe, dass Haider damals gegen Götz polemisiert, ihn später ja dann sogar einmal ausgeschlossen hat, nur weil er die Pension in Anspruch nahm, die ihm ganz einfach zustand. Populismus, das hieß für mich damals und heute, Dinge zu sagen oder zu tun, nur weil sie gut ankommen, ohne Rücksicht auf eine politische Linie. Natürlich ist das dem Geschäft des Politikers bis zu einem gewissen Grad inhärent – umso mehr, je mobiler die Wähler werden und die Apparate an Bedeutung verlieren. Gerade darum wurde Haider ja auch mit Recht der erste amerikanische Politiker in Österreich genannt – weil die allesamt eine ganz persönliche Wählerkoalition um sich versammeln und bis auf wenige „city machines“ keinen Parteiapparat hinter sich haben. Aber es gibt da doch immer noch graduelle Unterschiede.
In den letzten Jahren ist dann oft versucht worden, aus dem Populismus selbst eine Linie herauszudestillieren, im Sinne einer Polarisierung von „wahrem Volk“ gegen „pflichtvergessene Eliten“. Da macht sich bei Politologen vielleicht ein gewisser Mangel an historischer Tiefenschärfe bemerkbar. Denn wie haben die politischen Lager in Österreich denn überhaupt begonnen? Mit der Kampagne der katholischen Landbevölkerung gegen die liberalen „Doktoren“, dann mit dem Antagonismus der „Proletarier“ gegen die kapitalistische Elite. Welche Partei behauptet schon, nicht für die „wahren Interessen“ des Volkes zu stehen? Daraus lässt sich kein Unterscheidungsmerkmal herausfiltern. Populismus ist eben eine Methode, kein Inhalt. Inzwischen haben das alle gelernt, nicht bloß die Opposition. Das Ergebnis ist die ausufernde Anlassgesetzgebung, weil das Parlament den Eindruck erwecken will, es tut etwas, wann immer die nächste Sau durchs Dorf getrieben wird. Die Bewegung zur Eindämmung der Massenzuwanderung oder von mir aus auch die Klimahysterie kann man natürlich – je nach Standpunkt – für übertrieben oder falsch halten, aber sobald eine Partei konsequent daran festhält, würde ich das nicht unter Populismus einreihen. Der Neidkomplex gegen Politikergehälter oder die reflexartige Forderung nach höheren Strafen bei Delikten, wo das Problem viel mehr darin besteht, die Täter überhaupt dingfest zu machen und zu überführen – da hielte ich den Begriff für angebracht, einmal ganz abgesehen von der gesamtösterreichischen Heuchelei gegen den Atomstrom, gegen den wir demonstrieren, um ihn dann zu importieren.
Dies ist ein Auszug aus dem neuen Buch FREIHEITLICH, das Ende 2023 im Freilich Verlag erschienen ist. Auf knapp 240 Seiten erzählt der renommierte Historiker Lothar Höbelt die Geschichte der Freiheitlichen. Der Gesprächsband nimmt auch die jüngsten Entwicklungen der Freiheitlichen unter die Lupe: Wie hat sich die Bewegung unter Jörg Haider und Heinz-Christian Strache gewandelt? Und wo steht die FPÖ heute?
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Zur Person:
Dr. Lothar Höbelt, geb. 1956 in Wien, Historiker, bis 2021 außerordentlicher Professor für Neuere Geschichte an der Universität Wien.