Nationalfeiertag: Tag der Fahne, Tag der immerwährenden Neutralität
Jedes Jahr ist der Nationalfeiertag dasselbe Blendwerk: Der Bundespräsident – ansonsten ein grüner Hofburg-Schweiger – sagt viel mit wenig Inhalt. Diverse Museen und öffentliche Einrichtungen zeigen sich zu freiem Eintritt der Öffentlichkeit. Und das Bundesheer verbirgt für einen Tag im Jahr seinen maroden Zustand bei einer Leistungsschau hinter einer imposanten potemkinschen Fassade, während tausende Rekruten angelobt werden. Worum es eigentlich an diesem Tag geht: Unsere Neutralität, die sich als Wahrerin des Friedens bewährt hat.
An sie wird am 26. Oktober alljährlich eigentlich erinnert. Nicht an Figls pathetische Worte zum Staatsvertrag („Österreich ist frei“), das war am 15. Mai. Und auch nicht an den Abzug des letzten sowjetischen Besatzungssoldaten, der verließ schon am 25. Oktober unser Land. Der an diesem Tag geplante „Tag der Fahne“ wurde sogar um einen Tag verschoben, um an die Neutralität erinnern zu können. Im zugehörigen Verfassungsgesetz sicherte man sie aus freien Stücken ab und verpflichtete sich, keinen militärischen Bündnissen beizutreten und keine fremden Stützpunkte im Land zuzulassen. Was viele vergessen: Sie beschützte uns wohl auch vor dem deutschen Schicksal einer Zweiteilung der Heimat mitten in Linz und vor dem Abschuss von „Republikflüchtlingen“ am Semmering.
Neutralität nur auf dem Papier existent?
Doch 67 Jahre später wird die Neutralität wie ein lästiger Klotz am Bein betrachtet und mit Füßen getreten. Schon durch den Beitritt zur EU, die immerhin militärische Beistandspflichten bei Angriffen auf eigenes Gebiet und eine enge Zusammenarbeit mit der NATO vorsieht, wurde sie eingeengt. Doch inzwischen ist sie nicht einmal mehr Staatsräson. Der schwarze Pannen-Kanzler Nehammer fand zwischen Klitschko-Kuschelreisen nach Berlin und Kiew und Gas-Bettelreisen nach Moskau, Israel und ins Morgenland noch die Zeit, im März die Neutralität als „von Russland aufgezwungen“ zu bezeichnen.
Man merkt den Granden deutlich an: Die Neutralität ist ihnen lästig, Schüssels Träumereien vom „Land der Berge“ als NATO-Mitglied feiern insgeheim fröhliche Urständ. Nur offiziell traut man sich nicht, sich über den Willen von 90 Prozent der Bürger hinwegzusetzen. Einzig die NEOS treten öffentlich für ihre Abschaffung ein. Doch das hält etwa die Grünen nicht ab, im Bundesrat die Lieferung schwerer Waffen ins Kriegsgebiet abzufeiern. Es hält die ÖVP-Verteidigungsministerin ebenso wenig davon ab, in NATO-Partnerschaften einzusteigen. Bleiben also Rote und Blaue übrig, sie etwas ernster zu nehmen.
Die Crux mit der Glaubwürdigkeit
Tatsächlich betonten beide Parteien zum heutigen Nationalfeiertag deren Wichtigkeit, doch SPÖ-Chefin Rendi-Wagner ließ es wie ein Lippenbekenntnis klingen. Sie verteidigte Militäreinsätze im Ausland unter UNO-Mandat als „Friedenseinsätze“ und gab zu Protokoll, dass Neutralität nicht bedeute, „gesinnungsneutral“ zu sein. Damit besitzt ihr Bekenntnis ungefähr dieselbe Qualität wie jene der Schweiz, die sich seit der Unterstützung der West-Sanktionen als „neutral, aber gegen Putin“ sieht. Auch die Chef-Genossin trägt diese mit, obwohl sie schon im Mai wusste, dass sie den Krieg nicht beenden.
Etwas glaubwürdiger klingt da schon die Ansprache von FPÖ-Chef Herbert Kickl: „Wann, wenn nicht jetzt im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Russland und der Ukraine, sollte man sich denn neutral verhalten?“ Er erinnerte an Österreich als Ort der „Vermittlung in Krisen- und Kriegszeiten“ und eine Epoche, in der sich österreichische Politiker „als Vermittler und Friedensstifter und nicht als Kriegstreiber“ gesehen hätten. Es gelte auch, die eigene Bevölkerung vor negativen Folgen kriegerischer Konflikte zu schützen, statt die Neutralität zur historischen Randnotiz zu machen.
Wien kein Ort der Vermittlung mehr
Diese Möglichkeit wurde verspielt: Trafen sich Chruschtschow und Kennedy in Wien, finden Gespräche zwischen den Konfliktparteien heute in der Türkei statt. Man verkennt den Umstand, dass gerade der friedliche Charakter ständig neutraler Staaten dazu führte, dass sich internationale Organisationen in der Schweiz und Österreich ansiedelten. Dabei ist unsere Neutralität weltweit eine Seltenheit: Nur bei einem guten dutzend Staaten weltweit ist diese völkerrechtlich tatsächlich „immerwährend“. Doch man will sich ja nicht „hinter der Neutralität verstecken“, was auch immer das heißt.
Man ist Nettoimporteuer, schnürt aber „alternativlose“ Sanktionspakete mit. In der naiven Hoffnung, dass diese endlich „wirken“, anstatt nur die Teuerungsrate im eigenen Land auf den höchsten Stand seit 70 Jahren zu treiben. Beim Säbelrasseln ist man auch im Hintergrund dabei: So finanzierte Schallenbergs Außenministerium einen Kurs in Wien, in dem weißrussische Exilanten für einen „Regimewechsel“ trainiert wurden, um Putin den wichtigsten Verbünden in Europa zu nehmen. Die Welt ist in Gut und Böse eingeteilt. Der Westen legt die Kategorien fest, Österreich trägt den Schiefstand mit.
Die erodierte Neutralität der Ukraine
Eine Ironie des Schicksals ist es, dass eigentlich auch die Ukraine einst von 1990 bis 2014 neutral war. Das hielt Politiker im von Korruption durchsetzten Land nicht davon ab, sich dem Westen anzubiedern, bis hin zum verhängnisvollen NATO-Gipfel in Bukarest 2008, als Ex-US-Präsident Bush das Land in die NATO einlud. Damals sperrten sich noch einige europäische Länder dagegen, weil sie die Eskalation fürchteten. Nun leuchten bei der Vorstellung eines Beitritts im Westen die Augen. Wer auf die einstige Neutralität der Ukraine verweist, wird damit niedergebrüllt, das diese ihr „auch nicht geholfen“ hätte.
Ein völliger Perspektivenwechsel: Noch 2014 las man im Standard (!), dass unser Neutralitätsmodell Vorbild für die Ukraine sein könnte. Doch in Kiew sah man sie als verhasstes Relikt des nach den vom Westen unterstützten Maidan-Proteste gestürzten Janukowitsch. Man schrieb den NATO-Beitritt in die Verfassung und trug die Neutralität zu Grabe. Beim Protest federführende patriotische Kräfte klammerte man aus dem Konsens aus, schickte sie zur „Befriedung“ in den Donbass. Moskau holte die mehrheitlich russischsprachigen Regionen daraufhin in seinen Einflussbereich. Der Rest ist Geschichte.
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