Politikberater Daniel Fiß zur möglichen Großen Koalition: „Ein plausibler Weg“
Laut jüngsten Umfragen kommt die Ampelregierung bei der Sonntagsfrage nur noch auf 32 Prozent. Diese Werte seien schon bemerkenswert und würden die massiven Verschiebungen der Macht- und Parteienblöcke in der BRD zeigen, erklärt Daniel Fiß im Interview mit FREILICH.
FREILICH: Herr Fiß, in der jüngsten Forsa-Umfrage kommt die Ampelregierung bei der Sonntagsfrage bundesweit nur noch auf 32 Prozent. Denselben Wert weist die erwähnte Umfrage der Union zu. Die Union ist so stark wie die drei Regierungsparteien. War je eine Bundesregierung unbeliebter?
Daniel Fiß: Gemessen an den reinen Popularitätswerten dürfte die rot-grüne Koalition unter dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder mit der Einführung der Agenda 2010-Reformen ähnlich unbeliebt gewesen sein. Dass aber ausgerechnet ein Drei-Parteien-Bündnis in den Umfragen nicht einmal annähernd mehrheitsfähig wäre, ist schon bemerkenswert und zeigt die massiven Verschiebungen der Macht- und Parteienblöcke in der BRD.
Bis wenige Jahre vor der letzten Bundestagswahl 2021 hätte es wohl auch niemand für möglich gehalten, dass man hierzulande mit knapp 25 Prozent die Kanzlerpartei stellen könnte. Doch die Mehrheitsbildung wird auch auf Bundesebene immer schwieriger. Vor allem mit dem Erstarken der AfD, die dies als Hebel nutzen kann.
Aufgrund der schlechten Werte sind im politischen Berlin und im Buschfunk Debatten über eine mögliche neue Regierung entbrannt – manche spekulieren über das Ende der Ampelkoalition und die Bildung einer neuen Großen Koalition. Für wie wahrscheinlich halten Sie diese Entwicklung?
Bislang scheint dieses Gerücht vor allem auf Überlegungen aus dem Kanzleramt zu beruhen. Machttaktisch scheint dies für Olaf Scholz ein plausibler Weg zu sein. In den Umfragen werden die Defizite der Ampelkoalition vor allem bei den Grünen und der FDP gesehen. Die SPD fürchtet, in diesen Abwärtsstrudel hineingezogen zu werden und sucht nun nach neuen Perspektiven, um mögliche Neuwahlen oder gar ein Desaster 2025 zu vermeiden. Ich denke aber, dass in der SPD weder die eher linksorientierte Parteispitze noch die progressive SPD-Bundestagsfraktion mit einem starken Juso-Block dabei mitspielen werden. Das Ende der Großen Koalition 2021 war eines der zentralen Wahlziele der Sozialdemokraten.
Zum strategischen Kalkül der SPD dürfte auch gehören, dass die CDU den Preis für eine solche Koalition in die Höhe treiben würde. Immerhin würde sie sich auf eine Koalition einlassen, in die sie mit dem repräsentativen Gewicht von 2021 eintritt, aber in den Umfragen jetzt der deutlich stärkere Partner wäre.
Die Zugeständnisse an die Union, einschließlich der faktischen linken Machtkonstellation in der SPD, lassen dieses Szenario eher unwahrscheinlich erscheinen.
Wer wären die Verlierer und wer die Gewinner einer solchen Entwicklung?
Ich glaube, dass diese Entwicklung für die beiden großen Volksparteien nicht sehr gewinnbringend wäre. Insbesondere für die Union wäre dieses Szenario mit einem hohen Risiko verbunden, da sie quasi als Auswechselspieler in ein möglicherweise bereits hoffnungslos verlorenes Spiel eingewechselt würde. Das heißt, die Unbeliebtheitswerte der SPD könnten in Regierungsverantwortung auch auf die Union zurückfallen. Sie kann sich dann zwar als die Traditionspartei mit staatspolitischer Verantwortung inszenieren – aber ich glaube, das wird kaum verfangen. Deshalb glaube ich auch, dass die Union jetzt ihren Druckhebel bei der Forderung nach Neuwahlen ansetzen wird.
Die SPD könnte vermutlich in den Umfragen leicht profitieren, aber die inneren Spannungen und den Druck des linken Parteiflügels kaum zusammenhalten. Hier wären innerparteiliche Krisen vorprogrammiert.
Bei den Grünen wird es meiner Meinung nach kaum Bewegung geben. Die Anhängerschaft hat sich in den Umfragen bereits auf ein festes Kernmilieu verdichtet. Ambitionierte Kanzlerträume wie 2021 werden die Grünen aber wohl bis auf weiteres nicht hegen.
Am ehesten könnte meines Erachtens die FDP profitieren und mit einem Koalitionsbruch den Rettungsanker werfen, der sie 2025 knapp über die Fünf-Prozent-Hürde trägt. Würde die Partei die Einstellungsprofile ihrer Wählerschaft richtig lesen und interpretieren, würde sie erkennen, dass liberal-progressive Bündnisse mit linken Parteien ein gescheitertes Modell sind. Bei keiner Partei zeigt sich die Diskrepanz zwischen Parteiestablishment und Wählerschaft in Politik und Einstellungen so deutlich wie bei der FDP.
Hippe und urbane Start-up-Unternehmer wählen eben lieber grün als gelb. Die FDP hat über die Jahre immer wieder versucht, sich als die progressive Digitalisierungspartei für ein junges Zielpublikum zu inszenieren. Das dürfte sowohl den Porsche-fahrenden Handelsblatt-Leser als auch den soliden Mittelständler eher abgeschreckt und womöglich zur AfD getrieben haben.
Könnte die AfD davon profitieren?
Das ist schwer zu sagen. Die AfD profitiert unter anderem von zwei Dynamiken. Zum einen ist es die Ablehnung und Antipathie gegenüber den Grünen. In der scharfen Frontstellung und Abgrenzung zu den Grünen entsteht eine Mobilisierungsdynamik, in der vor allem aus dem Nichtwählerspektrum ein enormes Potenzial abgeschöpft werden kann. Solange die Grünen an der Regierung beteiligt sind und ihre Transformationsprojekte durchsetzen, bleibt dieser Abgrenzungseffekt auch eine zentrale Mobilisierungsressource. Sollten die Grünen aus der Regierung fliegen, könnte sich dies etwas abschwächen.
Gleichzeitig hat die AfD in der Vergangenheit aber auch von enttäuschten und frustrierten Unionsanhängern profitiert. Nun mag Friedrich Merz in der Opposition die Illusion einer konservativen Erneuerung aufrechterhalten. Spätestens in Regierungsverantwortung wird die Union jedoch ihre Maske fallen lassen, was der AfD wieder Raum geben wird, ihre Konturen gegenüber der CDU zu schärfen.
Die Volksparteien leiden seit Jahren unter Wähler- und Mitgliederschwund. In der eben erwähnten Forsa-Umfrage kommen Union und SPD nur noch auf 46 Prozent. Eine Große Koalition wäre nicht mehr möglich. Werden ab der nächsten Bundestagswahl 2025 Koalitionen zwischen SPD und CDU unmöglich?
Ich glaube, dass die Volksparteien aufgrund ihrer Wählerschaft der über 60-Jährigen noch eine Weile präsent sein werden. Aber die Verschiebungen sind unübersehbar und die Zeit der Zweierkoalitionen innerhalb des etablierten Parteienblocks ist vorbei. Die Regierungskonstellationen werden dadurch deutlich fragiler und instabiler.
FDP und Linke liegen bei vier Prozent – sie würden also nicht mehr einziehen. Ist auch ihre Zeit vorbei?
Die FDP hätte vermutlich noch ein Potenzial von sieben bis neun Prozent, um ihrer traditionellen Rolle als Mehrheitsbeschaffer gerecht zu werden. Der Zusammenbruch einer Landtagsfraktion nach der anderen dürfte sich aber in nächster Zeit kaum positiv auf die innerparteiliche Stabilität auswirken.
Für die Linkspartei sehe ich keine Zukunft mehr. Der linke Rand wird bereits von den Grünen abgedeckt und für einen sogenannten „Linkskonservativismus“ verliert die Linke gerade einen möglichen Repräsentationsraum an die eigenen parteipolitischen Pläne ihrer populären Frontfrau Sahra Wagenknecht.
Herr Fiß, vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person:
Daniel Fiß, geboren 1992 in Rostock – studierte sechs Semester Good Governance und Politikwissenschaft an der Universität Rostock. Von 2016 – 2019 war er Bundesleiter der Identitären Bewegung Deutschland. Seit 2017 betreibt er als selbstständiger Unternehmer eine eigene Grafikagentur. Fiß befasst sich intensiv mit den Fragen politischer Kommunikation und ihrer Wirkung und ordnet diese in grundlegende strategische Fragestellungen des rechtskonservativen Milieus ein. Seit 2020 betreibt er dafür den Feldzug Blog, in dem er sich regelmäßig Analysen zu