Eine Bestandsaufnahme (1)
Dieser Text ist Teil einer sechsteiligen Artikelserie: Teil 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 finden Sie hier.
Über die letzten Jahre hat sich der sogenannte „Taiwan-Konflikt“, also das Bestreben der Volksrepublik China, Taiwan wieder mit dem Festland zu vereinigen bei gleichzeitigem Unabhängigkeitsstreben eben jener Insel Taiwan, immer weiter aufgeschaukelt. Der Konflikt ist so alt wie die Teilung selbst. In den letzten Jahrzehnenten war er mehr oder weniger „eingefroren“, da keine der beiden Seiten die Macht hatte, die jeweils andere Seite niederzuringen. Doch seit dem beispiellosen Aufstieg Chinas in den letzten drei Jahrzehnten, verfolgt die Volksrepublik das Ziel der Wiedervereinigung mit größerem Nachdruck. Gleichzeitig nutzen die USA Taiwan zusehends als geostrategischen Angriffspunkt gegen die aufstrebende Konkurrenzmacht China. Dadurch wurde der „kalte Konflikt“ in den vergangenen Jahren zusehends „heißer“.
Während die USA Taiwan für ihren geopolitischen Kampf gegen China nutzen, und China die „abtrünnige Provinz“ wiederum „heim ins Reich“ holen und damit zugleich ebenfalls die eigene geostrategische Position stärken will, stehen Deutschland und Europa als eigentlich unbeteiligte Dritte daneben, werden auf Grund ihrer Bündnistreue – oder auch Vasallentreue – zur USA sowie dem ideologisch motivierten, westlich-universalistischen Drang zur Einmischung und sogenannten „Verteidigung der westlichen Werte“ allerdings zwangsläufig in diesen Konflikt mithineingezogen.
In dieser sechsteiligen Textreihe soll ausführlich auf diesen Taiwan-Konflikt, allgemein die Situation Chinas sowie die Positionierung des Westens, Europas und vor allem Deutschlands eingegangen werden. Hierbei sollen insbesondere auch die geopolitischen Gesichtspunkte und Zukunftsperspektiven behandelt sowie eine Einschätzung herausgearbeitet werden, ob und wenn ja, wann und unter welchen Voraussetzungen der Konflikt eskalieren könnte
Die USA als Konkurrent, Provokateur und Bedrohung
Wie lange wird sich die neue Großmacht China die Einmischungen und Provokation von Seiten der alten Hegemonialmacht USA noch gefallen lassen? Die Waffenlieferungen der USA an Taiwan, die Ausbildung taiwanesischer Truppen durch amerikanische Soldaten, die jüngsten Besuche durch hochrangige amerikanische Politiker, allen voran von Nancy Pelosi im vergangenen Sommer in ihrer Funktion als damalige Mehrheitsführerin im Repräsentantenhaus und damit Nummer drei im Staat, sowie die zusehends rabiater werdenden chinesischen Gegenreaktionen, machen diese Frage hoch brisant. Denn als aufstrebende Großmacht wird sich China auf Dauer ebenso wenig auf der Nase herumtanzen und seine elementaren Sicherheitsinteressen negieren lassen, wie dies bei den USA seit jeher der Fall ist.
Die USA selbst würden es niemals dulden, dass sich eine konkurrierende Großmacht in ihrem eigenen Hinterhof ausbreitet. Mit absoluter Gewissheit würden die USA es keinesfalls akzeptieren, dass China in der Karibik, im Golf von Mexiko, vor der Küste Floridas oder Texas, oder vor der Pazifikküste Kaliforniens mit Kriegsschiffen, Kampfflugzeugen und Drohnen patrouilliert und Stützpunkte errichtet. Nicht einen Tag lang würden es die USA tatenlos hinnehmen, dass China ein militärisches Bündnis mit einem benachbarten Staat wie Kuba oder Mexiko eingeht, diese in großem Umfang mit modernsten Waffen beliefert und daran ausbildet und dort womöglich sogar noch eigene Truppen stationiert. Ein solches Szenario wäre schlicht undenkbar. China soll umgekehrt jedoch genau dies bei sich in der direkten Nachbarschaft, wenige Kilometer vor der eigenen Küste akzeptieren. Mit Taiwan ist nicht zuletzt das der Fall. Bei uns im Westen vertritt man allen Ernstes realpolitisch eine Position, wonach die USA ein weltweites Interventionsrecht hätten und sich überall, egal ob im Nahen Osten, Europa, oder Asien, dem Atlantik, oder dem Pazifik, einmischen und intervenieren dürfen, während man konkurrierenden Großmächten selbiges „Recht“ abspricht und sie sogar aufs Schärfste verurteilt und sanktioniert, wenn sie es wagen, auch nur in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft im Sinne einer aktiven Interessenpolitik zu intervenieren.
Wie lange also kann und wird sich dies die Volksrepublik China als ernstzunehmende Großmacht noch gefallen lassen (können), ohne mittelfristig die eigene Position zu unterminieren? Einmal mehr zündeln die USA in einem Gebiet – Asien – wo diese eigentlich nichts zu suchen haben – da anderer Kontinent/ Weltregion – und riskieren damit einen verheerenden Flächenbrand. Es scheint daher durchaus nicht einfach nur eine verbale Übertreibung, wenn Peking nun die USA eindringlich warnen, diese würden mit ihrer Taiwan-Politik buchstäblich „mit dem Feuer spielen“.
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Geschichtlicher Hintergrund
Auf Grund der geschichtlichen Hintergründe ist die Lage in Taiwan sogar noch deutlich brisanter. Denn Taiwan war historisch tatsächlich ein Teil Chinas und diverse völkerrechtliche Verträge und UN-Resolutionen bestätigen dies bis zum heutigen Tag. Die Insel Taiwan war einst Jahrhunderte lang Teil des Chinesischen Reiches, wurde dann zeitweise von portugiesischen und japanischen Kolonialmächten besetzt und nach Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 wieder an China zurückgegeben. Zur Teilung Chinas und Abspaltung Taiwans kam es dann 1949 im Zuge des chinesischen Bürgerkrieges, der Gründung der „Volksrepublik China“ und dem damit einhergehenden Sieg der Kommunisten über die gegnerische Kuomintang-Regierung. Letztere floh als Vertretung der „Republik China“ nach Taiwan, welches zugleich das letzte Refugium Chinas darstellte, welches die KPCh nicht erobern konnte. Damit wurde die Insel Taiwan als letztes verbliebenes Territorium der „Republik China“, wie diese offiziell heißt, staatlich von Festland-China abgetrennt, wenngleich es historisch ein Teil Chinas war und ist.
Völkerrecht und Sezessionsrecht
Völkerrechtlich mag die Sache etwas kompliziert sein, doch letztlich wurde die Volksrepublik China von der internationalen Staatengemeinschaft als offizieller und alleiniger Vertreter Chinas (ganz Chinas – damit auch über die Insel Taiwan) per UN-Resolution anerkannt und repräsentiert als solcher China auch im UN-Sicherheitsrat. Mit der Ein-China-Politik haben dies auch so gut wie alle Einzelstaaten, allen voran die USA und die EU-Staaten akzeptiert. Taiwan (Republik China) wird hingegen von kaum einem Staat international als eigenständiger Staat anerkannt, ist dementsprechend in keinem relevanten Staat mit einer eigenen staatlichen Botschaft repräsentiert und ist auch nicht in der UN als souveräner Staat vertreten. Der Unterschied beispielsweise zum souveränen, völkerrechtlich verbindlich anerkannten Staat „Ukraine“ ist offensichtlich. Der in den Mainstreammedien aktuell gern bemühte Vergleich zwischen dem jetzigen Russland-Ukraine-Konflikt und dem seit der Teilung schwelenden Taiwan-Konflikt ist daher bei näherer Betrachtung kaum belastbar. Die größten Parallelen bestehen wohl darin, dass in beiden Konflikten die raumfremde Großmacht USA mitmischen und nicht zuletzt durch ihre Rüstungs- und Bündnispolitik den Konflikt maßgeblich anheizen.
Völkerrechtlich spricht also tatsächlich vieles dafür, dass Taiwan nach wie vor ein Teil Chinas ist und es sich lediglich um eine autonome oder abtrünnige Provinz handelt. Eine einseitige Unabhängigkeitserklärung und eine direkte oder indirekte Unterstützung derselben durch andere Staaten wäre völkerrechtlich daher genauso illegal und gegenstandslos, wie es beispielsweise die einseitige Abspaltung der sogenannten „Volksrepublik Donezk“ in der Ukraine war, oder aber es die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien, Schottlands von Großbritannien, oder Südtirols von Italien wäre. Man kann derartige Unabhängigkeiten aus unterschiedlichen Gründen moralisch befürworten, doch völkerrechtlich sind sie illegal, soweit diese nicht in gegenseitigem Einvernehmen geschehen.
Völkerrecht und Staatsform
Die jeweilige Staatsform der beteiligten Staaten ist hierbei im Übrigen gänzlich unerheblich. Das Völkerrecht unterscheidet aus guten Gründen nicht zwischen verschiedenen Staats- und Regierungsformen. Es gibt völkerrechtlich keine Staaten erster und zweiter Klasse. Es spielt bei der völkerrechtlichen Bewertung eines Konflikts daher keine Rolle, ob es sich bei den Konfliktparteien um eine Demokratie, Autokratie, Monarchie oder Diktatur handelt. Auch deshalb ist es für die Bewertung des Taiwan-Konflikts unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten irrelevant, dass die Volksrepublik eine Diktatur und Taiwan seit einigen Jahren eine freiheitliche Demokratie ist. Dieses „Argument“ wird zwar oft und gerne von westlicher Seite, allen voran den USA gebracht, doch ist es letztlich ein wertloses Argument, da es einzig und allein auf den westlichen Moral- und Wertmaßstäben fußt, die im internationalen Völkerrecht jedoch völlig unerheblich sind.
Es ist quasi eine Propagandaformel, mit der unsere hiesigen Mainstreampolitiker versuchen, Unterstützung bei der eigenen Bevölkerung für ihre ebenso ideologische wie folgenreiche Interventionspolitik zu gewinnen. Würden sie unter dem Gesichtspunkt kühler Vernunft und Verantwortungsethik im Sinne der Wahrung unserer eigenen nationalen Interessen handeln, wäre die Positionierung eine deutlich andere. Stattdessen laden sie das Problem moralisch-ideologisch auf und handeln gesinnungsethisch, was zwangsläufig zu Verwerfungen führt und schwerwiegende, negative Folgen nach sich zieht. In dem Fall ein vermeidbarer Konflikt und im schlimmsten Fall eine direkte Konfrontation mit China, mit all seinen negativen Konsequenzen. Diese aber wären erheblich und würden Deutschland wohl endgültig ruinieren. Es wäre das Ende von Wohlstand und Sicherheit.
Zur Person:
Fabian Küble, 29 Jahre, kommt aus Baden-Württemberg und lebt in Sachsen. Er hat Politikwissenschaften studiert und ist stellvertretender Landesvorsitzender der JA Sachsen sowie Mitglied im JA-Bundesvorstand.