Exklusiv vor Ort: Von Lemberg gen Osten
Am Mittwoch brachen unsere Reporter von Lemberg nach Bila Zerkwa auf. Die 220.000-Einwohner-Stadt liegt knapp 80 Kilometer südlich von Kiew. Hier gab es bereits russische Raketenangriffe. Doch die Stadt liegt auch an einer möglichen Fluchtroute aus der Hauptstadt.
Zwischen Lemberg und Bila Zerkwa liegen rund 550 Kilometer. Google Maps gibt die Fahrtzeit mit knapp sieben Stunden an. Am Ende brauchen wir elf. Bila Zerkwa liegt am Rande der Kampfzone. Auch hier kam es bereits zu Raketenangriffen mit Toten und Verletzten. Unsere Versuche, vorab konkrete Informationen über die Lage vor Ort zu erhalten, scheiterten, weshalb wir den Entschluss fassten, es auf eigene Faust zu versuchen.
Aufbruch nach Bila Zerkwa
Um 7.45 Uhr – kurz nach Ende der Ausgangssperre – brechen wir in Lemberg auf. Die Richtung ist klar: gen Osten. Allen Unkenrufen zum Trotz sind die Straßen zwischen Lemberg und Schytomyr (120 Kilometer westlich von Kiew) in relativ gutem Zustand. Aufgrund des geringen Verkehrsaufkommens legen wir in recht kurzer Zeit hunderte Kilometer zurück. Auf den Autobahnen ist vom Krieg kaum etwas zu spüren. Wie eh und je fließt der Verkehr durch die ukrainischen Weiten. Nur die Kontrollpunkte, Panzersperren und Schützenstände, die aus Sandsäcken und Autoreifen errichtet wurden, entlang den Straßen und Abzweigungen erinnern uns daran, dass hier Krieg herrscht – und wir der Frontlinie näherkommen.
Auffällig unauffällig
Dennoch bestätigt sich der Eindruck, den wir bereits in Lemberg gewinnen konnten. Denn auch wenn sich in den Mainstream-Medien Schreckensmeldungen mit gefühligem Symboljournalismus abwechseln, geht für die meisten Ukrainer das Leben in seinen gewohnten Bahnen weiter. Insgesamt ist festzuhalten, dass die Ukrainer sehr diszipliniert mit der Situation umgehen. Auch an den Tankstellen gibt es keine ungewöhnlichen Schlangen – obwohl die Abgabemenge auf 20 Liter pro Auto beschränkt ist.
Je näher wir unserem Ziel kommen, desto häufiger werden nicht nur die feststellbaren Militäraktivitäten, sondern auch die Kontrollpunkte, an denen wir aufgefordert werden, unsere Papiere vorzuzeigen, und unser Auto durchsucht wird. Die Männer – Freiwillige, Nationalgardisten, Armeeangehörige und Polizisten – sind bewaffnet mit Kalaschnikows, Pistolen und Jagdgewehren. Dennoch begegnen sie uns mit professioneller Höflichkeit und zeigen sich pragmatisch im Umgang mit unseren mangelnden Sprachkenntnissen. Rund 40 Kilometer vor unserem Ziel gewinnen die Kontrollen an Intensität. Auch bricht jetzt die Dunkelheit herein, sodass wir ohne Licht durch die unbeleuchteten Checkpoints lavieren müssen.
Um 20 Uhr gehen die Lichter aus
In Bila Zerkwa herrschen aus naheliegenden Gründen strengere Regeln als in Lemberg. Da die Stadt bereits mehrfach Ziel von Bombenangriffen wurde, gehen hier bereits ab 20 Uhr die Lichter aus. Wir verfassen unsere Berichte in der Dunkelheit der Hotellobby, offiziell ist hier Fliegeralarm. Noch immer ist nicht absehbar, wann Russland seinen nächsten Großangriff starten wird. Dennoch geht auch in Bila Zerkwa das Leben weiter. Nur anders.
So ist die Lage an der Grenze zur Slowakei (1)
Alltag zwischen Panzersperren und Fliegeralarm (2)