Die feinen Herren von der Antikorruptionststiftung: Dissidenz als Alibi

Leonid Wolkow, Vorsitzender der „Stiftung für Korruptionsbekämpfung“, steht im Zentrum eines Skandals, der die westliche Unterstützung für russische Dissidenten in Frage stellt. In seinem Kommentar für FREILICH beleuchtet Ilia Ryvkin die Vorwürfe der Veruntreuung von Geldern und des Machtmissbrauchs innerhalb der Stiftung.

Kommentar von
11.10.2024
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6 Minuten Lesezeit
Die feinen Herren von der Antikorruptionststiftung: Dissidenz als Alibi

Lindner, Wolkow und Mike Schubert beim M100 Sanssouci Colloquium 2022.

© Lindner, Wolkow und Mike Schubert beim M100 Sanssouci Colloquium 2022.

Das Glanzlicht der Scheinwerfer. Tosender Applaus. Das strahlende Lächeln von Christian Lindner (FDP) und Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD). Zwischen ihnen steht Leonid Wolkow, ein Vertreter der internationalen „Stiftung für Korruptionsbekämpfung“ (FBK), die vor zwei Jahren mit dem Mediapreis in Potsdam geehrt wurde. Laut Herrn Schubert gehe es dabei um so gewichtige Dinge wie „demokratische Resilienz“, die „nicht erst seit der Corona-Pandemie an Bedeutung gewonnen“ habe. „Wütend und angstfrei“ – so feiert die Westpresse die Aktivisten der Stiftung, die der mittlerweile verstorbene russische „Regimekritiker“ Alexej Nawalny gegründet hat. In ihrem Aufsichtsrat sitzen keine Geringeren als der belgische EU-Abgeordnete Guy Verhofstadt, die „polnisch-amerikanische“ Publizistin Anne Applebaum und der US-Politologe Francis Fukuyama.

Wolkow wirkt leicht verwirrt, aber dennoch äußerst zufrieden – wie ein Kater, der genau weiß, dass er etwas angestellt hat, ihm aber nie etwas dafür passieren wird, dank seines unausstehlichen Niedlichkeitsbonus. Der Geldstrom aus dem Füllhorn wird nicht versiegen. Weniger als zwei Jahre später wird Wolkows „Mut, Klugheit und Engagement“ mit dem Theodor-Heuss-Preis 2023 geehrt. Seine moralische Autorität ruht auf einem soliden religiösen Fundament; die Jüdische Allgemeine feiert Wolkow als aufrechten Anhänger des mosaischen Glaubens.

Die westliche Vermarktung von Dissidenz

Herr Wolkow tritt regelmäßig in Europäischen Parlamenten, bei zahllosen Konferenzen und vor der Kamera auf. In der Talkshow Markus Lanz im September 2022 wirft er Sahra Wagenknecht vor, sie agiere im Sinne Wladimir Putins, wenn sie fordert, dass die Ukraine „realistische Forderungen stellen und im Interesse des Friedens Kompromisse eingehen müsse.“ Wenn man sich um Frieden bemühen will, gilt man im aktuellen politischen Klima leicht als rechtsextrem, putinhörig und im besten Falle als naiv.

Leonid Wolkows Werdegang ist typisch für jene Putin-Kritiker, die im Westen sofort begannen, sich des symbolischen Erbes der sowjetischen Dissidenten zu bedienen. Auch Alexander Solschenizyn trug einen Vollbart wie Wolkow – doch hier enden die Gemeinsamkeiten. Während Solschenizyn für Prinzipien stand, versuchen unsere aufmüpfigen Zeitgenossen, ihr symbolisches Kapital maximal lukrativ auf dem westlichen Meinungsmarkt anzulegen.

Die Rolle der Stanford-Gruppe

Es geht darum, dass die Sanktionen gegen russische Staatsbürger, die in den letzten zweieinhalb Jahren in einer regelrechten Flut verhängt wurden, auf einer klaren rechtlichen Grundlage basieren sollten – diese fehlt jedoch. Stattdessen stützen sich die Maßnahmen weitgehend auf die Empfehlungen der „Stanford International Working Group“ unter der Leitung von Michael McFaul, dem ehemaligen US-Botschafter in Moskau. Man muss nicht einmal ein aktiver Kriegsbefürworter sein. Es genügt bereits, einen russischen Pass zu besitzen. Konten werden gesperrt, Kapital „eingefroren“ und Unternehmen enteignet – Maßnahmen, die offensichtlich nicht darauf abzielen, Putin zu schädigen oder die Wehrhaftigkeit des Landes zu schwächen, sondern vielmehr die betroffenen Menschen unter Druck zu setzen. Russe zu sein, ist schuld genug. Einige davon, die nichts für ihre Herkunft können, dürfen auf eine Begnadigung hoffen. Die Trennung von liberalen Schafen und patriotischen Ziegenböcken erfordert zwar keine besonderen Kompetenzen, eröffnet den jeweiligen Experten jedoch reichlich Gelegenheit – vor allem finanzieller Natur.

Im März des vergangenen Jahres wurde ein an die Europäische Kommission gerichtetes Schreiben bekannt, in dem Wolkow, Vorstand des FBK, die Aufhebung der Sanktionen gegen die Finanziers Michail Fridman und Pjotr Aven forderte. Herr Fridman, mit einem Vermögen von 15,5 Milliarden Dollar, zählt laut Forbes zu den reichsten Unternehmern Russlands. 2019 wurde er von der Times zum reichsten Bewohner Londons gekürt. Doch nach den Sanktionen des Vereinigten Königreichs verließ er England und ließ sich in Israel nieder, wo er neben seiner russischen auch die israelische Staatsbürgerschaft angenommen hat. Das persönliche Vermögen von Herrn Aven, das mit 5,3 Milliarden US-Dollar zwar bescheidener ausfällt als das seines Partners, macht ihn dennoch zum reichsten Mann Lettlands. Der Pass dieses baltischen Landes, den er unter anderem besitzt, ermöglicht ihm, sich ebenfalls in London niederzulassen.

Machtmissbrauch und interne Konflikte innerhalb der FBK

Im April dieses Jahres wurden die Namen der beiden Gentlemen von der EU-Sanktionsliste gestrichen. Es schien, als hätte Wolkows Petition Unterstützung gefunden. Die Namen der Oligarchen erscheinen in seiner Korrespondenz mit Größen wie dem Professor der Columbia University, Stephen Sestanovich, der ehemaligen US-Außenministerin Victoria Nuland, dem Ex-Leiter des Council on Foreign Relations (CFR), Richard Haass, sowie prominenten Experten für subversive antirussische Aktivitäten. Man könnte sich nun für alle Beteiligten freuen, gäbe es da nicht eine unehrenhafte Nuance: Die Unterschrift Wolkows als Vorstand der Stiftung war nicht ordnungsgemäß genehmigt worden. Man sprach von Machtmissbrauch, weshalb Wolkow gezwungen war, seinen Posten zugunsten der Kollegin M. Pewtschikh niederzulegen. Die ebenfalls in London ansässige Frau Pewtschikh sieht aus wie ein James-Bond-Girl und kann sich auch so bewegen. Ich weiß nicht, ob ihre hervorragenden Leistungen in Mathematik und Karate es waren, wofür man ihr im Jahr 2019 die britische Staatsbürgerschaft verlieh.

Dieser ganze Sturm im Wasserglas wäre längst vergessen, wäre da nicht eine kürzlich veröffentlichte journalistische Ermittlung[1] des russisch-israelischen Influencers Maxim Katz. Herr Katz ist ein glühender Kritiker Putins. Wenn es um den Nahen Osten geht, verwandelt er sich von einer Friedenstaube in einen Kriegsfalken und zeigt sich dabei völlig unbedacht gegenüber jeglichen dubiosen Kreml-Propaganda-Verbindungen.

Die jüngste Enthüllung beleuchtet die Machenschaften zweier Mitbegründer der Antikorruptionsstiftung: Alexander Zheleznyak und Sergey Leontiev. Offenbar sollen die beiden Antikorruptionsaktivisten, die einst als Direktoren der „Probusinessbank“ agierten, ihre eigene Bank um mehrere Milliarden Rubel betrogen haben. Nach dem Lizenzentzug im August 2015 wurde eine gewaltige Vermögenslücke von 67 Milliarden Rubel aufgedeckt. Umgerechnet handelt es sich dabei um 630 Millionen Euro – ein Betrag, der in etwa dem Haushaltsvolumen von Städten wie Göttingen oder Mannheim entspricht.

Der Korruptionsskandal und die Folgen für die westliche Unterstützung

Laut den von Katz veröffentlichten Belegen haben die beiden Bankster ein ausgeklügeltes Netzwerk von Offshore-Firmen zusammengemauschelt, um sich die Gelder der Anleger unter den Nagel zu reißen. Indem sie Kredite an fiktive Unternehmen vergaben, lenkten sie die Mittel auf die Konten der britisch lizenzierten Maklerfirma DMBL. Diese wiederum verlieh das Geld mit Garantien der Probusinessbank an von Zheleznyak und Leontiev kontrollierte Briefkastenfirmen, darunter die zypriotische Vermenda. Formal wurden die Anlagen als Eigentum der Bank deklariert, doch faktisch blieben sie in den Händen der Maklerfirma. Die Scheinfirmen, für die die Bank selbst haftete, gaben die Gelder nicht zurück. Im Jahr 2015, als ein drohender Lizenzentzug in der Luft lag, verwandelten die Bankster das Unternehmen in ihren eigenen Selbstbedienungsladen. Millionenbeträge flossen direkt in ihre eigenen Taschen, als Darlehen auf die Konten der in Leipzig registrierten Briefkastenfirma Immoger Group GmbH.

Die Dokumente, die den betrogenen Einlegern während der Sanierungsmaßnahmen übergeben wurden, ermöglichten ihnen eine Rückverfolgung der Finanzströme. Dadurch konnten sie einen Teil ihrer gestohlenen Gelder auf Konten auf den Cookinseln und in Liechtenstein aufspüren. Die liechtensteinische Generalstaatsanwaltschaft leitete ein Strafverfahren ein; Vermögenswerte in Höhe von sieben Milliarden Rubel des ehemaligen Chefs der Probusinessbank, Sergei Leontiev, wurden eingefroren. Doch die Opfer konnten ihr Geld bisher nicht zurückerhalten. Leontiev versucht, die gegen ihn eingeleiteten Verfahren als politisch motiviert darzustellen. Währenddessen weigern sich westliche Gerichte, den Sachverhalt in Fällen zu prüfen, die möglicherweise im Rahmen einer politischen Verfolgung eingeleitet wurden.

Trotz ihrer fadenscheinigen Ausreden waren weder Leontiev noch Zheleznyak vor dem Konkurs ihrer Bank jemals politisch auffällig. Die bereits veröffentlichten Belege ihrer Machenschaften zeichnen den Sachverhalt so klar und detailliert, dass jede politische Motivation der Anklage entkräftet wird. Doch in unseren Postwahrheitszeiten gilt: Passen einem die Fakten nicht, kauft man sich einfach andere.

Die Ironie der westlichen Unterstützung

Gleich nach ihrer Flucht in den Westen starteten die beiden Komplizen eine kostspielige Reinwaschung-Kampagne, in der sie auf die Dienste des Nawalny-Teams zurückgriffen. 2021 tauchte Zheleznyak als Gründungsmitglied der Antikorruptionsstiftung in den USA auf. In den Finanzberichten der FBK an die US-Steuerbehörde wird er als Hauptentscheidungsträger geführt. Leontiev wiederum überweist monatlich 20.000 Dollar an die Stiftung, wie die Financial Times im Dezember 2022 berichtete.

Ernsthaft, wenn das die Handlung einer Gaunerkomödie aus Hollywood wäre, würden Sie das nicht auch für komplett übertrieben halten? Dennoch ist es wahr: Eine Antikorruptionsinitiative, deren Aufsichtsrat sich ständig mit den Stars der liberalen Prominenz in den Armen liegt, wurde von Kriminellen mitbegründet und mit veruntreuten Geldern finanziert. Im Gegenzug verhelfen die selbsternannten Antikorruptionshelden den Verbrechern, Dissidenz zu inszenieren und sie als Alibi zu nutzen. Mich wundert das kaum. Für die Destabilisierung Russlands hat sich der Westen schon mal des kriminellen Bolschewisten-Gesocks bedient.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
Über den Autor

Ilia Ryvkin

Ilia Ryvkin Jahrgang 1974, wurde im russischen Petrosawodsk geboren und lebt derzeit in Berlin. Als Journalist und Dramaturg erhielt er zahlreiche Auszeichnungen und Stipendien. Ryvkin ist als Korrespondent für Osteuropa und Zentralasien tätig.

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