Bildung in der Krise: Schuld sind immer die anderen
Das deutsche Bildungssystem steht vor einem Generationenkonflikt: Überalterte Lehrkräfte und mehr oder weniger wissbegierige junge Erwachsene. Doch wer ist schuld? Eine deutsche Professorin findet in einem aktuellen Kommentar eine provokante Antwort.
Deutschland hat ein Problem mit dem Bildungssystem. Manche glauben genau zu wissen, woran das liegt. (Symbolbild)
© IMAGO / Panama PicturesDie Szene: Das Lehrerzimmer eines mitteldeutschen Gymnasiums an einem sonnigen Maimorgen. Im Gespräch mit einer jungen Lehramtsanwärterin (U30) für das Fach Geschichte kommt die Frage auf, wie man die unüberschaubare Menge an Quellen für den Unterricht aufbereiten könne und ob es Tipps und Tricks gebe, um das Material zu sichten. Die Antwort fällt ernüchternd aus – die sonst sehr engagiert wirkende Lehrerin gibt zu, dass sie sich meist durch die ersten Ergebnisse der Suchmaschinenseite klickt und gerne auf Materialsammlungen im Internet zurückgreift. Der Unterricht der arbeitszeitbewussten Geschichtslehrerin war dementsprechend uninspiriert, die Schüler (in diesem Fall eine eigentlich begeisterungsfähige 9. Klasse) zeigten sich wenig motiviert von den vorgefertigten Arbeitsblättern, die nur lose an ihre Interessen anzuknüpfen schienen.
Studenten als Sündenböcke?
Solche oder ähnliche Fälle spielen sich nicht nur in deutschen Klassenzimmern, sondern auch in Hörsälen und Seminarräumen ab – einschläfernde Vorlesungen und zähe Seminare sind nicht selten eher die Regel als die Ausnahme. Geht es nach der Autorin und Professorin für Wirtschaftsrecht an der Hochschule Anhalt, Zümrüt Gülbay-Peischard, sind die Studenten an dieser Misere schuld, wie sie in einem aktuellen Kommentar in der Welt schreibt.
Die Vorwürfe sind bekannt: Die Generation Z sei faul, dumm und frech obendrein. Das deutsche Bildungssystem bezeichnet Gülbay-Peischard als „sehr gutes und beinahe kostenfreies akademisches System, das jedoch auf lethargische, handysüchtige, unhöfliche und kommunikationsarme junge Menschen stößt“. Den jungen Leuten fehle es an „Innovation, Fleiß, Empathie und Visionen, solidem Wissen und gesundem Menschenverstand“. Ihr Buch und ihre öffentlichkeitswirksamen Kommentare gegen die ihr verhassten Langzeitstudenten bezeichnet sie als „Stimme der Vernunft“.
Systemfehler statt Generationenversagen
Immerhin ist die in Deutschland aufgewachsene Türkin so fair: Dieser harte Kern unfähiger, „akadämlichen“ Studenten mache nur etwa ein Drittel aus, der Rest gehöre irgendwie an deutsche Hochschulen – manche mehr schlecht als recht. Kluge FREILICH-Leser wissen, dass das deutsche Schulsystem längst nicht so toll ist, wie Gülbay-Peischard es anpreist. Lehrermangel, Politisierung der Lehrinhalte, Überdiversität der Klassen durch fehlgeleitete Inklusion: Wer heute nicht nur einen Abschluss, sondern eine gute Bildung erwirbt, tut dies trotz und wegen des Bildungssystems.
Entgegen dem linken Geschrei sind die Eltern und die erweiterte Familie ein wichtiger Faktor für den Bildungserfolg der Kinder, den die Schulen immer weniger garantieren können. Das Übel der Universitäten sind aber nicht die jungen Erwachsenen, die parallel zur Bildungsqualität der Schulen immer schlechter auf das Studium vorbereitet werden. Die permanente Pennalisierung des universitären Betriebs ist nicht nur ein gigantisches Auffangbecken für die tatsächlich für diesen Bildungsweg Ungeeigneten, sondern auch ein Graus für diejenigen, die ein Studium als das begreifen, was es letztlich ist: die beste (und für die meisten die einzige) Möglichkeit, sich selbstgesteuert die bestmögliche Bildung auf einem selbst gewählten Fachgebiet anzueignen. Wer dieses Ziel verfolgt, braucht keine Anwesenheitspflicht, keine wöchentlichen (!) Gebühren und keine Modulprüfungen mit „Credit Points“, wie sie das Bologna-System vorschreibt.
Projektionsfläche Generation Z
Droht den Universitäten ein gewaltiger Generationenkonflikt? Das muss unklar bleiben, aber Texte wie der von Zümrüt Gülbay-Peischard liefern den besten Zündstoff. Sie ignoriert die Altersgruppe, die für die schulische und universitäre Ausbildung der Generation Z verantwortlich ist, und vor allem deren Einstellung zu dieser Ausbildung von klein auf: Ihre eigene. Wer ein derart eindimensionales Bild einer Generation zeichnet und darauf besteht, ernst genommen zu werden, kennt seine Schützlinge nicht und beweist zugleich einen begrenzten geistigen und emotionalen Horizont.
Doch mit dieser Haltung steht Professor Gülbay-Peischard nicht alleine da: Die latente Verachtung einer Generation, die ihren Lebenstraum nicht darin sieht, die nächsten 40 Jahre im Hamsterrad zu verbringen, aus welchen (noch schlimmeren) Gründen auch immer, speist sich nicht selten aus Neid und Unverständnis für die Grundbefindlichkeiten der Jugend – ein schlechtes Zeichen für Menschen in einem pädagogischen Berufsfeld.
Letztlich bleibt der Kommentar der in Ankara geborenen Gülbay-Peischard auf der bekannten und damit langweiligen Empörungsebene. Die kaum verhohlene Werbung für ihr Buch lässt nichts Gutes ahnen, wenn „Faulheit, Handysucht und schlechte Umgangsformen“ als die entscheidenden Probleme der deutschen Hochschulbildung bewertet werden. Wer wissen will, was die Generation Z bewegt oder welche Defizite das aktuelle Bildungssystem hat, greift besser zu FREILICH: Mit den Ausgaben „Schule am Limit“ (#31) und dem bald erscheinenden April-Heft zur Generation Z (#33) bekommt man Analysen mit Tiefgang und Interviews mit echten Experten statt dauerempörter LibKon-Hexen.