Exklusiv: Vorab-Auszug aus dem Nachwort von „Das Ende der Beneš-Republik“

Ende dieses Monats jährt sich zum 85. Mal der Abschluss des Münchner Abkommens, über das in der Vergangenheit viel diskutiert wurde. Im Zuge dieser Debatte sind zahlreiche Bücher erschienen, die dieses Ereignis jedoch stets aus deutscher, polnischer oder alliierter Sicht beleuchtet haben – nie jedoch aus tschechischer Perspektive. Jungeuropa legt nun ein wichtiges Buch zu diesem Thema vor. FREILICH bringt exklusiv und vorab einen Auszug aus dem Nachwort von Antonin Brousek.

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Exklusiv: Vorab-Auszug aus dem Nachwort von „Das Ende der Beneš-Republik“

Emanuel Moravec

© Jungeuropa

Heiliger Wenzel mit Hakenkreuz

Moravec wurde 1893 in eine Prager Mittelstandsfamilie geboren. 1912 machte er an einer Technischen Fachoberschule sein Abitur, ein Jahr zuvor war er aus der katholischen Kirche ausgetreten. Dies galt in nationalen tschechischen Kreisen als Ausdruck patriotischer Gesinnung. 1913 trat er in Prag eine Stelle als technischer Angestellter bei einer Ingenieursfirma für Heizungstechnik an. Dies sah nicht gerade nach dem Beginn einer großartigen Karriere aus. Dann kam es zur historischen Disruption. Der Weltkrieg brach aus. Schon im Sommer 1914 wurde Moravec, weil er Abiturient war, als sogenannter Einjährig-Freiwilliger in die Österreichische Armee eingezogen und 1915 als Kadett und Offiziersaspirant an die Ostfront in den galizischen Karpaten geschickt. Dort ließ er sich – wie viele andere österreichische Soldaten tschechischer Nationalität – möglichst schnell von den Russen gefangen nehmen.

Ab 1915 formierten sich in Russland Einheiten aus Kriegsgefangenen tschechischer und slowakischer Herkunft, welche später die oben genannten Tschechoslowakischen Legionen bilden sollten. Moravec gelang es nicht gleich, sich in diese Einheiten einzugliedern, weil die Russen den Aufbau der Tschechoslowakischen Legionen anfangs behinderten. So trat er zunächst in die damals noch exterritoriale 1. Serbische Freiwilligendivision ein, wo er schnell zum Leutnant ernannt wurde. Diese Division wurde an die Südfront zum Kampf gegen die bulgarische Armee verlegt, die aufseiten der Mittelmächte (Deutschland und Österreich-Ungarn) kämpfte.

Moravec fühlte sich aber weder in den harten Kämpfen auf dem Balkan wohl, noch kam er mit der überaus brutalen serbischen Disziplin zurecht. So gelang es ihm mit gewisser Mühe erst 1917, endlich in die Tschechoslowakischen Legionen zu gelangen, nachdem er dort angegeben hatte, dass er bei den Serben Kompanieführer einer Maschinengewehrkompanie war, was stimmte. Er gab aber auch an, er sei von Beruf Maschinenbauingenieur und habe das Polytechnikum absolviert, was ja nicht stimmte. 1917 bis 1919 nahm er als Legionsoffizier an den heftigen Kämpfen in Sibirien teil und wurde 1919 zum Hauptmann befördert. In Sibirien lernte er auch den Kriegshelden und General der Legionen Radola Gajda, von dem hier noch ausführlich die Rede sein wird, kennen und hassen.

Obwohl manche seiner Mitkämpfer Moravec im Weltkrieg wohl nicht unbegründet mehrfach Feigheit vor dem Feind und Versagen im Kampf vorwarfen, wurde er nach seiner Rückkehr nach Prag 1920 als Berufssoldat und Hauptmann der Nachrichtentruppe in die tschechoslowakische Armee übernommen. 1921 konnte er sich aber in der Karpatenukraine im Einsatz gegen Ungarn bewähren, wurde zum Stabshauptmann befördert und bereits 1922 zum Studium an die Kriegshochschule abkommandiert. Diese absolvierte er als Major im Generalstab 1923 erfolgreich, jedoch mit nur – überraschend – mäßigem Erfolg.

Dieses Defizit konnte Moravec mit einer ganz anderen Tätigkeit kompensieren: der Schriftstellerei. Er hatte schon 1918 begonnen, fundierte militärtheoretische Aufsätze zu veröffentlichen. Damit hatte er unter den tschechoslowakischen Offizieren ein ziemliches Alleinstellungsmerkmal. Moravec publizierte zu Geschichte, Geopolitik und Militärwissenschaft in Zeitschriften und Zeitungen. Dazu gehörte auch die sehr renommierte Tageszeitung Lidové noviny, eine Art von tschechischer FAZ. Dort schrieb er Beiträge unter dem Pseudonym Stanislav Yester, die beim Publikum ungemein beliebt waren. Aber auch für die Wochenzeitung Přítomnost (deutsch: „Gegenwart“) konnte er schreiben. Dabei war das 1924 von Masaryk gegründete Blatt das intellektuelle Aushängeschild der künstlerischen und politischen Avantgarde der Prager Zwischenkriegszeit. Autor der Přítomnost zu sein war eine Art Erhebung in den kulturellen Adelsstand.

Moravec veröffentlichte 1929 bis 1939 auch zahlreiche militärpolitische Bücher, die sich vor allem mit der Rolle der Tschechoslowakei als mitteleuropäische Militärmacht beschäftigten. Diese Bücher wurden viel gelesen und erlebten teilweise zahlreiche Auflagen. Um regulären Truppendienst kümmerte sich Moravec in der Folge immer weniger, vielmehr erhielt er sogar eine Professorenstelle an der Kriegsakademie und unterrichtete dort Militärtheorie. Moravec wurde allmählich eine so allgemein bekannte und geradezu populäre Persönlichkeit, dass ihm als „VIP-Offizier“ nach dem Tod des Präsidenten T. G. Masaryk im Herbst 1937 sogar übertragen wurde, beim großen Staatsbegräbnis dem feierlichen militärischen Trauerkondukt der Lafette mit dem Katafalk des toten Präsidenten voranzuschreiten.

Kurz nach seiner Beförderung zum Oberst stockte seine militärische Karriere. Er bekam mehrfach ungünstige dienstliche Beurteilungen. Seine Vorgesetzten warfen ihm vor, wegen Vernachlässigung des Truppendienstes nur ungenügende Kenntnisse in Militärtaktik zu haben. Auch sei er gar kein militärischer Führer, sondern behandele seine Untergebenen mehr wie ein autoritärer Lehrer seine Schüler. Moravec wurde infolgedessen aus den Reihen der Bewerber für einen Kurs für künftige Generäle gestrichen. Hintergrund dessen war zweifelsohne ein diffuser Neid des Offizierskorps auf die großen Publikationserfolge des Kollegen. Es gab aber auch Vorbehalte gegen Moravec, die in seiner Persönlichkeit begründet waren. Moravec hatte eine deutliche Neigung zu jungen Frauen. Er war zweimal geschieden und hatte drei Söhne von drei Ehefrauen. Er hatte dazu einen sehr anspruchsvollen privaten Lebensstil.

Als Oberst hatte er monatliche Bezüge von circa 3100 tschechoslowakischen Kronen, was sehr solide war. Dennoch verdiente er sich mit seinen Publikationen erheblich dazu, in der Regel an die 30.000 Kronen pro Jahr. Dennoch war er immer in deutlichen, aber unklaren Geldnöten. Hinzu kam eine unschöne Unterschlagungsaffäre im Rahmen seiner Truppenführung, die im Ergebnis zwar niedergeschlagen wurde, jedoch ein schlechtes Licht auf ihn warf. Nicht zuletzt galt er als politisch unzuverlässig. War er nach seiner Rückkehr aus Russland noch als Linker aufgetreten, offenbarten seine Publikationen in der 1930er-Jahren eine immer größere Nähe und Bewunderung für das neue faschistische Italien von Benito Mussolini. Mit anderen Worten: Moravec galt in der Armee als unzuverlässiger, unsolider und undurchsichtiger Karrierist. Absurderweise nahm Moravecs stockende Karriere erneut einen positiven Verlauf, als es 1938 zur größten Katastrophe der tschechischen Geschichte des 20. Jahrhunderts kam, der Sudetenkrise und dem Münchener Abkommen. (…)

Diese Sudetenkrise löste bei Moravec ein persönliches Trauma aus. Unabhängig von seiner politischen Einstellung war er ein großer tschechoslowakischer, später dann nur tschechischer Patriot. Er hatte vielfach auf die Notwendigkeit eines militärischen Widerstandes hingewiesen, verfügte die Tschechoslowakei doch über 40 gut ausgerüstete Divisionen sowie über effektive Grenzbefestigungen. Als sich die Gerüchte über eine Kapitulation auf Grundlage des Münchener Abkommens verdichteten, verließ er eigenmächtig sein Kommando an der Grenze in Znaim in Südmähren und fuhr eiligst mit seinem Privatwagen nach Prag. Auf der Burg sprach er in voller Felduniform beim Präsidenten Edvard Beneš, Masaryks Nachfolger, vor. Im Rahmen einer zweistündigen Diskussion erklärte er dem Präsidenten, dass dieser das Vertrauen der Armee verloren habe. Die Armee wolle auch gegen den Willen des Präsidenten kämpfen.

Er traf in Präsident Beneš einen gebrochenen und gedemütigten Mann an, der ihm erklärte, dass die Tschechoslowakei von Frankreich und Großbritannien verraten worden sei. Ein Widerstand sei sinnlos. Als Moravec heftig auf Beneš einredete und ihm daraufhin ernsthaft mit dem Kriegsgericht gedroht wurde, verließ er erfolglos die Prager Burg und begab sich bis zur Demobilisierung zu seiner Truppe nach Znaim. Bis zu seinem Tod litt Moravec unter diesem Münchener Trauma. Geradezu manisch empfand er einen mehrfachen Verrat: den Verrat der Westmächte Großbritannien und Frankreich, der Nachbarn Ungarn und Polen, vor allem aber von Edvard Beneš, dessen Kabinett, den gemäßigten Teilen der tschechoslowakischen Armee und vor allem der Generalität, den bürgerlichen Parteien der Republik, dem internationalen Kapital und allgemein der parlamentarischen Demokratie. Das Vorgehen des Deutschen Reiches hingegen empfand er nicht etwa als grobe Aggression, sondern als politisch konsequente, historisch berechtigte und national kraftvolle Maßnahme. Er begann, das Deutsche Reich zu bewundern. (…)

Nach der deutschen Einnahme des Sudetenlandes resignierte Beneš als Präsident und floh ins Exil nach London. Zu seinem Nachfolger wurde der Verfassungsjurist Emil Hácha gewählt. Er blieb bis zum Mai 1945 im Amt. Moravec war für die feige, verängstigte tschechische Öffentlichkeit zur politischen Persona non grata geworden. Zunächst bekam er ein Publikationsverbot, dann wurde er sogar gegen seinen Willen als Oberst in den Vorruhestand versetzt. Moravec überlegte, nach Südamerika zu emigrieren. Dazu kam es aber nicht, da am 15. März 1939 die Deutschen in Prag einmarschierten. Dies erfolgte mit Zustimmung des tschechischen Präsidenten Hácha, auf den Adolf Hitler in Berlin nicht unerheblichen Druck ausgeübt hatte. Moravec wusste nicht, was mit ihm geschehen würde. Er befürchtete, als prominenter Gegner des Deutschen Reiches verhaftet zu werden, zumal die Errichtung des Protektorates mit der vielsagenden deutschen „Aktion Gitter“ begonnen hatte, die in einer ersten Welle an Verhaftungen der Gegner des nationalsozialistischen Deutschland bestand.

Moravec verließ mitsamt Familie seine Wohnung und lebte an unbekanntem Ort. Das Großdeutsche Reich aber handelte ganz anders als erwartet. Er bekam Besuch von einem frischgebackenen Offizier der deutschen Wehrmacht, der bis vor Kurzem noch als tschechoslowakischer Major i.G. ein Schüler von Moravec an der Kriegshochschule gewesen war. Dieser erklärte ihm, das Reich benötige Männer wie ihn, und bot ihm eine konkrete Zusammenarbeit an. Die deutsche Verwaltung schlug ihm zunächst eine mehrwöchige Reise durch das Reich vor. Von dieser kehrte Moravec als begeisterter Anhänger deutscher Zucht, Organisation und Ordnung nach Prag zurück. Die Okkupanten erlaubten ihm auch, weiterhin zu publizieren. Schon 1939 erschien sein wohl bedeutendstes Buch V úloze mouřenína (deutsch: „In der Rolle des Mohren“).

Gemeint ist der shakespearesche Mohr Othello, der gehen kann, weil er seine Schuldigkeit getan hat. Das Buch ist eine bittere Abrechnung mit dem „Verrat von München“, mit Beneš und dessen Clique und vor allem mit dem demokratischen Westen. Obwohl es voll von enttäuschtem Zorn ist, ist es gegenüber den Deutschen nicht servil. Es atmet vielmehr einen dezidiert tschechischen Patriotismus und selbstbewussten nationalen Stolz. In einer ungemein genauen politischen und vor allem militärischen Analyse beleuchtet Moravec das Bündnissystem der Zwischenkriegszeit.

Interessanterweise wird auch der wirtschaftliche Hintergrund als Basis für eine erfolgreiche militärische Vorgehensweise der Entente gegen das Deutsche Reich erörtert. Diese Analyse fällt nicht zugunsten des Westens oder der Tschechoslowakei aus. Das Buch ist aber auch eine kluge Auseinandersetzung mit den Grundlagen politischer Verantwortung. Insbesondere wird die Abfolge der für das Schicksal ihrer Völker politisch verantwortlichen Generationen, der 20-Jährigen, der 40-Jährigen und der 60-Jährigen, wie Moravec die Generationenfolge herausarbeitet, untersucht. Nicht zuletzt beleuchtet er die Frage historischer Abhängigkeiten und geografischer Zwänge. Schwerpunkt ist dabei immer das Verhältnis des kleinen tschechischen Volkes zu seinem großen Bruder Deutschland, dem Nachbarn, der Böhmen und Mähren seit 1000 Jahren kulturell, politisch und geografisch umgibt, umarmt und beeinflusst. Das Buch erlebte fünf Auflagen und wurde sogar 1940 unter dem Titel Das Ende der Benesch-Republik im Reich herausgegeben. (…)

In den letzten Monaten des Protektorats ging es auch mit Moravec bergab. Er hörte auf, geregelt zu arbeiten, und begann zu trinken. Er versuchte, persönliche Mitarbeiter um die Abgabe von Erklärungen zu bitten, wonach er, Moravec, im Protektorat niemandem persönlich geschadet habe. Er erklärte auch, dass es für ihn nicht ohne Ehre sein würde, nach dem Krieg auf einer Anklagebank zusammen mit dem französischen Vichy-Staatschef Marschall Pétain zu sitzen. Dazu sollte es aber nicht mehr kommen. Persönlich traf Moravec schon vorher das Unglück, dass sein jüngster Sohn Pavel im September 1944 bei einem Treffen der Hitlerjugend, deren Mitglied er war, infolge eines Luftangriffes ums Leben kam. Sein mittlerer Sohn Jiří diente in der Wehrmacht und geriet im Herbst 1944 in russische Gefangenschaft. Der älteste Sohn Igor diente bis 1945 in der Waffen-SS. Nach dem Krieg versteckte er sich unter anderer Identität in Böhmen, wurde entdeckt und 1947 hingerichtet.

Moravec schrieb seinen letzten Zeitungsartikel am 2. Mai 1945 und erklärte seine Kollaborationstätigkeit für beendet. Dennoch versuchte er Anfang Mai, Kontakt zu Radola Gajda aufzunehmen. Sie trafen sich am 4. Mai im Ministerium für Volksaufklärung. Gajda gegenüber erklärte Moravec wörtlich: „Herr General, ich bin am Ende meines Lebens. Ich habe mich in den Dienst der Deutschen begeben und den Nazismus propagiert. Meine Rolle ist zu Ende. Mich erwartet nur noch der Tod. Ich war Nationalsozialist und bleibe es bis zu diesem Augenblick. Ich möchte aber nicht die Zerstörung Prags mitansehen müssen. Es wäre gut, wenn Sie zusammen mit dem tschechischen Volk den Westen zu Hilfe rufen, damit die Bolschewiken nicht hierher in unser Land kommen. Machen Sie bitte schnell!“ Bewegende Worte. Gajda ließ sich aber auf nichts ein.

Noch am 5. Mai versuchte K.H. Frank mit Unterstützung der Protektoratsregierung, diese neu zu formieren und den verhassten Emanuel Moravec zu entlassen. Auch sollte eine neue Republik Böhmen und Mähren entstehen. Zu all dem kam es aber nicht mehr. Die Ereignisse überschlugen sich. Als am 5. Mai der Prager Aufstand losbrach, sollte sich Moravec auf deutschen Wunsch zu einem weiteren Rundfunkauftritt begeben. Er fuhr daher mit einer deutschen Autokolonne los und wollte zum Sender im mittelböhmischen Mělník gelangen. Überall in Prag wurde schon geschossen. Als die Kolonne wegen Benzinmangels in der Nähe der Prager Burg anhalten musste und er allein im Auto saß, schoß sich Moravec mit einer Pistole in die rechte Schläfe. Das Projektil durchdrang seinen Kopf und trat an der linken Schläfe wieder aus.

Emanuel Moravec, befleckt mit Blut und Hirnmasse, wurde dann in einem Hofgarten der deutschen Schutzpolizei in Prag-Dejvice (dt. Prag-Dewitz) provisorisch verscharrt. Kollaborateure nehmen oft ein gewaltsames Ende. Zumeist durch Hinrichtung, wie der Norweger Vidkun Quisling. Manche sterben auch im Bett, wie der Wallone Léon Degrelle. Suizide kommen auch vor, sind aber nicht die Regel. Moravec allerdings ist als Kollaborateur eben eine schillernde Persönlichkeit. In der tschechischen Gesellschaft wird er bis heute bitter gehasst und zutiefst verachtet, dennoch übt er eine gewisse Faszination aus. Es gibt über ihn Bücher, Spielfilme und sogar eine Graphic novel. Auch die Historiografie sieht ihn fast nur negativ. Es wäre an der Zeit, diese Bewertung zu hinterfragen. Es soll nicht darum gehen, Emanuel Moravec zu exkulpieren oder gar zu rehabilitieren. Dazu gibt es keinen Anlass. Dennoch ist eine Schwarz-Weiß-Betrachtung nicht angebracht. Moravec diente den ungeliebten Besatzern, das stimmt.

Persönlich tat er aber keinem Menschen in seiner Umgebung etwas an, weder unmittelbar noch mittelbar. Er tötete nicht, er folterte nicht, er denunzierte nicht einmal. Moravec befriedigte sein Eigeninteresse nach Macht und Geld. Natürlich. Dennoch versuchte er vor allem, Schaden vom tschechischen Volk abzuwenden. Auch wenn er sich nicht dazu äußerte, musste er Kenntnisse über die furchtbaren Verbrechen seiner deutschen Herren haben. Umso mehr versuchte er, das tschechische Volk zu einer aufrichtigen Zusammenarbeit mit dem Deutschen Reich zu bewegen, damit sein Volk überleben konnte. Er setzte alles auf ein Pferd, als er dachte, dass dieses Pferd gewinnen würde. Als er sah, dass das Pferd verlor, blieb er bis zum bitteren Ende diesem seinem Pferd treu. Das spricht für Charakterstärke. Das gilt umso mehr, als er sich selbst und sein Volk vom Westen feige verraten sah.

Es ist dabei egal, ob und wie weit Moravec wirklich Nationalsozialist war. Die Ansicht, dass das tschechische Volk und das deutsche Volk miteinander existenziell verbunden und verwoben seien, war bei ihm echt und aufrichtig. Und dieser Gedanke war historisch absolut zutreffend. Auch der 1945 verhaftete und in Haft verstorbene Emil Hácha wird heutzutage von der Geschichtswissenschaft als hilfloser und tragischer Fall betrachtet. Hilflos war Emanuel Moravec nicht. Tragisch war sein Schicksal aber durchaus, mag auch die gesamte tschechische Kollaboration 1939 bis 1945 tragisch, grotesk und widerwärtig zugleich gewesen sein.

Immerhin hatte Moravec am 5. Mai 1945 die persönliche Größe, sich selbst eine Kugel in den Kopf zu schießen, anstatt hilflos, panisch und erfolglos zu fliehen wie die meisten seiner Kollaborationskollegen. Somit sprach er selbst gegen sich das richtige moralische Urteil und bestätigte dadurch die Tragik seines eigenen Schicksals.


Hinweis der Redaktion:

Dies ist ein exklusiver Vorabauszug aus dem Nachwort von Antonin Brousek zum Buch „Emanuel Moravec – Das Ende der Beneš-Republik“, das im Jungeuropa Verlag erscheinen wird. Wir danken dem Verlag für die Genehmigung zur Veröffentlichung.

Das angesprochene Buch kann entweder direkt beim Verlag oder im FREILICH-Buchladen vorbestellt werden. Es erscheint am 29. September 2023.

Hinweis: Der Jungeuropa Verlag bietet ein Buchpaket an. Wer „Emanuel Moravec – Das Ende der Beneš-Republik“ und „Ilia Ryvkin – Russendämmerung“ zusammen bestellt, erhält „Wolfgang Bendel – Aristokratie“ gratis dazu.


Zur Person:

Antonin Brousek ist deutscher Übersetzer, Jurist und Politiker. Im Jahr 2021 wurde er Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin für die AfD. 2023 trat er aus der Partei aus. Brousek wurde als Sohn des tschechischen Dichters und Literaturkritikers Antonin Brousek in Prag geboren.

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