AfD-Politiker Rüdiger Lucassen: Junge Deutsche müssen ihre Geschichte kennen
Der AfD-Politiker Rüdiger Lucassen hat kürzlich dazu aufgerufen, sich mit der eigenen Familiengeschichte auseinanderzusetzen. Im Gespräch mit FREILICH erklärt er, was ihn dazu bewogen hat und wie er die Bedeutung der historischen Aufarbeitung für die jüngeren Generationen einschätzt.
Herr Lucassen, Sie haben kürzlich in den Sozialen Medien dazu aufgerufen, sich mit der eigenen Familiengeschichte auseinanderzusetzen (FREILICH berichtete). Was hat Sie dazu bewogen, diesen Aufruf in dieser Form zu veröffentlichen?
Der Artikel in der Welt über Alice Weidels Großvater. Benennen wir es klar: Ein solcher Artikel wird nur geschrieben, um Alice Weidel neben ein Foto mit Hakenkreuz zu stellen und möglichst häufig die Kürzel AfD und NSDAP in eine Zeile zu bringen. Das hat mit „historischer Aufarbeitung“ nichts zu tun. Es geht einzig um Diffamierung und Beschädigung. Frei nach dem Motto „Irgendwas bleibt schon hängen“. Allerdings fallen die Leute nicht mehr darauf herein.
Denn solche „Enthüllungen“ gehören seit Jahrzehnten zum Werkzeug der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Es gibt viele Beispiele: Vor rund 20 Jahren wurden Günter Grass, Siegfried Lenz, Martin Walser und sogar der kreuzbrave Horst Tappert (Derrick) durch sogenannte Historiker „enttarnt“. Da die aktiven Teilnehmer heute nicht mehr leben, wird jetzt das Prinzip der „Enkel-Schuld“ angewandt. Aus meiner Sicht trägt diese Dritte-Reichs-Obsession Züge einer Psychose.
Ihre Reaktion auf die Recherchen zur Familiengeschichte von Alice Weidel war positiv und ermutigend, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Wie schätzen Sie die Bedeutung der historischen Aufarbeitung für die jüngeren Generationen ein?
Nur wer weiß, wo er herkommt, weiß, wo er hingehen muss. Wir Deutsche sind nicht einfach nur zufällig da. Generationen vor uns haben diese großartige Nation zu dem gemacht, was sie heute ist. Oder sagen wir, wie sie wieder sein könnte. Es gibt ein historisches Band zu unseren Vorfahren, welches sich nicht trennen lässt. Ich würde das Wort „Aufarbeitung“ dabei allerdings durch das Wort „Bewusstsein“ ersetzen. Die jüngere Generation muss ihr historisches Bewusstsein schärfen, um eine Idee von der Zukunft Deutschlands entwickeln zu können – mutig, frei und selbstbewusst. Seelenlose Anywheres mit Nasenring und Starbucks-Getränk werden das nicht schaffen.
Inwiefern sehen Sie das Wissen um die eigene Familiengeschichte als Teil der deutschen Erinnerungskultur? Gibt es für Sie einen Unterschied zwischen familiärer und gesellschaftlicher Aufarbeitung?
Die eigene Familiengeschichte schafft die persönliche Verbindung zur Geschichte Deutschlands und öffnet eine Perspektive auf die Leben in vergangener Zeit. Es waren unsere Vorfahren, die gekämpft, gelitten, erschaffen, geliebt, gehasst und eben auch so manches falsch gemacht haben. Von denen sollten wir uns nicht trennen. Nicht im Schlechten, aber auch nicht im Guten. Die Verbindung zu seinen Vorfahren ist ein zutiefst natürliches Bedürfnis. Damit greift die Familiengeschichte in die deutsche Erinnerungskultur.
Die gesellschaftliche Aufarbeitung in Deutschland begeht grundsätzlich den Fehler, alles aus heutiger (in der Regel linker) Perspektive zu bewerten. Das ist zum einen dumm und zum anderen unhistorisch. Darüber hinaus halte ich den Begriff „Aufarbeitung“ ohnehin für obsolet. Deutschlands Geschichte ist aufgearbeitet. Jeder Winkel des Dritten Reichs wurde dabei ausgeleuchtet. Die Frage, die aber noch nicht beantwortet wurde, ist, wie wir mit den Erkenntnissen umgehen. Darüber wird seit Gründung der Bundesrepublik ein erbitterter Streit geführt.
Sie haben erwähnt, dass Ihr Vater im Zweiten Weltkrieg als Fallschirmjäger an verschiedenen Kriegsschauplätzen aktiv war. Hat sein militärischer Hintergrund Ihre eigenen politischen Überzeugungen und Werte beeinflusst?
Selbstverständlich. Mein Vater war ein typischer Mann dieser Generation. Das Dienen, sowohl im Krieg als auch danach im Wiederaufbau, wurde niemals hinterfragt. Das kann sich heute fast niemand mehr vorstellen.
Als ich zur Welt kam, war jener Wiederaufbau bereits in vollem Gange. Der Geist dieser Zeit war positiv und so wurde ich erzogen.
Die Reaktionen auf Ihren Tweet zeigen, dass viele Menschen ihre eigenen Kriegsgeschichten teilen. Haben Sie mit so viel Resonanz gerechnet? Was glauben Sie, warum gerade dieses Thema so viele Menschen bewegt?
Die Verbindung zu den eigenen Vorfahren ist etwas ganz Natürliches. Die heutigen Erwachsenen saßen als Kinder auch auf Opas Schoß und haben in der Küche der Großmutter die Teigschüssel ausschlecken dürfen. Der penetrante Versuch des linken Lagers, jeden und jede einzelne dieser Erlebnisgeneration zum Verbrecher zu machen, widerspricht dem Gerechtigkeitsempfinden der Menschen. Ich denke, dass die Deutschen nach und nach an einen Punkt gelangen, sich die eigene Identität nicht mehr durch eine kleine Gruppe von Miesepetern wegnehmen zu lassen.
Ihr Beitrag ruft dazu auf, sich mit der Vergangenheit der eigenen Familie auseinanderzusetzen. Wie sollten Ihrer Meinung nach junge Menschen heute mit Familiengeschichten umgehen?
Mein Kollege Roger Beckamp hat in einem Video einen ganz konkreten Vorschlag gemacht. Er zeigt, wie jeder in die eigene Recherche einsteigen kann, welche staatlichen Stellen Hilfe bieten und wie entsprechende Anträge gestellt werden.
Darüber hinaus kann jeder in der eigenen Familie nachforschen. Jeder kleine Hinweis kann so zur Ausgangslage weiterer Nachforschungen werden und nach und nach ergibt sich ein Gesamtbild. Ich habe das für mich schon vor vielen Jahren gemacht und herausgekommen ist ein weitverzweigter Stammbaum meiner Vorfahren. Übrigens geht es natürlich nicht nur um die Geschichte der Männer im Krieg. Auch die Frauen haben oft genug Großartiges geleistet und viel erlebt. Und auch die Familienhistorie im geteilten Deutschland ist wichtig. Getrennte Familien, Fluchtgeschichten, Wiedervereinigung. Deutschlands Geschichte ist so reichhaltig wie kaum eine andere.
In Ihrem Beitrag auf X haben Sie ein Foto Ihres Vaters mit dem Boxweltmeister Max Schmeling geteilt. Warum war es Ihnen wichtig, auch Bildmaterial beizufügen und was bedeutet dieses Foto für Sie persönlich?
Es ist einfach ein tolles Bild von fast schon zeitgeschichtlichem Wert. Der Hüne Schmeling neben den eher kleinen und drahtigen Fallschirmjägern. Schmeling hatte damals Promistatus. Er war reich und mit der sehr attraktiven Schauspielerin Anny Ondra verheiratet. Und plötzlich taucht er als Soldat in der Fallschirmjäger-Kaserne auf. Das war ungefähr so, als ob sich heute Bastian Schweinsteiger zum Dienst in der Bundeswehr melden würde.
Fotos der Ahnen und Urahnen öffnen für mich aber auch immer einen Blick in die Seele der damaligen Zeit. Wir sehen junge Männer und Frauen, die ihre Zukunft noch vor sich haben. Was haben Sie gedacht? Wie haben sie sich in der damaligen Zeit verortet? Wie hätten wir entschieden? Ein reines Gewissen kann nur haben, wer es noch nie benutzt hat.
Die Recherchen zu Alice Weidels Großvater werden in den Medien kontrovers diskutiert. Auch ihr Beitrag wurde kritisiert, unter anderem vom Bundeswehrprofessor Masala. Was sagen Sie zu dieser Kritik aus der linken Ecke?
Wir befinden uns seit Jahren in einem Kulturkampf. Der linke Teil der Republik kämpft gegen jede Form der Identität, also des Vermächtnisses. Die Kritik ist daher nicht überraschend. Gerade den jungen Patrioten will ich aber eines zurufen: Die Zeit der Destruktiven und der Schlechtgelaunten geht dem Ende entgegen. Die Zukunft gehört denen, die mutig und frei zu unserem Land und seiner Geschichte stehen.
Die AfD spricht in diesem Zusammenhang von „Sippenhaft“. Finden Sie, dass sich die Medien in Deutschland manchmal zu sehr auf die familiären Beziehungen von Politikern konzentrieren? Auch die Vorfahren von Herrn Krah oder der Grünen-Vorsitzenden Habeck und Baerbock wurden kürzlich thematisiert.
Robert Habeck ist für Vieles verantwortlich. Zum Beispiel, dass die deutsche Wirtschaft abrauscht. Er ist aber sicher nicht dafür verantwortlich, dass sein Urgroßvater Brigadeführer der SS war. Aber natürlich gibt es jenseits der persönlichen Verantwortung eine Verantwortung als Volk. Diese Verantwortung für Verbrechen der Vergangenheit kann allerdings nur funktionieren, wenn das Band auch zu den positiven Seiten unserer Vergangenheit intakt ist.
Aus Sicht des Boulevardjournalismus habe ich sogar ein gewisses Verständnis für solche Artikel. Mit Hakenkreuz-Stories verhält es sich so wie mit Sex-Geschichten – sie steigern Interesse und Auflage.
Abschließend: Wie bewerten Sie die Rolle der Sozialen Medien in der heutigen politischen Kommunikation und der Aufarbeitung persönlicher Geschichte?
Auf Plattformen wie X findet heute der politische Diskurs statt. Die klassischen Medien haben dahingehend große Teile ihrer Deutungshoheit verloren. Ich finde das eine durch und durch positive Entwicklung. Jeder bekommt heute Informationen aus erster Hand und kann diese selbst einordnen. Für jemanden, der an den mündigen Bürger als Basis unserer Demokratie glaubt, ist diese Entwicklung ein Geschenk.
Herr Lucassen, vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person:
Rüdiger Lucassen, geboren 1951 in Dollerupholz in Schleswig-Holstein, ist seit 2017 AfD-Abgeordneter im Deutschen Bundestag und verteidigungspolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion.