Agonale Demokratie: Ein Ausweg aus der Polarisierung in der deutschen Politik?

In der aktuellen politischen Landschaft Deutschlands zeichnet sich eine beunruhigende Tendenz ab: Die etablierten Parteien von der CDU bis zur Linkspartei haben sich in einer gemeinsamen Blockbildung gegen die AfD positioniert. In diesem Artikel untersucht Frank-Christian Hansel, wie die Theorien der aus der linken politischen Tradition stammenden Chantal Mouffe, die sich auf den konservativen Denker Carl Schmitt bezieht, dazu beitragen könnten, einen Ausweg aus dieser beunruhigenden Polarisierung zu finden.

26.8.2023
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4 Minuten Lesezeit
Agonale Demokratie: Ein Ausweg aus der Polarisierung in der deutschen Politik?

Chantal Mouffe bei einem Symposium in Kassel

© IMAGO / Hartenfelser

Die belgische Politologin Chantal Mouffe ist bekannt für ihre Theorien zur Demokratie und zur politischen Theorie. Ihre Arbeiten betonen die Bedeutung kollektiver Identitäten, symbolischer Ordnungen und diskursiver Praktiken im politischen Leben. In ihrer Theorie unterscheidet Mouffe zwei Hauptformen der politischen Auseinandersetzung: die antagonistische und die agonale Politik.

Antagonistische Politik:

  1. In der antagonistischen Perspektive betrachtet Mouffe in Anlehnung an das metapolitische Denken Carl Schmitts die politische Auseinandersetzung als Kampf zwischen Feinden. Dieser Kampf kann sich im Extremfall so weit zuspitzen, dass die Existenz des Anderen als Bedrohung empfunden wird.

  2. In dieser Perspektive gibt es eine klare und unversöhnliche Trennung zwischen „uns“ und „den anderen“, wobei „die anderen“ als fundamentale und existenzielle Bedrohung wahrgenommen werden.

  3. Antagonistische Politiken tendieren dazu, den politischen Raum in einen Zustand der Desintegration zu versetzen, in dem Kompromisse kaum möglich sind und der politische Diskurs häufig in Feindschaft umschlägt.

Agonale Politik:

  1. Im Gegensatz zur antagonistischen Politik plädiert Mouffe für eine „agonale“ Politik. Dies bedeutet, dass politische Auseinandersetzungen als ein „Wettstreit“ zwischen Gegnern und nicht zwischen Feinden zu betrachten sind.

  2. In der agonalen Politik akzeptieren die Akteure, dass es legitime Konflikte und Differenzen in der Gesellschaft gibt, die nicht endgültig gelöst werden können. Stattdessen sollen sie in einer Weise ausgehandelt werden, die die Grundprinzipien der demokratischen Ordnung respektiert.

  3. Agonale Politik zielt darauf ab, einen Raum zu schaffen, in dem unterschiedliche Gruppen miteinander in Dialog treten können, ohne die Existenz der anderen zu leugnen. Es geht darum, Konflikte als normalen und notwendigen Bestandteil demokratischer Politik zu akzeptieren.

  4. In diesem Sinne wird der „Gegner“ nicht als Feind betrachtet, den es zu vernichten gilt, sondern als legitimer Gegner, mit dem man zwar konkurriert, dessen Existenz und Recht auf eine abweichende Meinung aber anerkannt wird.

Mouffe betont, dass eine lebendige Demokratie einen Raum braucht, in dem agonale Auseinandersetzungen stattfinden können. Dies sei entscheidend, um zu verhindern, dass aus politischen Konflikten Feindschaften werden, die die Grundlagen der demokratischen Ordnung untergraben.

Für Mouffe ist es wichtig, einen Mittelweg zu finden: Einerseits darf der politische Diskurs nicht so weit neutralisiert werden, dass keine ernsthaften Auseinandersetzungen mehr stattfinden. Andererseits dürfen diese Auseinandersetzungen nicht in eine so feindselige Form abgleiten, dass sie die Grundlagen des demokratischen Zusammenlebens zerstören.

Die Gefahr der Feindlichen Blockbildung: Ein Alarmzeichen

Es sind derzeit die sich selbst als „demokratisch“ bezeichnenden Parteien von CDU bis Linkspartei, die derzeit eine feindliche Block- beziehungsweise Kartellbildung gegen die AfD praktizieren. Diese Parteien, die die politische Mehrheit bilden, haben sich zusammengeschlossen, um der AfD die legitime, verfassungsrechtlich garantierte Mitwirkung in parlamentarischen Gremien zu verweigern.

Das erinnert an Carl Schmitts Freund-Feind-Unterscheidung, die er als Grundlage des Politischen ansah. Ironischerweise sind es gerade die etablierten Parteien, die dieses Schmittsche Denken übernehmen und die AfD als „Feind“ klassifizieren, den es auszuschließen gilt. Damit werden demokratische Prinzipien faktisch außer Kraft gesetzt.

Mouffes Kritik und Lösungsansatz

Chantal Mouffe warnt eindringlich vor den Gefahren dieser Entwicklung. Sie argumentiert, dass eine solche feindliche Blockbildung die demokratische Kultur untergräbt und den Raum für einen konstruktiven politischen Dialog verschließt. Die Frage ist: Wer definiert auf welcher Grundlage, was jenseits des „demokratisch Akzeptablen“ liegt?

Mouffes Lösung ist die Förderung einer „agonalen“ Demokratie – ein politisches System, das tiefgreifende Differenzen anerkennt, aber in einem Rahmen, der die Grundprinzipien der Demokratie respektiert. In einer agonalen Demokratie würden die Parteien die AfD als legitimen politischen Gegner betrachten, auch wenn sie deren Ansichten ablehnen. Dies würde einen Dialog und die Anerkennung der AfD als Teil des politischen Spektrums ermöglichen.

Ein Ausweg aus der Polarisierung

Könnte Mouffes Konzept der agonalen Demokratie einen produktiven Ausweg aus der gegenwärtigen Polarisierung bieten? Die Anerkennung der AfD als legitimen Gegner im demokratischen Raum könnte zu einem politischen Klima führen, das für alle Seiten weniger bedrohlich ist und das Potenzial für produktive politische Auseinandersetzungen eröffnet.

Mouffe, die von weit links kommt, bietet mit ihrer Anlehnung an Carl Schmitts politische Theologie der Freund-Feind-Unterscheidung einen möglichen praktikablen Ansatz zur Überwindung der Polarisierung in der deutschen Politik. Ihre Synthese zeigt, dass eine funktionierende Demokratie den Pluralismus anerkennen und pflegen muss und bietet den metapolitischen Überbau, um dies in die Praxis umzusetzen. Dazu bedarf es aber eben nicht nur der AfD, der das Macht- und Medienkartell proklamatorisch „Demokratieverachtung“ unterstellt, sondern auch und vor allem der Kartellparteien, die sich ihr politisches Versagen im Umgang mit dem eigentlichen Konkurrenten AfD eingestehen müssen, den sie jenseits des grundgesetzlich geschützten parlamentarischen Rahmens als Feind bis zur Vernichtung denunzieren. Darauf nicht hingewiesen zu haben, ist das bleibende Versäumnis und der Schaden, den sich Bundespräsident Steinmeier in der deutschen Politik selbst zuzuschreiben hat, denn: Er hätte es, selbst von links kommend, mit Chantal Mouffe besser wissen können und müssen.


Buchempfehlungen des Autors:

➡️ Chantal Mouffe – Über das Politische: Wider die kosmopolitische Illusion*

➡️ Chantal Mouffe – Agonistik: Die Welt politisch denken*

➡️ Günter Scholdt – Reden über Postdemokratie


Zur Person:

Frank-Christian Hansel, Jahrgang 1964, ist seit 2016 für die AfD Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses. Dort ist er unter anderem im Ausschuss für Wissenschaft und Forschung aktiv. Der gebürtige Hesse studierte Politische Wissenschaften, Philosophie und Lateinamerikanistik.

Facebook: https://www.facebook.com/fchansel/

Twitter: https://twitter.com/frankhansel


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